15.03.2019
Genfer Sehen
Genf, Schweizer Weltstadt am gleichnamigen See, erlebt jedes Jahr Anfang bis Mitte März die „Invasion“ der weltweiten Autoindustrie. Hier zeigen auf dem internationalen Genfer Automobil-Salon die Hersteller von fast allen Kontinenten, was das Publikum sehen soll, und wie sie selbst gesehen werden wollen. Während sich in den vergangenen Jahren hauptsächlich große fossile SUVs in den Messehallen breit machten, kann der Besucher dieses Jahr eine erstaunlich hohe Anzahl von Premieren bei E-Autos begutachten. Machen Sie mit uns einen kritischen Rundgang und schauen sich auch Dinge an, die Sie in den üblichen Automagazinen meist nicht zu sehen bekommen:
ABT, in Kempten/Allgäu beheimateter Tuning-Spezialist für Fahrzeuge des VW-Konzerns, zeigt einen E-Transporter auf Basis des T6(.1) – ein Fahrzeug, dass bereits zum Herbst auf den Markt kommt (Vertrieb: VW) und wohl dem Nissan e-NV200 als Handwerker-Auto Konkurrenz machen soll. Der 82 kW-Motor bringt zugkräftige 200 Nm Drehmoment, speist sich aber aus einem Akku von nur rund 37 kWh. Der Auftritt des neuen E-Transporters ist insofern eine Überraschung, als dass bereits ein Jahr später im Herbst 2020 der neue VW „Bulli“ T7 auf Basis des Modularen Elektrifizierungs-Baukastens (MEB) kommen dürfte, oder auch nicht?
Arcfox, eine Tochtermarke des chinesischen Autokonzerns BAIC, lässt auf Stand 1040 seinen Supersportwagen Arcfox-GT schimmern. Das mit Carbon karosserierte Gefährt soll von vier E-Motoren mit 1.020 PS in 2,59 s 100 km/h beschleunigt werden. Überhaupt ist Genf in diesem Jahr ein „Nest“ der Supersportwagen und Hypercars. Daneben nimmt sich der große SUV Arcfox ECF (Electric Concept Fox) fast schon unscheinbar aus.
Aston Martin, klassische britische Sportwagen-Schmiede, setzt seine neue Zero-Emissions-Plattform ein und montiert darauf mit dem Lagonda All-Terrain Concept einen Luxus-SUV, den ersten unter dem Namen Lagonda. Im Gegensatz zum üblichen breit-bräsigen Auftritt seiner Gattungs-Genossen haben die Sportwagenbauer aus dem englischen Gaydon zumindest Wert auf ein originelles, stromlinienförmiges Äußeres gelegt. Leistungsdaten? „Schau‘n mer mal“.
Audi fährt bei seinem Stand 1060 den kleinen SUV Q4 E-Tron Concept auf. Das Fahrzeug beruht auf dem modularen Elektrifizierungs-Baukasten (MEB) des VW-Konzerns. Die zwei E-Motoren mit 225 kW/304 PS sollen für 6,3 s von 0 bis 100 km/h sorgen, der 82 kWh-Akku für eine Reichweite von 450 km.
Automobili Pininfarina schickt sein Hypercar Battista mit 1.900 PS und 2 s von 0 auf 100 km/h in den Schneller-Stärker-Teurer-Wettbewerb. Das Fahrzeug soll nur 150 Mal in Handarbeit gefertigt werden.
Citroen, Teil des französischen Autokonzerns PSA, lässt sein Konzept-Auto Ami One seine Runden drehen. Das zweisitzige Fahrzeug ist gedacht als urbane Mobilitäts-Alternative zu ÖPNV, Scootern und Zweirädern. Dass Citroen, ehemals E-Mobilitäts-Vorreiter beim parallel zu Mitsubishis MIEV produzierten C-Zero, derzeit elektrisch kaum mehr zu bieten hat als das Spaß-Auto eMehari und ein Konzept-Auto, ist enttäuschend und zeigt im Vergleich zum Staatsunternehmen Renault, dass Privatkonzerne nicht immer innovativer, kreativer und schneller sind als staatliche.
