16.11.2018
Re: Altmaiers neue Energiewende-Logik: Ersetzung der fossilen Energie durch Erdgas
Auf die in letzter Zeit veröffentlichten Artikel zu der Erdgas-Problematik haben wir ungewöhnlich viel Rückmeldungen erhalten. Da wir diese schon aus Platzgründen nicht alle veröffentlichen können, hier eine etwas ausführlichere Antwort des Autors Christfried Lenz, auf eine Leser-Zuschrift zum Artikel „Altmaiers neue Energiewende-Logik: Ersetzung der fossilen Energie durch Erdgas.“
Der Leser verweist auf die Fraunhofer IEE – Studie zum Kohleausstieg bis 2030 (September 2018) und auf die Studie des Öko-Instituts „Die deutsche Braunkohlenwirtschaft“ (2017), worin das Erdgas gegenüber Kohle und Braunkohle als weniger klimaschädlich eingestuft wird und möchte wissen, auf welche Untersuchungen sich die im o.g. Artikel vertretene gegenteilige Auffassung stützt.
Hierfür sind u.a. Arbeiten von Prof. Robert W. Howard (Cornell University im US-Bundesstaat New York) zu nennen, der sich mit der Thematik über viele Jahre intensiv beschäftigt hat. In "A bridge to nowhere: methan emissions and the greenhouse gas footprint of natural gas" (Fachmagazin Energy Science & Engineering, 15.05.2014) kommt er zu dem Ergebnis, dass Erdgas durch Methan-Emissionen im Zuge seines Produktionsprozesses klimaschädlicher als Kohle ist (Methan hat in den ersten 20 Jahren seiner Verweildauer in der Atmosphäre die 85fache Klimawirksamkeit von CO2). Siehe hierzu auch: http://www.wiwo.de/technologie/green/tech/studie-erdgas-ist-klimaschaedlicher-als-kohle/13549760.html).
Howards Ergebnisse wurden durch Satelliten-Beobachtung bestätigt: U.S.-Portal „ThinkProgress“ vom 22.10.2014, Joe Romm: “Methane Leaks Wipe Out Any Climate Benefit of Fracking, Satellite Observations confirm”: https://thinkprogress.org/methane-leaks-wipe-out-any-climate-benefit-of--fracking-satellite-observations-confirm-2ac26dd30381/
Neuere Untersuchungen in Gasfördergebieten in den USA ergaben Leckageraten von ca. 4% bei konventioneller Förderung vom Gesamtvolumen und 12% bei Fracking-Förderung.
Robert W. Howarth: „Methane Emissions - The greenhouse gas footprint of natural gas” (Sept. 2016): https://www.rosalux.eu/topics/social-ecological-transformation/methane-emissions/
Ca. 3,5 Prozent der weltweiten Erdgasförderung werden aus Kostengründen abgefackelt. Das sind 143 Milliarden Kubikmeter, wodurch 350 Millionen Tonnen Kohlendioxid freigesetzt werden, was 10 Prozent der CO2-Emissionen aller EU-Staaten entspricht. (Dagmar Röhrlich in Wissenschaft – News & Aktuelles aus der Wissenschaft, 03.02.2016, https://www.welt.de/wissenschaft/article151797607/Die-Gefahr-die-aus-dem-Boden-stroemt.html ).
Von der seit 2007 wieder stark ansteigenden Methan-Konzentration in der Atmosphäre führt das Karlsruher Institut für Technik (KIT) mindestens 40 Prozent auf die Zunahme der Erdgas- und Erdölproduktion auf der Nord-Halbkugel zurück. (https://www.kit.edu/kit/pi_2016_036_oel-und-gas-boom-laesst-methan-ausstoss-ansteigen.php). (März 2016)
Die unabhängige Consulting-Firma EXERGIA hatte im Juli 2016 im Auftrag der EU-Kommission eine Studie zu den bei der Erdgasnutzung auftretenden „Vorkettenemissionen“ herausgegeben. Sie war zu dem Ergebnis gekommen, dass die im Vergleich zu den anderen fossilen Energiequellen geringere CO2-Emission bei der Verbrennung von Erdgas durch Freisetzung von unverbranntem Methan und CO2 bei Förderung, Reinigung und Transport des Erdgases aufgehoben wird.
