14.12.2018
Die Niederlande beginnen mit dem Ausstieg aus dem Erdgas
Während sich deutsche Solarfreunde immer noch an die liebgewordene, wenn auch falsche Theorie vom Erdgas als der Brückentechnologie für die Erneuerbaren festklammern, bereiten die Niederlande die Abkehr vom Gas vor. Ende März dieses Jahres hat das Kabinett in Den Haag beschlossen, die Gasförderung in der Provinz Groningen massiv zurückzufahren und im Jahr 2030 komplett zu beenden. Bis 2050 sollen die Niederlande fossilfrei werden. Das geschah auf starken Druck der Bevölkerung. Denn die Erdgasförderung, die seit den 1980er Jahren ein großes Geschäft brachte - auch deutsche Unternehmen und Verbraucher wurden und werden beliefert - war schon immer umstritten. Auf die anfängliche Euphorie, dass man ganz einfach auf die Kohle verzichten und einheimisches Erdgas nutzen könne, folgten sehr schnell die Probleme. In den Gasfördergebieten entstanden Frakturen im Untergrund und die Erdblöcke begannen sich gegeneinander zu schieben. Das führte zu Erdbeben, die bis heute anhalten. Inzwischen sind es über 1.000. Immer mehr Häuser bekamen Risse, teilweise müssen sie heute schon abgestützt werden.
In den Auseinandersetzungen, die zwischen Hausbesitzern und der niederländischen Erdgasgesellschaft NAM und der Regierung entstanden, spielten NGOs, in denen sich die Betroffenen zusammengeschlossen hatten, eine wichtige Rolle. So etwa die „Groninger Bodem Beweging“. Erst durch ihren Kampf wurde der Zusammenhang zwischen Erdgasförderung und Erdbeben offiziell anerkannt und das Recht auf Entschädigung zugestanden. Bis heute werden aber heftige Auseinandersetzungen um die Höhe der Entschädigungen geführt. Denn der Staat möchte nur 1,15 Mrd. Euro locker machen, gegenüber 260 Mrd. Euro, die verdient wurden, so die NGOs. Immerhin sind die Niederlande der größte Erdgasproduzent der EU.
Aber hinter dem Beschluss, sich vom Erdgas zu verabschieden, steht nicht nur das Problem mit den Erdbeben. Teile der Niederlande liegen unterhalb des Meeresspiegels oder nur knapp drüber. Das Bewusstsein, dem Klimawandels nicht einfach lammfromm zuschauen zu dürfen, sondern etwas dagegen zu unternehmen, hat sich bei unseren Nachbarn inzwischen weit verbreitet. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass an der niederländischen Regierung, die den Ausstiegsprozess eingeleitet hat, die Grünen gar nicht mal beteiligt sind. Unseren Nachbarn dämmert es schlicht und einfach, dass man sich zu lange auf dem vorhandenen Erdgas ausgeruht und die Energiewende verpennt hat. Und das wollen immer mehr Bürger ändern und suchen konkrete Alternativen zu den Fossilen.
Bislang gehören die Niederlande noch zu den Schmutzfinken der EU. Ihr Anteil Erneuerbarer Energie liegt bei 6,7 Prozent. 93,3 Prozent des Energieverbrauchs sind immer noch fossil. Gerade das Tempo der Modernisierungen im Wärmebereich ist alles andere als berauschend. Pro Jahr werden aktuell nur zwischen 2.000 bis 3.000 Wohnungen energetisch saniert. Im ganzen Land gibt es aber 7,6 Mio. Wohnungen. Diese Zahlen führen natürlich zu Debatten über die Geschwindigkeit, mit der der Wandel vollzogen werden soll. Und gerade in der Erdgasregion Groningen wird, gewissermaßen am offenen Herzen, der Ernstfall mit dem Umbau geprobt. Eine Umstellung auf Wärmepumpenheizung, PV oder auch Geothermie, die dort möglich wäre, wird breit diskutiert.
So wird die Umstellung auf gasfreie Häuser momentan mit ca. 20.000 Euro berechnet. Doch ob die Besitzer auf den Kosten sitzen bleiben oder mit einer nennenswerten Unterstützung des Staates rechnen können, ist offen. Bis 2021 muss jede Gemeinde einen Plan für den Übergang erarbeiten. Bis dahin sollte es auch Klarheit über die Lastenverteilung geben. Immerhin habe die Entscheidung zum raschen Ausstieg einiges bewirkt, da sind sich Kritiker und Befürworter ziemlich einig: Überall im Land, in Wirtschaft, Industrie und Politik, werde nun fieberhaft nach guten Lösungen gesucht. Nach technischen wie finanziellen. Und die Diskussion nimmt weiter Fahrt auf.
Klaus Oberzig
Links:
Niederlande beenden Gasförderung, Deutschlandfunk 28.06.2018
Energiewende in den Niederlanden, 5 Beiträge vom 10 bis 14. Dezember im Deutschlandfunk