15.03.2024
„Heizen mit Wasserstoff ist wie duschen mit Champagner“ – eine Warnung
Ein Bericht von Antje Schweinfurth
Mehr als 80 Prozent der Wärmeversorgung in Deutschland wird durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern gedeckt. Bis zum Jahr 2045 sollen 100 Prozent der Wärme aus Abwärme oder erneuerbaren Energien stammen – überwiegend aus lokalen Quellen. Um die Wärmewende voranzubringen, sollen spätestens Mitte 2028 alle neuen Heizungen mit 65 Prozent erneuerbarer Energie betrieben werden. Das oft „Heizungsgesetz“ genannte GEG sieht zugleich vor, dass mit Erdgas befeuerte Gasheizungen weiterhin eingesetzt werden können. Aber nur, wenn diese technisch dazu in der Lage sind, Wasserstoff zu verarbeiten (H2-ready). Und wenn Gasverteilnetzbetreiber einen Transformationsplan vorlegen, wonach das entsprechende Versorgungsgebiet bis zum Jahr 2035 auf Wasserstoff umgestellt werden soll. Auch ein Betrieb mit entsprechenden Anteilen von gasförmiger Biomasse ist eine Erfüllungsoption im aktuellen Gesetzestext. Der Einbau einer neuen Gasheizung in der Hoffnung, diese kurz- oder mittelfristig mit klimaneutralem Wasserstoff oder gasförmiger Biomasse betreiben zu können, ist jedoch mit immensen ökologischen und finanziellen Risiken verbunden. Deshalb warnt das Umweltinstitut München Städte und Gemeinden vor den hohen Kosten des angeblichen Energieträgers der Zukunft.
Kommunale Wärmeplanung
Die Kommunen müssen bis spätestens 2028 eine Wärmeplanung vorlegen. Alle Großstädte bis Ende Juni 2026. Kleine Kommunen können sich zusammenschließen oder ihre Stadtwerke beziehungsweise ein Planungsbüro beauftragen. „Gesetzlich vorgesehen ist dabei eine minimale Form der Bürgerbeteiligung. Nach Veröffentlichung der Ergebnisse haben die Bürger einen Monat Zeit, um Einspruch zu erheben“, sagte Wiebke Hansen, Beraterin Kommunale Energiepolitik, vom Umweltinstitut München (UIM) beim Webinar „Achtung Kostenfalle: Wasserstoff nicht verheizen“, zu dem das UIM vor Kurzem eingeladen hatte. Die Wärmeplanung umfasse Zielszenarien für 2030, 2035, 2040 und 2045, einen Umsetzungsplan sowie eine Karte der Versorgungsgebiete mit einer kleinteiligen Aufteilung, um zu analysieren, welche Wärmeversorgung in diesem Gebiet voraussichtlich am kostengünstigsten sei.
„Grüner Wasserstoff als klimaneutraler Energieträger hat durchaus seine Vorteile für die energieintensive Industrie, in der Luft- und Schifffahrt und als Speichermedium. Doch bei der Nutzung von blauem Wasserstoff gibt es ebenfalls Umweltschäden“, erklärte Henning Peters, Referent für Energie- und Klimapolitik beim UIM. Wasserstoff zum Heizen einzusetzen sei teuer und ineffizient. „Heizen mit Wasserstoff ist wie Duschen mit Champagner!“, zitierte Peters die Energieökonomin Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Eine wissenschaftliche Metastudie, bestehend aus 54 unabhängigen Studien, habe ergeben, dass Wasserstoff 80 Prozent teurer sei als der Einsatz von Wärmepumpen. Für die Herstellung von Wasserstoff werde viel Strom benötigt und der Wirkungsgrad sei drei- bis fünfmal niedriger als bei einer Wärmepumpe. Nur bei 1 Prozent des Gebäudebestands sei der Einsatz von Wasserstoff für Wohnraumwärme sinnvoll. „Das ist wissenschaftlicher Konsens“, mahnte Peters. Wasserstoff werde langfristig rar und teuer bleiben. Für Endverbraucher*innen werde der größte Kostenpunkt daher in den Brennstoffpreisen liegen. Ein Grund dafür sei die niedrige Effizienz bei der Herstellung von erneuerbar produziertem Wasserstoff, die sich aller Voraussicht nach bis 2050 nicht bedeutend erhöhen werde. Der verfügbare Wasserstoff werde zudem dringend für Industrieprozesse gebraucht.
