14.12.2018
Autonomes Fahren – Lösung oder Last der Verkehrswende
Glaubt man den unzähligen Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften, dann ist das „Autonome Fahren“ „The next big Thing“ der deutschen Industrie. Zu Lande, zu Luft und zu Wasser soll so die Mobilität der Zukunft aussehen, Fahrzeuge ohne Führer sollen zum Normalfall im Verkehrsgeschehen werden. Zugleich wird die Technik, auf die die deutsche Industrie eine Vielzahl von Patenten hält, mit allerhand Verheißungen für die nahe Zukunft verbunden: mehr Bequemlichkeit, mehr Sicherheit, mehr Klimafreudlichkeit, mehr Lebenszeit, mehr Chancengleichheit im Verkehr, mehr soziale und Generationen-Gerechtigkeit. Johann Jungwirth, Digitalchef von VW schreibt dazu in einem Focus-Artikel unter der Überschrift „Das Auto der Zukunft schenkt einem 37.668 Stunden Lebenszeit“ u.a. folgendes: „2021, in dreieinhalb Jahren, werden wir in zwei bis fünf Städten in den USA und vielleicht in Deutschland und anderen Teilen der Welt – in Abstimmung mit den Kommunen – selbstfahrende Autos ohne Lenkrad einsetzen. Dann können dort auch Blinde, Kranke und Kinder allein Auto fahren.“
Und es soll auch billig werden (Taxifahrer müssen ja eh nicht bezahlt werden): wer sich im autonomen Taxi einen Werbefilm ansieht und vielleicht sogar auf dem Weg am werbenden Supermarkt anhält um einzukaufen, könnte die Fahrt sogar umsonst bekommen. Wird sich also schon demnächst eine Art Verkehrsparadies auftun, das alle – oder zumindest doch die meisten – Verkehrsprobleme löst? Liegt die Lösung in der neuen Technik?
Dabei ist die Technik des autonomen Fahrens gar nicht mal so futuristisch. Aufzüge fahren seit Jahrzehnten selbstständig – der Beruf des Fahrstuhlführers ist längst abgeschafft. Auch U-Bahnen kommen in verschiedenen Städten ohne Fahrer aus. Eine größere Herausforderung für die als Künstliche Intelligenz (KI) bezeichnete digitale Steuerungstechnik sind nicht-schienengebundene Fahrzeuge. Hier werden zuerst Gebiete erschlossen, wo die Route des autonomen Fahrzeugs überschaubar ist (innerhalb von Krankenhäusern, Unternehmen oder kleineren Stadtteilen) oder wo wenig Verkehr herrscht wie z.B. auf manchen Schifffahrtsrouten über die Weltmeere. Einen nächsten Schritt wagt derzeit das Tochter-Unternehmen Waymo der Google-Mutter Alphabet mit seinem Taxi-Service Waymo One, der auf autonome Fahrzeuge setzt. Doch auch hier lassen sich die Erwartungen offensichtlich noch nicht erfüllen: nach Medienberichten sind selbst im überschaubaren Testgebiet in Phoenix/Arizona immer noch Sicherheitsfahrer mit an Bord, die in schwierigen Situationen wie dem Einfädeln auf die Autobahnen eingreifen. Es handelt sich also um ein „autonomen Fahren“ zwischen dem Level 3 (automatisiertes Fahren: Fahrer überlässt in einfachen Situationen der KI das Fahren) und dem Level 4 (vollautomatisierten Fahren: Fahrer greift nur bei einem Systemausfall ein). Der Level 5 (wirkliches autonomes Fahren ohne Fahrer und Lenkrad), auf den sich die verkehrspolitischen Verheißungen beziehen, ist damit noch lange nicht erreicht.
Doch irgendwann wird es auch Fahrzeuge auf Level 5 geben. Werden sich aber dann auch die Verheißungen erfüllen? Um dies einmal abzuschätzen, kann man die Erwartungen des VW-Digitalchefs Jungwirth in den Blick nehmen. Jungwirth erhofft sich
1. Mehr Sicherheit angesichts von 1,25 Millionen jährlichen Verkehrstoten weltweit, da autonomen Fahrzeugen keine menschlichen Fehler unterlaufen würden: Abgesehen davon, dass unter den 1,25 Millionen Verkehrstoten auch viele nicht von Kraftfahrzeugen verantwortete Opfer sind, und dass diese Form der Sicherheit nur bei der totalen Autonomisierung des gesamten Straßenverkehrs eintreten würde, schützt autonomes Fahren zweifellos sicher vor menschlichen Nachlässigkeiten und Fehlern. Allerdings sind auch autonome Fahrzeuge nicht vor (Teil-)Ausfällen sicher, die dann überraschend und ohne wirksame menschliche Reaktionsmöglichkeit auftreten werden. Zudem könnten diese Fahrzeuge gehackt und als Terrorwaffe missbraucht werden. Insofern ist zwar von weniger leichten, aber dafür ggf. schweren Unfällen auszugehen.
