15.09.2023
Das Dummschwätzen der Wirtschaftsmedien, Teil 1: Themen
Eine Kritik von Götz Warnke
Deutschland steckt in einer Krise … und die Bundesregierung tut nichts – so schallt es von nah und fern aus den Medien, insbesondere auch aus der wirtschaftsnahen Presse. Und häufig wird dabei der der Energiebereich thematisiert, sowie auf die angebliche Untätigkeit der Bundesregierung verwiesen. In der Tat steckt Deutschland in einer Wirtschaftskrise, aber die hat höchst unterschiedliche Ursachen, auch wenn Teile der wirtschaftsnah-konservativen Medien das gern verschweigen, und versuchen, möglichst alle Schuld auf die derzeitige Bundesregierung zu schieben, die noch keine zwei Jahre im Amt ist.
Neben den zeitnahen Ursachen wie der Corona-Pandemie und den gestörten Lieferketten sowie dem russischen Angriffskrieg und dem neuen Ost-West-Konflikt, gibt es Probleme, die seit Jahrzehnten nicht, nur ungenügend oder gar kontraproduktiv gelöst worden sind:
Arbeitskräftemangel
Die demografische Delle und der daraus resultierende Arbeitskräftemangel sind nicht neu, zumal die Verrentung der Babyboomer-Generation seit Jahrzehnten absehbar ist. Heute fällt uns das Problem in vielen Bereichen – auch bei der Energiewende, und insbesondere bei den arbeitsintensiven PV im häuslichen Bereich – auf die Füße. Aber verantwortlich sind die Regierungen Kohl, Schröder und Merkel mit ihrem vier Jahrzehnte dauernden Versagen in der Familienpolitik.
Kein Wirtschaftswachstum
Ja, das stimmt, und ist längst noch nicht alles: die Industrieproduktion ist im diesjährigen Juli um ca. zwei Prozent gegenüber Vorjahresmonat gesunken; die Bestellungen bei der Industrie sind gar um 12 Prozent gefallen. Aufs Jahr 2023 gesehen wird die deutsche Wirtschaft sogar um wohl 0,5 Prozent schrumpfen. Eine Katastrophe, ein Regierungsfehler? Nein, die ganze Weltwirtschaft schwächelt, insbesondere auch Exportnationen wie China oder Südkorea. Und Deutschland war eine starke Exportnation, wenngleich schon lange nicht mehr Exportweltmeister.
Bis zur Corona-Krise 2020 konnten wirtschaftsnahe Medien und Politiker gar nicht genug bekommen von Wachstumsfantasien wie neuen internationalen Handelsabkommen, Partnerschaften, Kooperationen, deutschen Fabriken überall auf der Welt. Die Gier fraß die Vorsicht, und man war blind u.a. gegenüber der Gefahr eines technologischen Know-how-Exports.
Dazu kam die bornierte Ablehnung der Erneuerbaren Energien durch diese Kreise. Die hatten offensichtlich nicht begriffen, dass eine stark exportorientierte, rohstoffarme Industrienation zum Betrieb auch große Mengen Nutzenergie braucht. Diese lässt sich entweder – ganz oder teilweise – selbst herstellen, oder importieren, was in einer zunehmend engeren und konfliktreicheren Welt schnell zunehmend teurer und unsicherer wird. Strom und Wärme können wir mittels der Erneuerbaren Energien selbst herstellen, Öl und Gas nicht. Doch die Merkel-Regierungen entschieden anders: Noch am 20. April 2021 unterzeichnete der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein „Memorandum of Understanding“ für eine Wasserstoffkooperation auf dem 13. Deutsch-Russischen Rohstoff-Forum – da hatte Russlands Regierung die Krim bereits 7 Jahre annektiert, die Ostukraine abgespalten und viele hunderte Menschenleben auf dem Gewissen. „Er freue sich darauf, hoffentlich nach der Bundestagswahl bald nach Moskau zu reisen und dort konkrete Vereinbarungen abzuschließen“, fabulierte der ministeriale H2- und Gas-Fan laut Tagesspiegel. Zum Glück kam es anders.
Jetzt bekommt die deutsche Wirtschaft die Quittung: die Exportnation muss einen schwächelnde Weltwirtschaft und eine Zurückhaltung der heimischen Kunden hinnehmen; die ehemals das Wirtschaftswachstum fördernden billigen, weil auch zum Teil mit dem Blut der Ukrainer bezahlten Energierohstoffe Gas und Erdöl sind sehr viel teurer geworden, und der Technologievorsprung ist in vielen Fällen dahin, teilweise auch, weil man, wie die Autoindustrie in satter Selbstgefälligkeit hinsichtlich der Elektromobilität, neue Entwicklungen verschlafen hat.
Das einzige, was sich in den letzten, z.T. chaotischen Jahren nicht verändert hat, ist das oft falsch liegende Geschwätz der Wirtschaftsmedien, die immer ganz genau wissen: woran es liegt, wer schuld ist, und wie man es besser machen kann.