Devinci rollt mit dem Roadster DB 718 ein Fahrzeug im Stil der 1930er Jahre auf die Bühne. Den Roadster gibt es in drei Versionen mit unterschiedlichen Akku-Größen. Auch wenn es derzeit ein Trend ist, neue E-Autos im Stil vergangener Jahrzehnte zu bauen, so sind doch Zweifel angebracht, ob sich das auch als dauerhaft funktionierendes Geschäftsmodell etablieren lässt. Die Elektrifizierung teurer Oldtimer, für deren Motoren es keine Ersatzteile mehr gibt, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
DR Automobiles SRL lädt die Messebesucher zu einem Blick auf den DR3 EV ein: Der 90 kW starke E-Motor speist sich aus einer Batteriekapazität von 54,3 kWh und ermöglicht eine Reichweite von rund 400 km. Das Besondere der weitgehend unbekannten Marke aus der mittelitalienischen Kleinstadt Macchia d’Isernia: sie importiert chinesische Autoteile und baut damit eigene Fahrzeuge. Dies ist durchaus interessant, da sich der chinesische und der europäische Geschmack bezüglich Karosserie und Interieur nicht unbedingt decken.
E.GO MOBILE AG aus Aachen zeigt auf Stand 1020 mit dem Life Concept Sport, dass in seinem in wenigen Wochen auf den Markt kommenden E.GO Life mehr Potential steckt als nur „nützlich und sparsam“. Ebenfalls zu sehen ist mit dem e.GO Mover Lux eine Luxusversion des autonom fahrenden (Level 4) Kleinbusses e.GO Movers – wozu auch immer.
E‘Mobile, kleiner aber agiler Mobilitätsdienstleister aus der Schweiz, rückt nicht nur den Twike5 ins Rampenlicht, der alle Jahre wieder „bald“ kommt, sondern zeigt mit dem nur 45 km/h schnellen Bicar einen einsitzigen Threewheeler für städtische Sharing-Mobility.
Fiat, das sich bezüglich E-Mobilität bisher sehr zurückgehalten hat, überrascht mit seinem Konzept Centoventi, einem modularen Kleinwagen, bei dem sich nicht nur die äußeren und inneren Styling-Elemente wie Stoßstangen, Seitenverkleidungen und Armaturenbretter nach Vorlieben des Kunden konfigurieren bzw. austauschen lassen, sondern sich auch die Akkukapazität nachträglich durch das Zukaufen oder Mieten weiterer Akkuelemente vergrößern lässt. Wie alle modernen E-Autos hat der Centoventi zumindest ein PV-Modul auf dem Dach.
GFG Progetti SRL, die Design-Domäne der Giugiaro-Söhne Giorgetto und Fabrizio, führt ihren Hyper-SUV Kangaroo vor: Carbon-Karosserie auf Aluminium-Spaceframe, Allradantrieb und Allradlenkung, alles was gut und teuer ist. Aber dann braucht das Hyper-Geschoss geschlagene 3,5 Sekunden von 0 aus 100 km/h – da ist mancher Tesla S schneller.
Hispano-Suiza, in den 1920er und 1930er Jahren wie Bugatti, Isotta Fraschini, Maybach und RollsRoyce zur europäischen Luxusklasse gehörig und dann lange aus dem Straßenbild verschwunden, rollt seinen Edel-GT Carmen auf die Bühne. Das Fahrzeug macht Anleihen an klassischen Hispano-Suiza-Designs, hat aber 1.019 PS – alles andere hätte wohl auch enttäuscht.
Honda zeigt erneut – wie schon 2017 – seinen viertürigen Standwagen mit rund 200 km Reichweite. Jetzt heißt er aber „e Prototype“ statt „Urban EV Concept“ und soll nun doch, anders als zum letzten Jahreswechsel angekündigt, noch in diesem Jahr produziert werden … ob der neue Name den Produktionsbeginn wohl beschleunigt hat?
Italdesign-Giugiaro, die Firma von Italiens Design-Papst Giorgio Giugiaro, enthüllt den Forschungsprototyp eines viersitzigen Elektro-GT namens DaVinci mit beeindruckenden doppelformatigen Flügeltüren. Mangels technischer Informationen ist es noch verfrüht zu sagen, ob der Wagen zu Recht den Namen des Genies trägt. Zweifellos wäre aber dem großen Renaissance-Designer aufgefallen, dass heutige E-Autos keine großen Kühlergrills mehr benötigen!
