17.03.2023
Pro und kontra Wasserkraft
Bericht von Heinz Wraneschitz
Über einen Tag mit zwei Pressegesprächen zum gleichen Thema. Der Einladung zum Pressegespräch „Grüne Wasserkraft – Irrweg beim Klimaschutz und in der internationalen Umweltpolitik?“ des „Forum Umwelt und Entwicklung“ in Berlin am 14.03., kann ich leider nicht folgen – aus ökologischen wie ökonomischen Gründen; ich bekomme aber im Nachgang den Zugang zum Mitschnitt. (Achtung! Nur bis zum 21. März abrufbar).
An der digitalen Pressekonferenz vom gleichen Tag, auf dem der Wasserkraftverband Mitteldeutschland e.V. (WKVM) das „Rechtsgutachten zur Auswirkung der Neuregelung auf Wasserkraftpotenziale“ vorstellt, bin ich live dabei. Schon so viel vorweg: Unterschiedlicher könnten die Meinungen zum Thema (Klein-)Wasserkraft in Deutschland kaum ausfallen.
BUND: Wasserkraftnutzung ist keine Erneuerbare Energie
Für Sebastian Schönauer vom Bund Naturschutz Bayern (BN) ist kleine Wasserkraft „mit Hauptverursacher des globalen Artensterbens“. Dafür führt er eine Studie des WWF aus dem Jahre 2021 an, laut der „Süßwasserfischarten um 84% zurückgegangen sind. Deren Lebensräume sind zurückgegangen, weil sie im Fluss keine Ausweichmöglichkeit haben.“ Schönauer, beim BN und bei der Mutterorganisation BUND als Wasserfachmann geschätzt, ist nach eigener Aussage Teil einer „weltweiten Bewegung, die die Nachhaltigkeit der kleinen Wasserkraft in Frage stellt, die fälschlicherweise immer noch als regenerative Energie gesehen wird“.
Schönauer war einer der Protagonist:innen des Pressegesprächs „Grüne Wasserkraft – Irrweg beim Klimaschutz und in der internationalen Umweltpolitik?“. Eingeladen hatte die Arbeitsgruppe Wasser im Forum Umwelt & Entwicklung (FUE) mit Sitz in Berlin; der BN-Mann ist darin Mitglied. Doch während er über die Schäden herzog, die durch kleine Wasserkraftwerke ausgelöst werden sollen, bekommt man angesichts der verteilten Unterlagen das Gefühl: Eigentlich sind es besonders die großen Staudämme überall in der Welt, gegen die sich das Forum vor allem richtet.
Und auch das an diesem Tag vorgestellte Positionspapier „Wasserkraft – Irrweg für Klimaschutz und Umweltpolitik“ kritisiert vor allem Ideen wie „Wasserstoff für eine grüne Verkehrswende in riesigen Wasserkraftwerken in Afrika produzieren zu lassen“.
Wasserkraftverband: Mehr Nutzung ist nachhaltig
Eine völlig gegensätzliche Meinung zur Hydroenergie hat der WKVM. In ihm sind Betreiber kleinerer Wasserkraftwerke vereint. Durch ein juristisches Gutachten über den neu formulierten §2 im Erneuerbare Energien-Gesetz EEG sieht der Verband mit seinem Präsidenten Martin Richter sogar gute Chancen, mit dem Aus- und Neubau solcher Kleinanlagen noch mehr zur CO2-freien Stromerzeugung hierzulande beitragen zu können.
Der WKVM hatte ebenfalls am Dienstag die Presse eingeladen, um über das vom ihm beauftragte Rechtsgutachten an die in Energiefragen tätige Leipziger Rechtsanwaltsgesellschaft Prometheus mit dem Titel „Potenzielle Auswirkungen des § 2 EEG auf den Ausbau der Wasserkraftnutzung“ zu informieren.
Das nämlich hat Richters Hoffnung weiter verstärkt, es könne gelingen, die Kleinwasserkraft weiter auszubauen. In besagtem §2 des aktuellen EEG 2023 nämlich wurde der „vorrangige Belang“ der Erneuerbaren Energien (EE) eingeführt. Das sei zwar „kein Freifahrtschein“, hob Christian Falke in der PK hervor, einer der Studienautoren.
Doch für den Fachanwalt für Verwaltungsrecht steht nach den Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVG der letzten beiden Jahre fest: „Klimaschutz ist Grundrecht. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen darf nicht irgendwann kommen, sondern jetzt. Hierfür schafft §2 EEG Durchschlagskraft.“
Bislang hätten die zuständigen Behörden die Erneuerung von WKW eher ausgebremst, indem sie Fischaufstiege oder Aalrohr auch bei bestehenden Anlagen forderten. Nun aber, so Falke, hätte bei der baurechtlichen Genehmigung von EE-Kraftwerken die Energie Vorrang bei der Abwägung: „Gewässerökologie ist nicht nur Fisch“, machte der Fachanwalt deutlich; das so genannte „Bewirtschaftungsermessen“ müsse sich in Richtung der EE – und damit konkret der Wasserkraft – verschieben. Denn sie schüfen „Belange mit Art. 20aGG vergleichbarem verfassungsrechtlichem Rang“, steht im Gutachten zu lesen.