Atomausstieg und hohe Industriestrompreise
Die Abschaltung der drei letzten deutschen Atomkraftwerke Mitte April diesen Jahres gibt den Pro-Atom-Ideologen in Medien und Politik hinreichend Gelegenheit, über den Abschied von der Atomkraft im Allgemeinen und der Abschaltung der drei deutschen Meiler im Besonderen zu lamentieren, insbesondere mit Blick auf die angeblich zu hohen Strompreise für die Industrie. Dabei bleiben wohl wissentlich einige Fakten unerwähnt.
So wäre auch ohne Atomausstieg von den deutschen drei Meilern derzeit kein einziger am Netz, weil sie sich alle der seit 2019 immer wieder aufgeschobenen 10-Jahres-Revision gemäß Atomgesetz unterziehen müssten. Und die kann gut ein halbes Jahr oder länger dauern; das hilft bei den augenblicklichen Industriestrompreisen gar nichts.
Gegen einen Neubau sprechen nicht nur die erforderlichen, hohen Subventionen. Kein Wunder, dass heute weltweit kaum noch jemand AKWs baut, wenngleich die Zahlen von hier bis hier unterschiedlich sind (es hängt z.B. auch davon ab, ob man militärische Reaktoren hinzu zählt oder nicht). Atomkraftwerke werden heute hauptsächlich von Atommächten als ziviler Teil ihres militärisch-industriellen Komplexes gebaut, und selbst die tun sich damit schwer, wie der seit 2007(!) im französischen Flamanville in Bau befindliche europäische Druckwasserreaktor zeigt, der statt 3 Milliarden jetzt 20 Milliarden Euro verschlingen wird. Wollte man den für 2030 angenommenen deutschen Jahres-Strombedarf von ca. 780 TWh mit AKWs decken, müsste man bis dahin hier 80 große Reaktoren bauen. Wer an diese Option glaubt, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.
Doch nun zu den angeblich hohen Industriestrompreisen: der deutsche Strompreis liegt – Überraschung – nach der europäischen Statistikbehörde Eurostat ziemlich genau im Durchschnitt der EU-Länder. Insofern sind die Klagen aus der Wirtschaft eher eine Art Subventionsbetteln. Wir erinnern uns: Während die Merkel-Regierungen ab 2012/13 mittels „Atempausen“ und „Strompreisbremsen“ die deutsche Solarindustrie abwürgten, wurden Konzerne und insbesondere die energieintensiven Industrien nicht nur mit günstigem Gas, sondern auch mittels der Befreiung von der EEG-Umlage über Jahre mit Milliarden Euros „gepampert“. Eines der negativen Ergebnisse daraus ist die lahmende Energiewende heute, die immer noch Fossil-Kraftwerke als Unterstützung braucht, und so die Strompreise nicht adäquat fallen lässt.
Intelligente Unternehmen/r haben sich inzwischen selbst eine Erneuerbaren-Energien-Anlage gebaut, sind an einer Anlage beteiligt, oder haben einen direkten Liefervertrag (PPA). Die Dummen hingegen werden jetzt halt „von den Hunden“ bzw. Energiepreisen „gebissen“. Daher das Jammern, daher der Narrativ von der „Deindustrialisierung Deutschlands“. Bevor wir wieder mit unseren Steuergeld-Milliarden einen „Industriestrompreis“ subventionieren, muss ja mal die Frage erlaubt sein, ob nicht sogar eine gewisse Deindustrialisierung für Deutschland vorteilhaft wäre: Brauchen wir wirklich eine so große Papierindustrie, die uns immer weniger Inhalt in immer größere Schächtelchen verpackt? Brauchen wir eine so große Glasindustrie, die sich vor allem auf das stoffliche Recycling beschränkt, und das Olivenglas nach der letzten der 13 Oliven wieder mit 1.300°C inkl. der entsprechenden CO2-Emissionen einschmilzt? Brauchen wir eine so große Bauwirtschaft, die neben den üblichen „Politiker-Denkmälern“ immer mehr Wohnraum pro Person neu baut, und uns damit das Klima ruiniert? Das Arbeitsplatz-Argument zieht da nicht: im Handwerk werden mehr Menschen beschäftigt als in den Energieintensiven Industrien; zudem fehlen in Deutschland Arbeitskräfte.
Einige Wirtschaftsmedien sehen das natürlich anders. Sie sind nicht nur bereit, Unwahrheiten, falsche Narrative und geistigen Müll aus der Lobbyisten-Ecke in die breite Bevölkerung zu transportieren, sie betätigen sich auch selbst als Lobbyisten. Im 2. Teil dieses Artikels werden wir uns daher mit einigen der Medien und ihren Vertretern beschäftigen.
Das Dummschwätzen der Wirtschaftsmedien, Teil 1: Themen
Das Dummschwätzen der Wirtschaftsmedien, Teil 2: Medien