15.11.2019
Broken Mirror: Altmaiers Aussichten
Eine Glosse von Götz Warnke.
Zu Beginn des trüben Monats November hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung unserem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Raum für einen Beitrag gegeben. Titel: „Energieversorgung der Zukunft : Wir müssen bei Wasserstoff die Nummer 1 werden!“ Der Beitrag ist zweifellos gut für das Image der regierungsnahen FAZ in konservativen Kreisen. Und das Fabulieren über die „Energieversorgung der Zukunft“ ist als ein weites und entspannendes Feld zweifellos gut für einen Bundeswirtschafts- und Energie-Minister, der schon mit der Energieversorgung der Gegenwart heillos überfordert ist.
Nach einem einleitenden Satz schreibt Altmaier: „Schon heute werden ungefähr 45 Prozent unseres Stromverbrauchs aus Erneuerbaren Energien ... gedeckt. Diesen Anteil bauen wir kontinuierlich weiter aus ...“ Brrr, da kann es einem eiskalt den Rücken herunterlaufen! Denn die Erneuerbaren decken heute nur fast 43 Prozent des Stromverbrauchs – wehe denen, wenn der Minister übertreibt! Und was die Merkelschen Minister unter „kontinuierlichem Ausbau der Erneuerbaren Energien“ verstehen, wissen wir auch: es ähnelt eher einer „Abwrackprämie“ mit viel Abwracken und ohne Prämie. So ein Altmaier-Satz kann wohl nur eines heißen: Der Erfinder der Strompreisbremse – möglichst sogar rückwirkend, so dass einige Rechtsgrundsätze quietschen – steht kurz davor, bei den Erneuerbaren die Bremsbacken wieder kräftig zusammen zu pressen. Wo kämen wir auch hin, wenn Solarteure und Solarrebellen den von unserer allweisen Kanzlerin für 2030 vorhergesagten 65%-Anteil erneuerbaren Stroms bereits 2025 erreichen würden! Und das, obgleich eben diese Kanzlerin der Photovoltaik bereits 2015 eine „Atempause“ verordnet hat.
Nachdem Peter Altmaier uns erklärt hat, dass auch Wärme und Verkehr zu einer Energiewende gehören, dass Energieeffizienz einer der Säulen dabei ist, und dass „wir“ in den vergangenen Jahren „schon sehr viel erreicht“ hätten, lässt er uns tief in sein Inneres blicken: „Ich bin überzeugt: Ohne gasförmige Energieträger können wir die Energiewende nicht schaffen.“ Während wir noch ganz benommen von so viel Offenheit sind, kommt die knallharte Altmaiersche (Energie-)Wende: „Dabei gilt erstens: Erdgas hat eine Brückenfunktion.“ Da möchte man mit Vicky Leandros singen: „Ja, ja, der Peter der ist schlau“ – allerdings nur taktisch. Denn inhaltlich hat Erdgas allenfalls eine Krückenfunktion; es ist kaum weniger klimaschädlich als Kohle – das kann jeder überall nachlesen, von den DGS-News bis zur Süddeutschen. Anders als Sonne, Wind und Wasser ist Erdgas zudem eine Energieform, die sich gut von großen Konzernen monopolisieren lässt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt …
Und daneben gibt es natürlich auch CO2-freie bzw. CO2-neutrale gasförmige Energieträger! Und dafür brauchen wir nach Meinung von Peter Altmaier Wasserstoff, „grünen Wasserstoff“, der natürlich auch – und das sagt Altmaier nicht – hauptsächlich von großen Konzernen und nicht von Bürgern geliefert werden würde. Ebenso wenig erklärt er, wie er das mit den traurigen 65% erneuerbaren Stroms in 2030 auch nur ansatzweise schaffen will; immerhin wird Wasserstoff heute fast ausschließlich aus Erdgas reformiert. Stattdessen sagt er: „Deshalb müssen wir schon heute die Weichen dafür stellen, dass Deutschland bei Wasserstofftechnologien die Nummer 1 in der Welt wird.“
Nanu, warum sollen wir gerade hier die Nummer 1 in der Welt werden? Die paar Arbeitsplätze in großtechnischen Anlagen können es ja nun wirklich nicht sein! Und im übrigen sind wir Deutschen unter der Merkel‘schen Bundesregierung doch sowieso schon in vielen Bereichen Weltspitze: wir haben unsere eigene PV-Industrie so schnell liquidiert wie keine anderes Land, wir haben so oft Energiewenden in die unterschiedlichsten Richtungen gemacht, dass kein Hütchenspieler dieser Welt da noch mitkäme, und wir besitzen mit dem BER den einzigen praktisch emissionsfreien Großflughafen der Welt. Weshalb also sollten wir Vorreiter bei einer Hinterherreiter-Technologie werden?
