14.06.2019
Zufrieden mit der UBERISIERUNG des Stromsektors
Die Bilanz der Energiewende sei durchwachsen, verlautbarte vergangene Woche die Bundesregierung. Das ist ein erstaunlicher Befund, der aufhorchen lässt und eigentlich zum Widerspruch reizt. Woran misst die Bundesregierung einen Erfolg der Energiewende? Sie sagt selbst, im Bereich Wärme und Mobilität sei sie nicht zufrieden, lediglich im Strombereich sei dies der Fall. Sie sagt allerdings nicht, dass sie mit ihrer eigenen Leistung unzufrieden sei. Nach den Ergebnissen der Europawahl vom 26. Mai 2019 ist das merkwürdig, haben die Koalitionspartner von Union und SPD ihre großen Defizite in Sachen Klimapolitik doch unisono eingeräumt. In Sachen Klimapolitik hätten sie einen deutlichen Nachholbedarf, konstatierten sie selbst. Wieso kommt es also kurz nach der Europawahl zu einer solchen gegensätzlichen Einschätzung von Energie- und Klimapolitik? Betrachten wir die Ereignisse in den knapp drei Wochen nach der Europawahl.
Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gebäudeenergiegesetz (GEG) vorgelegt und die Energiewendecommunity zur Stellungnahme und Kooperation aufgefordert, so als ob nichts geschehen wäre. Der Entwurf war vor der Wahl schlecht und bleibt es danach, er ist alter Wein in neuen Schläuchen. Ob die Verantwortlichen in den Ministerien einen Furz drauf geben, was die Energiewendevertreter zum GEG-Entwurf sagen, möge dahingestellt sein. Desweiteren wird die Erdgaspolitik fortgeführt wie bisher. Bezeichnend ist, dass der Bundesrat am 7. Juni dem Ausbau der LNG-Infrastruktur zugestimmt hat, Deutschland zur europäischen Drehscheibe der Erdgasversorgung zu machen. In diesem Gremium geschah dies sogar mit klammheimlicher Zustimmung grüner Landespolitiker. Damit sind, auch wenn es in der Union immer noch Kritik am Kohleausstiegsplan gibt, die Würfel für die Vorrangstellung von Erdgas gefallen. Nach der Kohle kommt das Gas. Klima hin oder her, es geht nur noch darum, wie sich die deutsche Energiepolitik zwischen Putin und Trump erfolgreich hindurch schlängeln kann. Diese Woche hat der US-Präsident wieder Drohungen gegen die deutsche Energiepolitik und die Koalition ausgestoßen.
Das angekündigte Klimaschutzgesetz ist nach wie vor nicht vorgelegt, es trudelt irgendwo zwischen den Ministerien hin und her, der Zeitpunkt der Fertigstellung bleibt offen. Daran hat auch die medienwirksame Sitzung des sogenannten Klima-Kabinetts nichts geändert. Wer erwartet hatte, dass die SPD die Koalition platzen lassen würde, vielleicht auch aus Gründen der Energie- und Klimapolitik, sieht sich enttäuscht. In der Sozialdemokratie wird Führungspersonal ausgetauscht, von Doppelspitze geredet und der Mitgliedschaft als oberste Genossenpflicht Ruhe und Schnauzehalten verordnet. Es reicht, dass die bisherige Vorsitzende abhanden gekommen ist. Eine neue Klimapolitik oder gar eine Verknüpfung von Sozial- und Klimapolitik steht nicht an. In beiden Parteien wird also von Klimapolitik geredet, aber nichts davon betrieben. Das ist der Öffentlichkeit bisher wenig aufgefallen. Hat das mit der immer noch verbreiteten Theorie zu tun, dass beide Parteien, Union wie Sozialdemokratie, den Zusammenhang zwischen Energiewende und Klimakrise noch nicht begriffen hätten? Mitnichten, die wissen schon, was ansteht.