Am 15. Dezember 2016 konterte das DBI Gas- und Umwelttechnik-Institut mit einer „Kritischen Überprüfung der Default-Werte der Treibhausgasvorkettenemissionen von Erdgas“. Diese von der Erdgas-Lobby-Organisation Zukunft ERDGAS GmbH beauftragte Studie wählt methodische Ansätze, die zur Korrektur der von EXERGIA ermittelten Emissionen nach unten führen. Während EXERGIA die Emissionen auf die in Zentraleuropa verbrauchte Erdgasmenge bezog, bezieht DBI sie auf die (größere) transportierte Menge. Während EXERGIA sich ausschließlich auf öffentlich zugängliche Daten stützte, ließ sich DBI auch Daten von der Erdgasindustrie zur Verfügung stellen. - Man darf wohl davon ausgehen, dass die Erdgasindustrie nicht solche Daten herausgab, die sie in ein ungünstiges Licht rücken. Bemerkenswert ist auch, dass DBI bei unverbranntem Methan mit der 34fachen Klimawirksamkeit von CO2 rechnet. Dieser Wert stellt sich allerdings erst nach einer Verweildauer des Methans in der Atmosphäre von vielen Jahrzehnten ein. Für die Zeitspanne, die darüber entscheidet, ob wir die Klimaerwärmung noch bremsen können, oder ob sie vollends in die katastrophale Selbstverstärkung übergeht, haben wir es mit der 85fachen Klimawirksamkeit von CO2 zu tun.
Im Januar 2018 gab das Bundesumweltamt (UBA) eine Kurzstudie zur Bewertung der DBI-Studie heraus: "Bewertung der Vorkettenemissionen bei der Erdgasförderung in Deutschland": https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2018-01-30_climate-change_02-2018_roadmap-gas_0.pdf
Diese bemüht sich durchweg um eine Ehrenrettung der DBI-Studie, bzw. um die Verharmlosung der Vorkettenemissionen: „Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für die Beurteilung der Rolle vom Erdgas zur Erfüllung der Klimaschutzziele die Berücksichtigung der Vorkettenemissionen der konventionellen Erdgasgewinnung in Relation zu anderen fossilen Endenergieträgern und in der absoluten Höhe keinen signifikanten Einfluss haben.“ (S. 16)
Dass es dem Verfasser mit dieser eindeutigen Aussage doch nicht so ganz gut geht, scheint mir am Schluss zum Ausdruck zu kommen, wo er sich von Satz zu Satz regelrecht hin und her wendet (Hervorhebungen von mir): „Für die mittelfristige Reduktion der THG-Emissionen bis zum Jahr 2030 hat die heimische Förderung von Erdgas aufgrund der sich erschöpfenden Quellen nur geringe Bedeutung. Bei einer Berücksichtigung - abweichend vom Inlandsprinzip der internationalen THG-Berichterstattung - sind hier die in der DBI-Studie ermittelten überdurchschnittlichen Vorkettenemissionen von aus Russland importiertem Erdgas relevant. Diese können die THG-Einsparungen durch eine mögliche Substitution von Kohle und Erdölprodukten durch Erdgas reduzieren, ändern jedoch nicht grundsätzlich etwas an der Vorteilhaftigkeit der Substitution. Nichtsdestotrotz muss berücksichtigt werden, dass mit Blick auf das Pariser Klimaabkommen langfristig auch die THG-Emissionen aus der Nutzung von Erdgas vermieden werden müssen und diesbezüglich Pfadabhängigkeiten zu vermeiden sind." (S. 17)
Nun wird aber genau diese Pfadabhängigkeit von der Erdgasindustrie - tatkräftig unterstützt von der Bundesregierung - mit aller Macht angestrebt. Pipelinebau für russisches Erdgas, Aufbau der Infrastruktur für gefracktes US-LNG sind gewaltige Investitionen, die sich nur über eine Nutzungsdauer von vielen Jahrzehnten rechnen. Dann sind wir mindestens im Jahr 2070. - Was soll man hierzu denn noch sagen???