Doch davon lässt sich ein Altmaier natürlich nicht beirren; er verfolgt weiter seine Wasserstoffstrategie: „Wir werden insbesondere unsere Anstrengungen in der Energieforschung entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette stärker bündeln und ausbauen.“ Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich! Nun gut, der Durchbruch der Wasserstoff-Technologie steht kontinuierlich seit drei Jahrzehnten immer gaaaanz kurz bevor. Aber werden nicht die Nationalen Innovationsprogramme Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP 1 2006-2016, NIP 2 2016-2026) schon seit Jahren von der NOW GmbH Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie koordiniert und gesteuert? Steht nicht auch die Brennstoffzellen-Technologie im bis 2022 laufenden, Milliarden schweren 7. Energieforschungsprogramm „Innovationen für die Energiewende“ der Bundesregierung? Kennt unser Strompreisbremsen-Spezialist nicht das CALLUX-Projekt?? Dort wurde ab September 2008 die Markteinführung von – natürlich erdgasbetriebenen – Brennstoffzellen-Micro-BHKWs vorbereitet. Neben den üblichen Gasversorgern waren auch drei Herstellerfirmen beteiligt: Baxi Innotech gehört heute zu Senertec, die Schweizer Hexis AG wurde von Viessmann übernommen, und Vaillant hat das Segment Brennstoffzellen-BHKW aufgegeben; heute liegt in Deutschland der Marktanteil von Brennstoffzellen-Micro-BHKWs im unteren einstelligen Prozentbereich. Erfolgsgeschichten gehen anders! Sollte man sich da zusätzliche Forschungsgelder nicht besser sparen?
Weg mit solchen Kleinigkeiten; der Bundeswirtschaftsminister denkt eher in großen, strategischen Dimensionen: „Um die gute Ausgangsposition im weltweiten Wettbewerb zu halten und auszubauen, brauchen wir einen ‚Heimatmarkt‘ für die deutsche Industrie.“
Richtig, nur gilt das genau so für die – im Gegensatz zur Wasserstoff-Wirtschaft sehr erfolgreiche – Onshore-Windkraft, lieber Peter Altmaier! Auch für deren Unternehmen ist es nicht schön, wenn sie ihren ausländischen Kunden keine Projekte in Deutschland präsentieren können. Dann gibt es keinen Umsatz, die Arbeitsplätze schwinden (wie jetzt bei Enercon und Siemens-Gamesa), und eventuell geht sogar die Firma Pleite (wie jetzt Senvion). Hat Ihnen das niemand von den Fachleuten in Ihrem Ministerium gesagt? Naja, vielleicht haben Sie auch einfach ihre Fachleute im Ministerium nicht gefunden – bei all‘ den Lobbyisten, die dort wohl herumlungern.
Und was wird das Ergebnis all‘ der Bemühungen, Forschungen, Koordinierungen und Milliarden sein? „Deutschland wird auch langfristig Energie importieren müssen. Und das gilt auch für Wasserstoff.“ Wow! Aber ja, das wird sicher das Ergebnis sein, wenn man dem Energie-“Wende“-Pfad dieser Bundesregierung folgt – da hat Peter Altmaier Recht. Oder um es mit dem Satz eines Österreichischen Theaterkritikers zu sagen: „Und wo er Recht hat, hat er Recht – kein Genie, keine Brillanz, nur Recht!“ Gott sei Dank gibt es noch andere, echte Energiewende-Pfade!
Liebe FAZkes aus Frankfurt: solltet Ihr mal wieder unserem Bundeswirtschaftsminister Platz in Eurem Blatt einräumen wollen – Kochrezepte sind auch ein weites und entspanntes Feld. Und davon soll – wie man hört – Peter Altmaier auch wirklich was verstehen.