14.07.2023
Aufregung um Steckersolar
Eine Einordnung von Jörg Sutter
In der vergangenen Woche gab es einige Aufregung rund um einen Hersteller, der Steckersolar-Wechselrichter herstellt. Nun kam heraus, dass Geräte dieses Herstellers bei uns im Einsatz sind, die nicht den Anforderungen der technischen Vorgaben der entsprechenden Norm genügen.
Die Vorgeschichte
Schon vor einigen Wochen gab die Bundesnetzagentur (BNetzA) als Aufsichtsbehörde bei der Marktüberwachung bekannt, dass in Deutschland im Bereich Steckersolar Geräte vertrieben werden, die nicht den aktuellen Anforderungen entsprechen. Es ging hierbei jedoch nicht um den aktuellen Fall, sondern um einige Geräte, denen z.B. die deutschsprachige Bedienungsanleitung fehlt. Welche Geräte davon genau betroffen waren, hat die BNetzA jedoch nicht veröffentlicht, sondern nach eigenen Angaben Verfahren gegen einzelne Unternehmen gestartet.
Vielleicht war das – und gerade die nicht-Nennung der bemängelten Geräte und Hersteller – der Ausgangspunkt, dass einige Interessierte nun genauer hingeschaut haben. Und so wurde bei einem Hersteller ein echtes Problem entdeckt.
Der freie Platz auf der Platine
Beim Zerlegen von Geräten des chinesischen Herstellers Deye wurde festgestellt, dass auf deren Elektronik-Platine ein Bauteil fehlt, welches aus Sicherheitsgründen jedoch vorgeschrieben ist. Und es wurde auch schnell bekannt: Das Bauteil wurde nicht versehentlich vergessen. Denn auf der Platine ist ein Platz dafür vorgesehen. Doch statt ein Relais einzubauen, wurde nur eine einfache Brücke eingelötet.
Bei dem fehlenden Bauteil handelt es sich um ein Relais, das nach der VDE Anwendungsrichtlinie 4105 zwingend erforderlich ist, um eine Ein-Fehler-Sicherheit zu gewährleisten. Wie oft im Elektrobereich gilt hier das Prinzip, dass ein Gerät technisch eine zweifache Sicherheit aufweisen muss. Zum Vergleich: das wäre quasi so, als wenn man gleichzeitig einen Gürtel und einen Hosenträger trägt. Dennoch, das Ganze macht Sinn: Es soll damit vermieden werden, dass es bei Versagen oder einer Fehlfunktion eines Bauteils gleich zu einer gefährlichen Situation kommen könnte.
Konkret geht es um die Sicherheitsabschaltung des Wechselrichters: Es muss sichergestellt sein, dass bei Ziehen des Steckers aus der Steckdose an den Polen des Steckers innerhalb kürzester Zeit keine gefährlich hohe Spannung mehr anliegt. Dies muss einerseits elektronisch, anderseits durch ein Relais erfolgen. Die doppelte Absicherung ist klar in der VDE 4105 vorgeschrieben.
Youtuber wollen Klicks
Zerlegten Wechselrichtern des chinesischen Herstellers Deye fehlte nun dieses Relais und das wurde von einigen Youtubern veröffentlicht. Nicht jedoch als nüchterne Feststellung, sondern als Aufreger: „Skandal bei Balkonkraftwerken“ wurde getitelt oder auch „Youtuber decken DeyeGate auf“. Eine Gefährlichkeit wird betitelt, dadurch geht das Thema dann natürlich durch die Decke, die Klick-Zahlen schnellen rasch in den fünf- und sechsstelligen Bereich, die Aufregung ist groß. Aber was bedeutet es, ganz nüchtern betrachtet?
Sicherheit wurde getestet
Sowohl Youtuber als auch weitere, "echte" Experten haben selbst an den Geräten, denen das Relais nachweislich fehlt, kein Versagen der schnellen Abschaltung messen können; alle Tests verliefen ohne Probleme oder gar Gefahr für den Betreiber. Das ist auch plausibel. Denn es geht ja um ein Bauteil, das nur eingreifen müsste, wenn die andere auf der Platine vorhandene Technik versagt. Aber das wurde natürlich nicht im Titel der Youtube-Videos verraten, sondern erst, wenn das Video bis fast zum Ende geschaut wurde. Uns es ging ja weiter: Spekuliert wurde gleich, ob nun Betreiber ihre Geräte abschalten müssen oder es weitere Konsequenzen gibt.
