17.03.2023
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 1
Eine Kritik von Götz Warnke
Wenn ein:e deutsche:r Politiker:in angesichts der Krise am Wärmemarkt nach den Optionen für ein künftiges Energiesystem gefragt wird – ein Thema, von der er/sie häufig noch nie eine Ahnung hatten – , dann lautet die Antwort meist „Wasserstoff“. Wer als uninformierte:r Politiker:in jetzt noch mehr erläutern muss, der redet dann gern von Wasserstoffwirtschafts-Visionen, künftig in Massen einsetzbaren E-Fuels (mit Strom und Wasserstoff hergestellte Kraftstoffe) und Technologieoffenheit.
Wasserstoff scheint die Antwort auf alle Fragen und Probleme der Energiewende zu sein, er fungiert als das „Wahre, Gute und Schöne“ im Energiesystem. Er gilt als Königsweg in eine grüne, Dank der Erneuerbaren Energien umweltfreundliche und insgesamt problemlose Energiezukunft. Kaum jemand spricht noch von den dafür benötigten Mengeen an Erneuerbaren Energien, und wie bzw. wo sie erzeugt werden sollen; alle Welt will nur „H2-ready“ werden. Die Vision von der Handhabung dieses extrem flüchtigen, auf Erden fast nur in gebundener Form (H2O) vorkommenden Gases verdrängt alle Bedenken. Selbst ein ausgewiesener Behinderer und Bremser der Erneuerbaren Energien wie der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kann vom Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft fabulieren. Doch was ist dran an diesen Visionen, was sagen die Fakten?
Das Energie-Problem
Wasserstoff ist keine Energiequelle, sondern ein Energieträger, der als reines Molekül nicht in der Natur vorkommt – zumindest nicht in wirtschaftlich relevanten Mengen –, und daher energieintensiv aus einer zwar weit verbreiteten, aber auch sehr stabilen Verbindung H2O (Wasser) extra hergestellt werden muss. Der aus den verschiedenen, dabei verwendeten technischen Verfahren entstehende Wasserstoff/H2 wird zum besseren Verständnis als „Farben des Wasserstoffs“ bezeichnet:
Grauer Wasserstoff wird auf konventionellem Weg mittels Dampfreformierung aus Erdgas gewonnen, wobei H2 und das Klimagas CO2 entstehen, und letzteres in die Atmosphäre entweicht. Wird als Ausgangsmaterial statt Erdgas Kohle oder Braunkohle verwendet, so spricht man von Schwarzen/Braunen Wasserstoff. Mengenmäßig wird der heute genutzte Wasserstoff fast ausschließlich aus fossilen Energieträgern hergestellt.
Blauer Wasserstoff funktioniert genauso wie Grauer; allerdings wird entstehende CO2 aufgefangen und gespeichert, z.B. in ausgeförderten Erdgas-Lagerstätten. Ob es da allerdings dauerhaft bleibt, ist angesichts der vielen Leckagen an alten Bohrlöchern zweifelhaft.
Türkiser Wasserstoff wird über die thermische Spaltung von fossilem Methan (Methanpyrolyse) in einem Hochtemperaturreaktionsofen hergestellt; der dabei entstehende feste Kohlenstoff kann z.B. in alten Bergwerken eingelagert werden. Nur wenn der energieintensive Hochtemperaturprozess mit Erneuerbaren Energien betrieben wird, kann dieser H2 als teilweise klimaneutral gelten.
Oranger Wasserstoff wird per Fermentations-, Plasma- und Vergasungs-Verfahren aus Biomasse und Restmüll gewonnen. Wegen der Flächenkonkurrenz zu anderen Bioenergienutzungen (Wärme) sind die verfügbaren Mengen gering; zudem ist der produzierte H2 wegen der vorgelagerten Ketten (Dünger, Pestizide) nicht klimagasfrei.
Rosa Wasserstoff entsteht per Elektrolyse von Wasser mit dem Strom aus Atomkraftwerken. Da auch diese wegen Bau, Urangewinnung, Abbruch und Endlagerung nicht völlig CO2-frei sind, ist auch der Rosa Wasserstoff nicht wirklich CO2-frei sind.
Weißer Wasserstoff ist natürlicher Wasserstoff in/aus Lagerstätten an wenigen Orten der Erde. Sofern er nicht mit Hilfe von Fracking gewonnen wird, kann er als klimaneutral gelten. Allerdings sind die Mengen gering, so dass er allenfalls lokal einen Beitrag zur Energiewende leisten kann.
Grüner Wasserstoff ist die Form, die nach allen offiziellen Verlautbarungen künftig die Wasserstoffwirtschaft antreiben soll. Er wird mit Erneuerbaren Energien und der Elektrolyse von Wasser hergestellt; daher ist er CO2frei und für ein klimaneutrales Energiesystem geeignet.<
Alle o.a. Verfahren sind jede auf ihre Art sehr energieintensiv und oft klimaschädlich. So entstehen nach einer Untersuchung des Instituts für Klimaschutz, Energie und Mobilität (S.12) bei der Herstellung einer Tonne Wasserstoff mittels der o.a. Verfahren Gelb bis Schwarz zwischen 5 und 25 Tonnen CO2 – völlig unakzeptabel für ein klimagasfreies Energiesystem.