KIA entwirft mit dem Imagine das Konzept eines fünftürigen Crossovers. Das Fahrzeug, dass die Designsprache für künftige Kia-Modelle zeigen soll, hebt sich durch fehlende Kantigkeit und offensichtlich gute Aerodynamik wohltuend von den üblichen SUVs ab. Technische Daten gab es nicht.
Mercedes Benz zeigt sein Konzept-Auto EQV. Der E-Minivan im Stil der hauseigenen V-Klasse hat einen Frontantrieb mit 150 kW, der Akku mit einer Kapazität von 100 kWh soll eine Reichweite von rund 400 km ermöglichen.
Mitsubishi Motors platziert mit dem Engelberg Tourer einen kastenhaft-klobigen Konzeptwagen in Form eines Hybrid-SUVs, der eigentlich keiner Erwähnung wert wäre - würde er nicht das bidirektionale Laden beherrschen. Der Sechssitzer kann so an einer entsprechenden Ladebox bzw. Wallbox zum Stromlieferanten werden. Ein entsprechendes Konzept namens Dendo Drive House (DDH) präsentiert Mitsubishi ebenfalls in Genf.
Nobe Cars, eine kleine Auto-Manufaktur aus Estland, sucht mit dem Nobe 100 EV das Licht der Öffentlichkeit. Das allradangetriebene Trike hat drei Sitze, ein abnehmbares Dach, soll 110 km/h schnell sein und eine Reichweite von 270 km haben. Das Problem: der wohl ab 2020 produzierte Nobe 100 EV ist ein Retroauto, und während das Heck aerodynamisch und ästhetisch wunderbar gelungen ist, blickt einem von vorn ein nicht gerade attraktives britisches Auto der 1950er entgegen. Der geforderte Preis ab € 37.000 bewegt sich zudem in einer Dimension, dass er sogar ein fünfrädriges Auto mit Allradantrieb rechtfertigen würde.
Peugeot, Teil des PSA-Konzerns, wird endlich elektrisch innovativ: der e-208 auf Basis der neu entwickelten CMP-Plattform verfügt über einen 100-kW-Motor, einen 50-kWh-Akku und erzielt so nach WLTP eine Reichweite von 340 km. Mit dem Kleinwagen e-208 will Peugeot wohl endlich eine Antwort auf Renaults ZOE geben.
Piëch Automotive, dieser Name klingt in der Autowelt nicht nur zufällig bekannt: Gründer der AG ist Ferdinand Piëchs Sohn Anton, und der Familientradition gemäß schickt er mit dem Piëch Mark Zero einen Sportwagen ins Rennen um die Kundengunst. Allradantrieb mit ca. 300 kW, Preise von € 150.000,-- + oder ++, modulare Plattform, Marktstart wohl 2022. Das Besondere an dem an einen Aston Martin oder einen Maserati erinnernden Sportwagen sind die völlig neuen Akkuzellen aus China, die auch bei hohen Beanspruchungen (Vollgas, Dauer-Rekuperieren bei langen Bergabfahrten, Super-Schnellladen) nicht heiß werden.
Polestar, wie Volvo ein Tochterunternehmen von Chinas Autobauer Geely, macht mit dem Polestar 2, dem ersten rein elektrischen Fahrzeug der Marke, auf sich aufmerksam. Die fünftürige Limousine wird ab 2020 in China gefertigt, ist nur über das Internet bestellbar, und gilt als Antwort auf den Tesla 3. Technische Daten: 300 kW Allradantrieb, 78 kWh Batteriekapazität und damit eine Reichweite von ca. 500 km.
Sbarro, Schweizer Autobauer aus Grandson und Spezialist für Replicas sowie unkonventionelle Prototypen, stellt mit El-Rickshaw ein am Vorderrad angetriebenes Trike für vier Personen vor, dass als wendiger Privatwagen oder ebensolches Taxi für Megacities gedacht ist. Der E-Motor des seitlich offenen Fahrzeugs soll nur 15 PS leisten.