Doch ich möchte nochmals klarstellen: In der Praxis gab es bis heute bei keinem betroffenen Gerät ein Sicherheitsproblem oder eine nicht funktionierende Sicherheitsabschaltung! Trotzdem: Es ist natürlich nicht in Ordnung, das Relais nicht einzubauen. Der Hersteller muss sicherstellen, dass die verlangte doppelte Sicherheit auch real im Gerät vorhanden ist.
Fraglich ist derzeit, warum und wie es zu den fehlerhaften Geräten kommen konnte. Denn der Deye-Wechselrichter hat - wie andere Balkonsolar-Wechselrichter auch - selbstverständlich ein Zertifikat zur Konformität, das die Übereinstimmung mit den Forderungen der VDE AR 4105 nachweist. Ausgestellt hat diese Erklärung intertek, ein renommierter, weltweit tätiger Zertifizierer. In dem Papier ist auch konkret das Relais-Bauteil benannt, das (offenbar) bei den geprüften Geräten vorhanden war.
Aus welchem Grund das Relais nun bei den zerlegten Geräten nicht eingebaut war, diese Frage muss vom Hersteller dringend beantwortet werden. Neben echtem Betrug, der Deye teils unterstellt wurde, kommen dafür aber auch andere Gründe in Frage. So gilt die VDE 4105 zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in etlichen anderen Ländern. Doch gerade in einigen Nachbarländern der Bundesrepublik gilt diese Norm nicht. Es könnte also durchaus passiert sein, dass Geräte über Importeure fälschlicherweise auf den deutschen Markt gelangt sind, diese aber für solche Länder vorgesehen waren, in denen dieses Relais eben keine Normvorgabe ist. Nach aktuellem Stand scheint das aber eher unwahrscheinlich.
Bis dieses „Warum?“ endgültig geklärt ist, sollten die zahlreichen Vorwürfe gegen den Hersteller erst einmal zurückgestellt werden; Stichwort: Unschuldsvermutung. Denn dass Produzenten jeweils an Abnehmerländer angepasste Produkte bauen, ist in vielen Branchen ein völlig übliches Verfahren. Auch wie viele Geräte davon betroffen sind, ist unklar. Dass ein Youtuber in diesem Zusammenhang die Gesamtzahl aller europäisch verbauten Geräte vermutet und sogar benennt, ist schlichtweg unseriös. Aus meiner Sicht jedoch deutet einiges darauf hin, dass das fehlende Relais nicht auf falsche Importe zurückgeht, sondern eher wissentlich nicht eingebaut wurde.
Aktueller Stand
Der Hersteller hat sich inzwischen geäußert: „Deye ist bestrebt, eng mit der zuständigen Bundesnetzagentur zusammenzuarbeiten, um alle regulatorischen Anforderungen zu erfüllen und Missverständnisse auszuräumen. Dieser Prozess ist im Gange, und wir erwarten, dass die Situation in Kürze vollständig geklärt sein wird“, so eine Erklärung der Firma vom 11.Juli 2023.
Einen Tag später hat der Hersteller bereits angekündigt, den Kunden eine externe Relaisbox zur Verfügung zu stellen und damit eine alternative technische Lösung zu ermöglichen. Auch wurde angekündigt, dass betroffene Kunden eine verlängerte Garantiezeit (15 statt 10 Jahre) erhalten. Damit ist das Problem natürlich noch nicht aus der Welt, denn es müssen unter Umständen neue Zertifizierungen erfolgen und anderes mehr. Aber ein erster Schritt ist gegangen.
Mein Fazit
Noch sind in diesem Fall viele wichtige Fragen unbeantwortet. Dennoch wäre es - wieder einmal -wünschenswert gewesen, das aufgetauchte Problem nicht gleich dermaßen zu skandalisieren. Es hätte einfach nüchtern und gleichzeitig pragmatisch betrachtet werden sollen.
Dennoch: Mit Sicherheit darf selbstverständlich in diesem, ziemlich neuen Bereich der Solarstromnutzung nicht gespaßt werden! Diese Einstellung hat die DGS seit Jahren durch die Erarbeitung des DGS-Sicherheitsstandards für Steckersolargeräte wie auch durch die Mitarbeit bei der Entwicklung der neuen Produktnorm bewiesen. Durch reißerische Überschriften Angst zu schüren, kann dagegen kein guter Ratgeber sein.
Ich hoffe, dass durch dieses, bei einem einzigen Hersteller aufgetauchte, Problem nicht der große, allgemeine Zuspruch zu Steckersolargeräten einen Dämpfer erfährt.