Aber für eine Wasserstoffwirtschaft muss natürlich nicht nur die Gasgewinnung, sondern auch die Energie für die weitere Nutzung bzw. Weiterverarbeitung des Wasserstoffs betrachtet werden. Und da gibt es je Form, Pfad, und Methode unterschiedliche Energiebedarfe und Umwandlungsverluste. Einen Überblick über die Energieeffizienz der verschiedenen Erzeugungs- und Umwandlungs-Ketten gibt dieser Wikipedia-Abschnitt. Wer sich einmal bildlich vor Augen führen will, was die Umwandlungsverluste in der Praxis bedeuten können, sehe sich hier das „Bild 3“ an: den Vergleich der Windkraftnutzung zwischen einem mit E-Fuels angetriebenen Schiff und einem Windschiff/Segelschiff. Der E-Fuel-Pfad hinterlässt hier 90 % Energieumwandlungsverluste! Höher sind eigentlich nur noch die Energieverluste auf dem fossilen Kraftstoff-Pfad.
Bleiben wir beim Verkehr, insbesondere beim Autoverkehr: Schon 2014 schrieb der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbandes, Dr. Johannes Töpler, in einer Festschrift des Hamburger Wasserstoffverbandes(*) hinsichtlich der Wirkungsgrade: „Wenn man die am Rad nutzbare Endenergie auf 1 setzt, und die [G.W.: Erzeugungs-] Kette rückwärts betrachtet, so ergibt sich bei der Wasserstoffkette ein Primärenergieaufwand von dem 3,4-fachen, bei der Kette über synthetisches Erdgas aber von dem 8,1-fachen.“
Töpler geht also von einem Well-to-Wheel-Wirkungsgrad (d.h. vom Windrad bis zum Autorad) bei Wasserstoff von 29 % und bei synthetischem Methan von 12% aus. Dabei ist man immer noch nicht bei E-Fuels, deren Systemwirkungsgrad bei unter 10% liegen dürfte – s.o.!
Die schlechten Wirkungsgrade der Nutzung von Wasserstoff und E-Fuels sind also weder neu noch eine Erfindung von Wasserstoffgegnern. Auch wenn einige Wasserstoff-Promoter versuchen, sich die E-Fuels-Pfade dadurch schön zu rechnen, dass man z.B. CO2-Abgase aus fossilen Anlagen nutzt, um daraus mit Erneuerbaren Energien und entsprechendem Wasserstoff angeblich klimaneutrale E-Fuels herzustellen, um sich so den energieaufwändigen Weg über die CO2-Direktabscheidung aus der Luft zu sparen: das Wissen um die schlechten Wirkungsgrade bzw. die mangelnde Energieeffizienz, auch im Vergleich zu E-Autos, ist kein Geheimnis. Man kann es beim Umweltbundesamt, bei „Transport and Environment“ , dem ADAC und auch bei Wikipedia nachlesen.
Die Dimension der für eine klimaneutrale Wasserstoffwirtschaft benötigten Erzeugungsanlagen für Erneuerbare Energien verdeutlicht gut ein Zitat von Peter Kasten, Stv. Bereichsleiter Ressourcen & Mobilität am Öko-Institut in der ZEIT: „Um ein Prozent des heutigen Verbrauchs von fossilem Sprit im Verkehrssektor durch E-Fuels zu ersetzen, würden für dessen Herstellung in Deutschland 2.300 Onshore-Windräder benötigt.“ Für substantielle E-Fuel-Mengen wären also zigtausende Onshore-Windräder nötig. Mal eben mit den Anlagen aufs Meer ausweichen funktioniert nicht; schließlich muss auch noch die ganze Industrie dekarbonisiert werden. Allein nur um die gesamte deutsche Stahlindustrie CO2-frei zu machen, müsste man 7.000 Offshore-Windräder der 5-MW-Klasse vor den deutschen Küsten aufstellen. Dabei gab es am 31. Dezember 2022 in Deutschland gerade einmal 1.539 Offshore-Anlagen.
Auch wenn (Flächen-) Potentiale für Erneuerbare Energien in Deutschland für eine Energiewende hinreichend vorhanden sind, so bleibt doch die Frage, ob sie auch für eine Wasserstoffwirtschaft mit E-Fuels reichen. Denn beliebig ausweitbar ist das regenerative Energiepotential nicht: So lassen sich z.B. weder Onshore noch Offshore beliebig viel Windkraftanlagen aufstellen, weil diese sich sonst gegenseitig den Wind wegnehmen würden.
Was also tun, wie das Problem lösen, wenn man am Traum einer Wasserstoffwirtschaft festhalten will? Liegt die Lösung vielleicht im Ausland, wo bereits heute Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger um diesbezügliche Unterstützung und Kooperation wirbt?
(*) Töpler, Johannes: Wasserstoff und Brennstoffzellen – wesentliche Elemente einer erfolgreichen Energiewende?, in: Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Technologie für eine nachhaltige Zukunft.
Kompendium zum 25-jährigen Jubiläum der Wasserstoff-Gesellschaft Hamburg e.V., herausgeben von der Wasserstoff-Gesellschaft Hamburg Hydrogeit Verlag, Oberkrämer 2014, S. 28-49
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 1
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 2
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 3
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 4