Selbstverständlich sei laut Falke auch bei WKW „ein angemessener Ausgleich zwischen den Schutzgütern zu schaffen. Aber jetzt ist eine Veränderung durch das überwiegende öffentliche Interesse begründet.“ Künftig gelte bei WKW-Bauanträgen nicht mehr wie bisher ein Verbesserungsgebot, sondern ein Verschlechterungsverbot.
Weil bisher angenommen wurde, neue oder erweiterte Anlagen würden das Gewässer verschlechtern, forderte der Jurist von der sächsischen Regierung konkret: Die vor gut einem Jahrzehnt auf Grund des §35 Abs. 3 im Wasserhaushaltsgesetz WHG erstellte Inventur der Wasserkraftpotenziale im Freistaat müsse „neu bewertet werden. Das liegt auf der Hand. Denn dank §2 EEG gilt die damalige Rechtslage nicht mehr. Jetzt heißt es: Im Zweifel Vorfahrt für EE“, also auch WKW.
Der WKVM hat dabei vor allem die kleineren im Blick. Denn anders als die im Wesentlichen ausgenutzten Wasserkraftpotenziale an großen Flüssen oder Kanälen ist bei denen noch einiges zu holen, da ist Martin Richter sicher, der Präsident des Verbands. Konkret rechnete er vor: „Im mitteldeutschen Raum sind 170 Megawatt (MW) installiert. Und wir haben allein hier ein hohes Potenzial zum Ausbau: 86 MW brächten einen jährlichen Mehrertrag von 387 GWh Grünstrom. Damit wäre es möglich, die Gas- und Ölheizungen von 80.000 Einfamilienhäusern durch Wärmepumpen zu ersetzen und rein erneuerbar zu versorgen.“
EEG-Erfinder und Wasserkraft-Unterstützer
Hans-Josef Fell, im Jahre 2000 Bundestagsabgeordneter der Grünen und neben dem inzwischen verstorbenen Hermann Scheer (SPD) ein „Hauptvater“ des EEG, lobt vor allem eine im Sommer 2022 in §2 eingebaute Ergänzung (siehe unten). Überragendes öffentliches Interesse der Erneuerbaren Energien: Für Fell „gehört die Wasserkraft von Anfang an dazu“, wie er in einer Online-Pressekonferenz des WKVM klarstellte. Natürlich „dürfen Fische nicht in Wasserkraftwerken (WKW) verenden. Doch neue Anlagentechnik wie Wasserschnecken ist fischdurchgängig und lässt sogar Leistungserhöhungen bestehender Standorte zu.“
„Weg mit Pseudoargumenten gegen WKW“: Das will Verbandspräsident Richter durch „Sensibilisierung und Schulung der Beamten in den Behörden“ erreichen, von Ministerien bis zu Wasserwirtschaftsämtern. Anwalt Falke gab aber zu: „Das müssen die Menschen in den Behörden erst einmal verinnerlichen.“ Und das wohl nicht nur in Sachsen. Denn deutschlandweit gebe es 200.000 Querbauwerke, die zwar nicht alle für Wasserkraft geeignet seien, deren Energiepotenzial aber kaum bekannt oder bewusst sei.
Und jetzt?
Ich jedenfalls bleibe nach den beiden Pressegesprächen sehr ratlos zurück. Bislang fand ich Kleinwasserkraft nämlich unterstützenswert und umweltverträglich. Und sie, liebe:r Leser:in?
Das EEG – eine Explosion von Text
Gerade mal fünf Seiten füllte das EEG, das Erneuerbare Energien-Gesetz der damaligen Rot-Grün-Koalition, als es am 29. März 2000 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde. Inzwischen ist dieses „Gesetz für den Ausbau Erneuerbarer Energien“ in der Version EEG 2023 auf 116 Seiten gequollen; der in der 5-Seiten-Ursprungsversion inkludierte Anhang kommt in der aktuellen pdf-Ausgabe sogar noch dazu. Mit der immensen textlichen Ausweitung über die Jahre bis hin zu der bei gesetze-im-internet.de abzurufenden Version EEG 2023 ist Hans-Josef Fell überhaupt nicht einverstanden, "da dies die Basis für die lähmende Bürokratie im Ausbau der Erneuerbare Energien ist". Doch mit dem aktuellen §2 ist er sichtlich zufrieden. Dort steht: EEG-Anlagen „liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, sollen die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden.“