2. Mobilität für alle, eine quasi bedingungslose Grundmobilität: In der Tat werden innerhalb des „definierten Gebiets“, wo autonomes Fahren eingesetzt wird, alle Menschen unterschiedslos autonom fahren können – ob gesund oder krank, vom Baby bis zum Greis. Die gesellschaftlichen Ungleichheiten aber werden dafür zwischen Gebieten mit und ohne autonomes Fahren entstehen. Ob es in den letzteren dann noch genügend Busse und Taxen gibt, um auch den Menschen ohne eigenes Auto eine angemessene gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, darf bezweifelt werden.
3. Gewinn von sinnvoller Lebenszeit, weil man das autonome Auto als Augmented-Reality-Raum, als Kino, Konzertsaal etc. nutzen kann: Doch was ist mit den Menschen, die aktiv Auto fahren möchten und nicht sich einfach passiv durch die Gegend schaukeln lassen wollen? Menschen, die nicht wie die vielen wandelnden Smartphone-Trottel ohne Seitenblick durch den dichtesten Verkehr gehen, sondern die Welt um sich herum wahrnehmen und darauf lenkend reagieren wollen? Für diese Menschen hat autonomes Fahren kein Angebot, für sie ist diese Fortbewegung nur ein weiteres „Wir amüsieren uns zu Tode“ (Neil Postman) der allgegenwärtigen Unterhaltungsindustrie.
Insofern können die Jungwirthschen Verheißungen nicht überzeugen. Dabei hat er noch nicht einmal die wirklichen Problem-Punkte des autonomen Fahrens in den Blick genommen:
Ressourcenverbrauch: Jungwirth spricht zwar davon, dass in den autonom-mobilen Regionen nur ein Siebtel der Autos benötigt würde, doch damit lässt sich weder eine totale Automatisierung des Autoverkehrs (Sicherheit!) noch die „bedingungslose Grundmobilität“ für alle umsetzen. Die Autozahlen dürften steigen, zumal dann auch Kinder und Senioren Auto fahren werden. Dass die Autos alle zwei Jahre ersetzt werden müssen, wie Jungwirth meint, dürfte hingegen realistisch sein, da die Fahrzeuge u.a. seltener gereinigt/gepflegt werden als Privatwagen oder Taxen.
Verkehrssituation: bisher stehen viele Privatwagen auch auf privatem Grund. Sollen diese Privatfahrzeuge durch öffentlich zugängliche Autonom-Autos ersetzt werden, dann werden letztere aus Gründen der Zugänglichkeit – ähnlich wie beim heutigen stationslosen Carsharing – am Straßenrand parken. Folge: die Straßen werden voller. Dazu kommt ein stärkerer Autoverkehr durch die kostengünstige Transportmöglichkeit. Fachleute wie Seleta Reynolds, Generaldirektorin des Los Angeles Department of Transportation (LADOT), erwarten, dass sich durch autonomes Fahren die Verkehrssituation verschlechtern wird.
Energieverbrauch: Durch den wachsenden Autoverkehr wächst natürlich auch der Energieverbrauch, insbesondere, wenn jedermann billig und problemlos fahren kann, ohne z.B. einen Führerschein zu besitzen. Viele Wege, die ansonsten zu Fuß oder allenfalls mit dem Fahrrad zurückgelegt worden wären, werden sich dann auf das Autonom-Auto verlagern. Selbst „Helikopter-Eltern“ müssen ihre Kinder nicht mehr auf dem Arbeitsweg an der Schule vorbeibringen, sondern lassen sie autonom hinfahren; Rentner scheuen den Weg zur nächsten Busstation, und lassen sich lieber autonom direkt von der Haustür abholen. Besonders energieintensiv wird es, wenn sich das autonome Fahren auch auf Luftfahrzeuge erstreckt, die als Lufttaxis ihre Passagiere erst einmal mit relativ viel Energie in die Höhe hieven und dann z.B. vom Flughafen in die Innenstädte transportieren – was ansonsten die U-Bahn schnell und effizient erledigt.
Als Fazit bleibt nur zu konstatieren, dass bisher kein Szenario erkennbar ist, in dem das autonome Fahren wirklich eine Lösung für die Verkehrswende darstellt, selbst wenn die entsprechenden Fahrzeuge schon aus Wartungsgründen alle elektrifiziert sein werden. Es steht vielmehr zu befürchten, dass sich der autonome Verkehr als eine Last für die Energie- und Verkehrswende entpuppt, dass aus „The next big Thing“ schnell „The next big Problem“ wird.
Götz Warnke