15.02.2019
Von der Brückentechnologie zur globalen Nummer Eins
In der Empfehlung der Kohlekommission, nach der Kohle die Stromerzeugung per Gaskraftwerke zu intensivieren, sieht Stefan Kohler, ex Dena-Chef und inzwischen Vorsitzender des Aufsichtsrates von Zukunft Erdgas „das Rezept für bezahlbaren Klimaschutz in der Stromerzeugung“. Da bleibt so manchem Solarfreund der Mund offen stehen. Die Bundesregierung müsse den Gaskraftwerksbestand nicht nur sichern, sondern durch Neubau vor allem von BHKWs für die Kraft-Wärme-Koppelung fit für die Zukunft zu machen. Das Thema Erdgas, das anfangs klein und bescheiden im Schatten von Kohle und Atom als „Brückentechnologie“ beworben wurde, ist inzwischen Gegenstand der Weltpolitik. Im Sprech der BASF-Tochter Wintershall nennt sich das zwar immer noch „Kombi für die Energiewende: Erneuerbare und Erdgas“, aber es ist offensichtlich, die Erdgaskonzerne aus Ost und West kämpfen um die Vormacht auf dem Weltmarkt. Dass es den Großen aus der rohstoffbasierten Energiewelt wohl weniger um die Erneuerbaren geht und Erneuerbare längst zum Schmuck am Nachthemd verkommen sind, zeigen die riesigen Summen, die gegenwärtig investiert werden. Erdgas soll zur Nummer Eins der Energieerzeugung werden. Dafür werden Milliarden eingesetzt.
Damit ist nicht nur die North Stream 2-Pipeline gemeint, die mehr als 10 Mrd. Euro kosten und jährlich 55 Mrd. m3 Gas von Gazprom transportieren soll. Um sie schien der jahrelange Streit in den letzten Tagen sogar so weit zu eskalieren, dass politische Beobachter die deutsch-französische Freundschaft in Gefahr sahen. Schnell wurde ein Kompromiss über die EU Gas-Richtline gefunden, Betreiber und Nutzer dürfen nun nicht zu sehr verbandelt sein. Denn am übergeordneten Thema „Weltmacht Erdgas“, dem das Potenzial zugeschrieben wird, sogar das Erdöl zu überrunden, sind auch die Franzosen interessiert. Schließlich baut mit „Engie“ ein französisches Unternehmen am langen Rohr durch die Ostsee mit. Zeitgleich und mit dem bekannten Hauptakteuren, allen voran Gazprom, entsteht die neue Gaspipeline „Turkish Stream“ durch das Schwarze Meer. Die Ende 2019 in Betrieb gehende, 930 Kilometer lange Transportleitung zwischen der russischen Schwarzmeerküste und Kiyiköy am westtürkischen Bosporus besteht aus zwei Leitungssträngen mit einer Transportkapazität von jeweils knapp 16 Mrd. m3. Sie ist bereits vollständig verlegt. Ein Strang der neuen Gaspipeline ist für Lieferungen in die Türkei bestimmt, der zweite soll süd- und südosteuropäische Länder mit russischem Gas versorgen.
So viele Brücken zu Solar- und Windenergie kann es gar nicht geben, wie die Expansionspläne der Investoren vorsehen. Dass die US-Konzerne dabei nicht abseits stehen wollen, dürfte nicht verwunderlich sein. Zumal das nordamerikanische Schiefergas mit seinem hohen Ethan-Anteil mit besonderen Qualitäten für die Plastikherstellung aufwarten kann. Auch die Investitionen in die sogenannte LNG Infrastruktur, bei der die Bundesregierung inzwischen großen Druck macht, sind ein weiterer Baustein dafür, dass der Siegeszug des Erdgases voranschreiten kann. Dahinter stehen handfeste Wirtschaftsinteressen, die erwarten, dass aus ihren Megainvestitionen jahrzehntelange Profite sprudeln. Mit einer Energiewende und dem Ausstieg auf der Verbrennung fossiler Stoffe hat das nichts zu tun. Die Metapher von der Brückentechnologie war ein Propagandacoup, der die breite Masse der Bevölkerung ablenken und beruhigen sollte. Eine erstaunlich große Zahl von Solarfreunden ist darauf hereingefallen und tut sich bis heute schwer, dies einzugestehen. Noch immer beten einige die Mär von den „emissionsarmen Gaskraftwerken“ nach, die weniger CO2 ausstoßen würden und unterschlagen dabei das Methan aus den Vorkettenemissionen. Es ist peinlich, wenn Solarfreunde die Expansion der Erdgaskonzerne verteidigen, anstatt dagegen zu kämpfen.
Das gilt im Übrigen auch für die Diskussion, ob „wir“ überhaupt so viel Erdgas bräuchten, wie die Pipelines ins Land bringen werden. Eigentlich nicht verwunderlich, dass hier Agora Energiewende mit unterwegs ist. Deren „Analyse“ habe ergeben, so stellt Zukunft Erdgas als Auftraggeber erfreut fest, dass die Kapazitäten im Großen und Ganzen vorhanden seien. Die bestehenden Gaskraftwerke müssten nur besser ausgelastet werden, dann wäre das mit dem Kohleausstieg kein Problem. Und Zukunft Erdgas meint, ein „vollständiger Ersatz durch Gas würde den Zusatzbedarf auf rund 81 Terawattstunden“ erhöhen. Der Gasbedarf in Deutschland würde dadurch bis 2022 nur um bis zu 8 Prozent ansteigen. Die bestehende Gasinfrastruktur sei bereits heute dafür ausgelegt. Neue LNG-Terminals, die Vollendung der Integration des europäischen Gasmarkts sowie neue Pipelines würden die Versorgung in Zukunft noch weiter absichern. Na bitte, zumindest um die Versorgungssicherheit brauchen „wir“ uns keine Sorgen machen.
Aber die Frage, ob Überkapazitäten aufgebaut werden, die sich gegen die Erneuerbaren wenden, ist berechtigt. Wie vor 400 Jahren die Kohle und vor etwas mehr als 100 Jahren das Erdöl als Quelle des Profit eine ungeheure Kraft entfaltet und zu mächtigen Kartellen und Konzernen geführt hat, genauso wirken diese Mechanismen auch heute. Das in die Förderung, Verteilung und Verbrennung von Erdgas investierte Kapital muss zu einem akzeptablen Return of Investment führen. Darauf werden Eigner und Aktionäre bestehen. Und das macht sie zu natürlichen Feinden der Erneuerbaren. Und „wir“ werden auch nicht darauf hoffen dürfen, dass „sie“ uns ihre Infrastruktur „später“ einmal für Power to Gas in die Hände legen werden. So blauäugig dürfen wir nicht sein. Was ansteht, und das ist überdeutlich nach der politischen wie wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Monate, die Großen wollen das Geschäft alleine machen. Ohne Solar und Wind in der Strom- und Wärmeversorgung.