16.04.2021
Öffentlichkeitsbeteiligung nach Gusto bei der Juraleitung
Ein Hintergrundbericht von Heinz Wraneschitz
Der "Ersatzneubau" der so genannten "Juraleitung" ist ein sehr umstrittenes Projekt. Diese Hochspannungstrasse verläuft zwischen den Umspannwerken Raitersaich im Landkreis Fürth und Altheim nahe Landshut, Niederbayern. Der Strom-Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) Tennet plant einerseits, die in Nazizeiten unter dem Begriff "Reichssammelschiene" errichtete 220.000-Volt-Leitung auf 380.000 Volt hochzurüsten. Andererseits soll P53 - so das Kürzel im Rahmen der "Bundesbedarfsplanung" - eine neue Trasse bekommen. Die bisherige sei für nicht mehr optimal geeignet, so die Begründung.
Ob Versehen oder nicht: Vor wenigen Wochen wurde der "Raumordnungskorridor" von P53 bekannt. Den will Tennet in diesem Sommer bei den Behörden als Leitungsweg beantragen. Und erst dann läuft die nächste "offizielle" Form der Öffentlichkeitsbeteiligung an: Diese hat der Bundesgesetzgeber für umweltrelevante Baumaßnahmen verpflichtend vorgesehen - auch für Stromtrassen.
Doch aktuell sucht Tennet freiwillig die Diskussion. Dazu lädt der ÜNB ausgewählte Kreise zu "informellen Online-Gesprächen" ein: zuerst waren Bürgermeister und Landräte dran, danach Initiativen. "Das darf der ÜNB mit Leuten seiner Wahl; eine solche Beteiligung ist nicht offiziell geregelt", erklärt ein Sprecher der Bundesnetzagentur BNetzA auf Anfrage.
Nach welchen Kriterien Tennet die Teilnehmer-Auswahl trifft, bleibt im Nebel. Bei den Treffen für Bürgerinitiativen behauptet der ÜNB, der Kreis stamme jeweils aus direkt betroffenen Ortschaften. Doch schon am ersten mehrerer Termine Ende März - er betraf den Abschnitt zwischen Raitersaich und Wendelstein rund um Nürnberg - nahmen nach unseren Informationen Menschen teil, die nicht direkt diesem Abschnitt zuzuordnen sind.
Und während unserer Redaktion der Zugang zu den Veranstaltungen verwehrt wurde - Tennet-Begründung: "Vertraulichkeit" - erklärte ein uns bekannter Journalist, er habe sehr wohl Zugang zu einem dieser Online-Termine bekommen. "Dass Pressevertreter bei unseren digitalen Veranstaltungen in der vergangenen Woche anwesend waren, ist aktuell nicht bekannt", heißt es dagegen von Tennet-Seite auf Nachfrage.
Online-Teilnehmer berichten im Übrigen, Tennet habe ihnen zu Beginn der Sitzungen mit Konsequenzen gedroht, wenn sie zum Beispiel den Ablauf am eigenen Computer aufzeichnen würden. Auch Tennet würde nicht aufzeichnen, habe es zur Begründung geheißen. Warum die Veranstaltungen überhaupt organisiert wurden? "Es hat in der Öffentlichkeit geruckelt."
Stromtrassenkritiker prangern diese Geheimniskrämerei um die vorgezogene Bürgerbeteiligung massiv an. "Umwelt- und Naturschutz ist ein Allgemeininteresse und kann unter gar keinen Umständen davon abhängig gemacht werden, in welchem Umkreis eine Person von der entsprechenden Infrastrukturmaßnahme, die massive Schäden verursachen würde, entfernt wohnt", erklärt beispielsweise Dörte Hamann, Sprecherin des "Aktionsbündnis gegen die Süd-Ost-Trasse".