Seat rückt mit dem el-born einen nach der unternehmenseigenen Designphilosophie kantigen SUV ins Rampenlicht, der natürlich auf der MEB-Plattform des VW-Konzern basiert und wohl 2020 das Licht des Automarktes erblicken soll. Technische Daten: der 62-kWh-Akku verhilft zu 420 km Reichweite nach WLTP, der E-Motor mit 150 kW zu 7,5 s von 0 auf 100 km/h.
Share2Drive, Mobilitätsdienstleister aus Aachen, führt sein Carsharing-Fahrzeug SVEN (= Shared Vehicle Electric Native) vor. Das zweisitzige E-Auto mit den nach vorn fahrenden Schiebetüren ist ausschließlich für Carsharingflotten gedacht und wurde von der FEV Gruppe entwickelt. Das nur 2,50 Meter lange Fahrzeug wird durch einen 24 KW starke E-Motor angetrieben; die Batterie mit 20 kWh soll eine Reichweite von 140 km ermöglichen. Was dem Fahrzeug eindeutig fehlt sind PV-Panels, die es während der nicht ausbleibenden Standzeiten wieder aufladen könnten.
Sin Cars, englische Autoschmiede mit einer Vorliebe für Flügeltür-bestückte Sport- und Rennwagen, hat mit L City eine hochvariable, modulare Plattform geschaffen, die unterschiedlichste Fahrzeug- und Akku-Größen, Fahrzeugkonzepte (Sportwagen oder SUV) sowie Antriebskonfigurationen (Zwei- oder Vierrad) zulässt.
Skoda als weiteres Tochterunternehmen des VW-Konzerns zeigt seinen Vision iV, der – natürlich – auf der MEB-Plattform basiert. 225 kW bringen den gewiss nicht leichten Wagen in 5,9 Sekunden auf 100 km/h und lassen eine Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h zu, der 83-kWh-Akku erlaubt eine maximale Reichweite von 500 km. Die Linienführung des Crossovers ist deutlich eleganter als beim Schwesterunternehmen Skoda, doch auch hier ist der wuchtige Kühler technisch überflüssig.
Smart, das im nächsten Jahr zu einer reinen E-Auto-Marke wird, zeigt mit dem aus dem Forease weiter entwickeltes, zweisitziges Showcar Forease+ , welche Optionen und Potentiale in diesem Fahrzeugtyp noch stecken.
Tata Motors, Mobilableger des indischen Großkonzerns Tata, präsentiert in Genf den Stadtwagen Altroz EV, der aus der neuen Alfa-Architektur (Agile Light Flexible Advanced) des Unternehmens beruht, auf der auch Fossil-Fahrzeuge aufsetzen können. Technische Details zu dem Wagen in der Größe eines Honda Jazz oder Hyundai i20 gibt es bisher nicht.
VW hat sich für seine Präsentation für ein emotionales Fahrzeug entschieden: den ID. Buggy. Das Spaßfahrzeug hat wie sein historisches Vorbild aus den späten 1960ern keine Seitentüren und baut auf der konzerneigenen Plattform auf, wie auch alte Buggy auf dem Käfer-Fahrgestell basierte. Ein 150-kW-Motor, ein 62-kW/h-Akku und Allradantrieb sollen zum Einsatz kommen. Ein entscheidender Vorteil der neuen ID. Buggys: Öl- und Benzin-Flecken am Strand wird es mit ihnen nicht mehr geben.
Insgesamt macht dieser 89. internationale Genfer Automobil-Salon deutlich, dass der Trend zur E-Mobility nicht mehr aufzuhalten ist. Zwar sind viele der vorgestellten Fahrzeuge noch Showcars oder Konzepte, aber auch in ihnen stecken Entwicklungsgelder, die auf die eine oder andere Weise mit E-Autos wieder eingespielt werden müssen. Diese Tatsache gibt natürlich auch für die Fossil-Fahrzeuge, und macht deutlich, warum der Autoindustrie der Abschied vom Verbrenner so schwerfällt. Der Genfer Auto-Salon geht noch bis zum kommenden Sonntag.
Götz Warnke