Teurer als die Wärmepumpe
Sollte es zum erwarteten umkämpften Wettbewerb auf dem Wasserstoffmarkt kommen, werde der Einkaufspreis von Wasserstoff für die Wärmeversorgung am Ende die Verbraucher teuer zu stehen kommen. Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos ergaben, dass das Heizen mit Wasserstoff 2035 in typischen Ein- und Mehrfamilienhäusern mehr als doppelt so teuer als mit einer Wärmepumpe wäre. Besonders Mieter, die von der Entscheidung der Gebäudeeigentümer abhängig seien, wären von den hohen Brennstoffpreisen betroffen. Sollten diese weiter auf Gasthermen setzen, ohne dass der benötigte Wasserstoff verfügbar sei, seien Mieter zudem an steigende Erdgaspreise gebunden. Auch bei der Versorgung von Fernwärmenetzen mit wasserstofffähigen Kraftwerken müssten sich Energieversorger auf hohe Großhandelspreise einstellen. Eine Untersuchung des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts „HYPAT“ zeige beispielsweise, wie der Wasserstoffpreis die Nachfrage aus verschiedenen Sektoren beeinflusse. Demnach werde Wasserstoff bei realistischen Preisen in der Fernwärme nur in sehr geringen Mengen und in der individuellen Gebäudewärme gar nicht eingesetzt.
Die Gasindustrie selbst habe nur vier Studien in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse seien völlig konträr zum wissenschaftlichen Konsens. Die Abschätzung des Wasserstoffbedarfs sei gelungen, aber die Verfügbarkeit vom Strom abgekoppelt, wie auch in einer BMWK-Studie. Die maximale Wasserstoffverfügbarkeit liege demnach bis zum Jahr 2045 bei circa 700 Terawattstunden (TWh). Im Gegensatz dazu kämen Studien, wie die von Ariadne remind, auf circa 120 TWh Endenergie, Agora Szenario auf circa 250 TWh, der BDI auf circa 280 TWh und die DENA auf circa 470 TWh.
Die Infrastruktur von heute werde zur Kostenfalle. Die Agora Energiewende gehe davon aus, dass 90 Prozent der deutschen Gasnetze 2045 nicht mehr gebraucht werden, da sich immer mehr Kunden gegen Gasheizungen entscheiden und Gebäude zunehmend besser gedämmt seien. Sollte das geplante Wasserstoffnetz doch nicht umgesetzt oder versorgt werden können, sei der Gasverteilnetzbetreiber, häufig ein Stadtwerk oder kommunales Unternehmen, zu Entschädigungszahlungen für bereits getätigte Wasserstoff Ready Investitionen ihrer Kunden verpflichtet. Zusätzlich hätten die Kommunen dann ein nicht gebrauchtes Gasnetz. Und Stadtwerke, die oft den ÖPNV querfinanzieren, kämen in finanzielle Nöte. Hier fehle die Rückendeckung durch den Staat.
„Die Gaslobby verspricht viel und billigen Wasserstoff“, merkte Hansen an. Die Annahmen von Preisen und Verfügbarkeit entsprächen nicht den Tatsachen. Fast 60 Prozent des deutschen Gasverteilnetzes gehören Unternehmen, die sich in einem Lobbyverband zusammengeschlossen hätten. Diese Verbände würden in die Kommunen hineinwirken. Ein Instrument dabei sei der Gastransformationsplan als Grundlage für die Planung.
Pilotprojekt in Oberbayern
Ein Pilotprojekt werde derzeit in Hohenwart (Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm) durchgeführt. Hier würden zehn Kunden, bestehend aus privaten Haushalten und einem Gewerbekunden, beginnend zur Heizperiode 2023/24 auf grünen Wasserstoff umgestellt, Raumwärme und Warmwasser CO2-neutral erzeugt. Für die Versorgung sei eine Trailerstation und eine Einspeiseanlage aufgebaut worden. Der Wasserstoff werde per Lkw geliefert. Die Projektdauer sei vorerst auf 18 Monate festgelegt. Die Versorgung sei für diese Zeit kostenfrei. „Zu beachten ist, dass in diesem Gebiet neuere Gasleitungen verlegt sind, denn Wasserstoff ist ein aggressives Gas und führt schnell zu Korrosion“, so Hansen.
Ein Appell an die Kommunen
Die Nutzung von Wasserstoff zum Heizen verursacht dem Umweltinstitut München zufolge neue Investitionen und verhindert bessere Lösungen. Die Bundesnetzagentur habe bis heute nicht geklärt, wie der Gasausstieg finanziert werden solle. Deshalb appelliert das Umweltinstitut München an alle Kommunalpolitiker:innen: „Schützen Sie Ihre Bürger und Gasverteilnetzbetreiber vor dem hohen Kostenrisiko Wasserstoff, indem Sie
- den Energieträger Wasserstoff in der kommunalen Wärmeplanung als wirtschaftlich sehr riskant einordnen und für industrielle Abnehmer vorbehalten;
- keine Wasserstoffnetzgebiete für Gebäudewärme ausweisen und in der Fernwärme Wasserstoff maximal zur Spitzenlastabdeckung verwenden;
- den Ausbau der Fernwärme und die Stärkung des bestehenden Stromnetzes zur Sicherung der Versorgung strombasierter Wärmequellen unterstützen.“