Vor der langfristigen Wirkung von Investitionen ins Erdgas warnt auch Niklas Höhne vom NewClimate Institute: „Sollte die Infrastruktur für Gas weiter ausgebaut werden, wird Deutschland die Klimaschutzziele nicht erreichen“ (Deutschlandfunk, 22. Juni 2017): http://www.deutschlandfunk.de/risiko-brueckentechnologie-null-emissionen-bekommt-man.697.de.html?dram:article_id=389316
Auch Öko-Institut und Greenpeace sind nicht unfehlbar. Fakt ist, dass sie derzeit der Erdgaslobby bestens zur Hand gehen. Dass diese darauf verweisen kann, dass sogar Greenpeace im Erdgas die klimafreundlichere Alternative zur Kohle sieht, erweitert ihren Einfluss erheblich – und zwar gerade in die Szene von umwelt- und klimabewussten Menschen hinein, die die erneuerbaren Energien wollen und nun verunsichert werden.
Greenpeace Energy (GE) ist selbst am Gasgeschäft beteiligt. Sie werben mit der Aussage
"Beziehen Sie ein Erdgas-Windgas-Gemisch mit steigendem Windgas-Anteil" (beim „Windgas“ handelt es sich um mit überschüssigem Windstrom hergestellten Wasserstoff). Der Windgas-Anteil liegt zwischen 0,5 und 0,8%.
Man sollte ganz gewiss beachten, dass ein Unternehmen wie GE ökonomisch überlebensfähig sein muss und dass dies nach der "100%ig reinen Lehre" derzeit noch sehr schwierig ist. Ich finde es in Ordnung, dass GE durch Handel mit Erdgas Gewinne macht und diese für den Bau von Elektrolyseuren einsetzt, um mehr Windgas zu erzeugen. Dies kann aber gar kein Anlass sein, den Ersatz der Kohle durch Erdgas - unisono mit der Erdgaslobby - zu fordern! GE sollte sich auf das Windgas konzentrieren. Dass ihm das Erdgas vorzeitig ausgeht, braucht es nicht zu befürchten. Dass das nicht passiert, dafür werden Erdgaslobby + Bundesregierung schon sorgen - keine Sorge!
Dass wir mit Power to Gas nicht längst viel weiter sind, daran hat übrigens das Ökoinstitut durchaus einen Anteil. Während diverse Energiewende-Organisationen seit Jahren darauf drängen, mit dem Ausbau der Langzeitspeicherung unverzüglich zu beginnen, damit sie ausgereift zur Verfügung steht, wenn sie im großen Umfang benötigt wird, gehört das Ökoinstitut (gemeinsam mit der Bundesregierung!) zu jenen Kräften, die sie in eine ferne Zukunft verschieben: Erst wenn mindestens 60% Erneuerbare im Netz seien, könne man mal anfangen, an die Langzeitspeicherung zu denken.
2014 stellte das Ökoinstitut PtG sogar grundsätzlich in Frage: https://www.oeko.de/presse/archiv-pressemeldungen/2014/power-to-gas-kein-allheilmittel-fuer-den-klimaschutz/
GE mischt derzeit also geringe Mengen grünen Wasserstoff in das Gassystem ein. Politisch wirksamer wäre es, wenn GE darauf hinarbeiten würde, ein Gaskraftwerk (oder eine kleinere Stromerzeugungsanlage) komplett mit grünem Wasserstoff oder einer grünen Wasserstoffverbindung zu betreiben. Das Einmischen ins Erdgas bleibt vom Erdgassystem abhängig. Wir müssen aber demonstrieren, dass eine vollständige Versorgung ohne jede fossile Energie möglich ist. Dies hätte eine große politische Wirkung - und die brauchen wir!