Dem Beobachter des Berliner Politkarussells bietet sich der Eindruck, die Europawahlergebnisse seien so etwas wie eine ärgerliche Entgleisung, ein peinlicher Zwischenfall gewesen, den man schnellstens bei Seite schieben möchte, um wieder business as usual betreiben zu können. Aber worin besteht dieses business as usual, mit dem die Koalitionsparteien so offensichtlich zufrieden sind? In der gegenwärtigen Krise der Windindustrie dürfte, allen Beteuerungen zum Trotz, einer der Gründe zu finden sein. Diese Situation hat das Bundeswirtschaftsministerium mit seiner Politik der Ausschreibungen sehenden Auges angesteuert. Minister Altmaier hat diese Abfolge der Ereignisse, PV- und Windindustrie nacheinander zurecht zu stutzen, als Teil seiner wirtschaftspolitischen Agenda betrieben. Während über den Verlust der Arbeitsplätze in der Braunkohle bittere Tränen von Bundes- und Landespolitikern vergossen werden, sind die Verluste in der Windindustrie kaum der Rede wert.
Daneben und viel bedeutsamer für die Koalitionäre, lässt sich ihre Zufriedenheit mit dem Fortgang der Energiesystemwende – Achtung, eine neue Begrifflichkeit – konstatieren. Sie basiert letztlich auf dem, was die Regierungspolitik und ihre Hofberichterstattung die Digitalisierung der Energiewende nennt. Nach der Europawahl wurde Digitalisierung weiter mit voller Kraft thematisiert und medial gepusht. Aktuell sogar als Aufgabe der Bildungspolitik, ganz so, als ob das an der Qualität des Bildungswesens etwas ändern würde. Klimapolitik und Energiesystemwende haben in der Vorstellungswelt der Koalitionäre ganz augenscheinlich wenig miteinander zu tun. Aber dass bei der Energiewendecommunity und selbst im engeren Kreis der Bürgerenergie eine Digitalisierung der Energiewende und die damit verbundene Rollenänderung hin zu Subunternehmen kein Thema ist, das haben die Strategen eben auch vermerkt.
Das wirtschaftspolitische Credo der Merkel-Koalition besteht in der Förderung und Stärkung großer, weltweit operierender Konzerne. Mittelstand und Bürgerenergie haben da, falls überhaupt, nur einen Platz am Rande. Altmaier und Merkel wollen die deutschen Energiekonzerne, oder letztlich vielleicht nur einen, zum digitalen Großplayer machen, der auf der Bühne der Weltwirtschaft mitspielen soll. So wie es in anderen Industriezweigen propagiert wird, gilt das auch in der Energiewirtschaft als vorrangige Aufgabe. Deshalb ist der Fortschritt bei der Digitalisierung - man sollte dies besser „Uberisierung“ nennen – und der Kampf um und mit Big Data, der eigentliche Faktor, der die Zufriedenheit bei der Regierungspolitik ansteigen lässt. Trotz der Klatsche bei der Europawahl und trotz der Tatsache, dass diese Koalition nur noch eine Minderheit der Bevölkerung hinter sich hat und sich eigentlich zum Teufel scheren müsste. Es ist ein Fakt, diese Regierung sollte umgehend zurücktreten.
Man könnte fast den Eindruck gewinnen, vor einem vielleicht in naher Zukunft anstehenden Regierungswechsel sollen noch Fakten in der Energiepolitik fest geklopft werden. Nach der Zustimmung grüner Landespolitiker zum Ausbau der LNG-Infrastruktur dürfte es spannend sein, ob die Befürchtung von Union und SPD, eine von Grünen bestimmt Energiepolitik könnte zu einem grundsätzlichen Kurswechsel führen, zutrifft. Nach dem Abstimmungsverhalten grüner Landespolitiker bestehen begründete Zweifel. Es ist überhaupt die Frage, wie weit die grüne Pragmatik sich vom neoliberalen Gedankengut freigehalten hat oder ob sie, einmal in der Regierungsverantwortung, die Kraft besitzt, sich diesem zu entziehen. Mit einem guten grünen Wahlergebnissen hat das dann nichts mehr zu tun.
Klaus Oberzig
Bürgerfreie Dezentralität, DGS News vom 07.06.2019