14.06.2019
Plastik: Geißel des Planeten
Bei Aldi muss man jetzt für die sogenannten Knotenbeutel einen Cent zahlen. Die Heuteshow twitterte daraufhin: "#Aldi verlangt künftig einen Cent für dünne #Plastiktüten. Wenn man Fleisch reinpackt, kostet das Kilo erstmals genau einen Euro". Das ist böse, aber keineswegs falsch. Denn auch wenn das schon mal ein Anfang ist, so ist es ein mehr als bescheidener, wenn nicht gar ein rein symbolischer. In anderen Geschäften ist man da schon weiter, manche geben Mehrwegnetze aus, manche verzichten gar komplett auf Verpackungen. Auch andere Staaten haben schon weitreichendere Maßnahmen ergriffen. Im Gegensatz zum fortschrittlichen Europa wurde beispielsweise in Tansania Einweg-Plastik für Einheimische und Urlauber verboten. In Ruanda herrscht ein strenges Plastikverbot, aber auch in Kenia sind Plastiktüten nicht mehr. Aber eine solche Verbotskultur wollen wir in Deutschland nicht einführen, hier regelt der (Discount)Markt alles, schließlich ist keiner gezwungen dort einzukaufen.
Auch von Idee der Müllvermeidung haben wir uns ja längst verabschiedet. Wir sind stolze Mülltrenner, was auch immer mit dem getrennten Müll passiert, wir gehen erst mal davon aus, dass alles recycelt wird. Im Urlaub ist das Thema dann wieder in aller Munde, spätestens wenn beim Tauchen die Folie den Schnorchel verstopft oder die Strände gar so schlecht gereinigt wurden. Das ist im Übrigen ein beliebtes Argument: In anderen Ländern achten die Menschen weniger auf den Müll. So etwas gäbe es bei uns nicht. Auch wenn es meist unser Müll ist, der dort stört liegt der Unterschied aber vor allem darin, dass er dort sichtbarer ist als bei uns, es wird dort deutlich weniger konsumiert, sowohl pro Person als auch in der Summe.
Das nur mal so vorweg: Der Plastikatlas, herausgegeben von der Heinrich Böll Stiftung und dem BUND, eine grandios schaurige Sammlung von "Daten und Fakten über die Welt voller Kunststoff", gibt Einblicke, die deutlich machen, wie sehr dieser unser Leben prägt und wer sehr er unser Überleben bedroht. Beispielsweise dient Fracking-Gas, siehe Artikel in dieser Ausgabe der DGS-News, auch den Expansionsplänen der Kunststoff- und Verpackungsindustrie. Das wird meist gar nicht thematisiert, denkt man bei Fracking-Gas zunächst an die energetische Nutzung, als wäre das nicht schon klimaschädlich genug. Jedoch ist genau diese diese Industrie auch für einen nicht unerheblichen Teil der Klimagas-Emissionen verantwortlich.
Drei Beispiel aus der Veröffentlichung machen die Dimension deutlich und wiederlegen einige der gutgläubigen Denkmuster:
1. Zwischen den Jahren 1950 und 2015 wurden weltweit 8,3 Mrd. Tonnen Plastik produziert. Den allergrößten Teil machen Einwegprodukte und Verpackungen aus. Nicht einmal zehn Prozent des jemals produzierten Kunststoffes sind recycelt worden. In Deutschland wurde 2017 gerade einmal 15,6 Prozent wiederverwertet.
2. Die Verschmutzung der Böden und Binnengewässer ist je nach Umgebung zwischen vier und 23mal so hoch wie im Meer.
3. Geht die Plastikproduktion ungebremst weiter, werden allein Kunststoffe bis 2050 rund 56 Gigatonnen CO2Emissionen erzeugt haben. Damit ginge zwischen 10 und 13 Prozent des verbleibenden CO2-Budgets für das 1,5-Grad-Ziel auf das Konto von Kunststoffen.
Die 19 Texte werden wir Ihnen jetzt nicht einzeln vorstellen. In der Übersicht: Die sehr gut geschriebenen und grafisch ansprechend illustrierten Texte in dem Plastikatlas beschäftigen sich mit: der Historie; der kultivierten Wegwerfmentalität; der Unverzichtbarkeit der Kunststoffe; den Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen, speziell von Frauen; Kunstoffen in unserer Nahrungskette, im Wasser und überall; Textilien; Tourismus; dem Lobbyismus der Plastikindustrie; der wirtschaftlichen Antriebskraft und der Globalisierung; Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen; Abfallentsorgung und Müllexporten bis hin zu Müllsammlern und schließlich mit Initiativen und Regulierungen.
Ein einziges Thema haben wir uns herausgegriffen, da es so gar nicht auf dem Schirm ist:
Klimawandel: Plastik heizt das Klima an, der Plastik-Boom trägt erheblich zum Anstieg gefährlicher Treibhausgase bei.
Ein paar Ausschnitte aus dem Text:
"Vor allem die Kunststoffproduktion trägt dazu bei, dass diese Emissionen weiter zunehmen ... über 99 Prozent basieren auf fossilen Rohstoffen. Weltweit nimmt der Ölverbrauch in keinem anderen Bereich so stark zu wie bei der Herstellung petrochemischer Produkte ... In den USA und anderswo bieten Kunststoffe und andere petrochemische Erzeugnisse nach wie vor eine profitable Marktperspektive für klimaschädliches gefracktes Gas, das in der Produktion in großen und rapide zunehmenden Mengen verwendet wird ... die weltweite Plastikproduktion ist von zwei Millionen Tonnen im Jahr 1950 auf jährlich über 400 Millionen Tonnen gestiegen. Sie hat sich damit in den vergangenen 20 Jahren nahezu verdoppelt. Es wird erwartet, dass sie sich in den nächsten 20 Jahren noch einmal verdoppeln und bis Anfang der 2050er-Jahre vervierfachen wird ... Kohlendioxid, Methan und andere Treibhausgase werden in jeder Phase des Plastik-Lebenszyklus freigesetzt. Das beginnt, wenn die fossilen Rohstoffe gewonnen, raffiniert und in energieintensiven Verfahren verarbeitet werden, und endet, wo Kunststoffabfälle entsorgt oder verbrannt werden ... das gemeinnützige Center for International Environmental Law hat berechnet, dass allein die Produktion von Kunststoffen bis 2050 bei den derzeitigen und prognostizierten Wachstumsraten einen Ausstoß von 52,5 Gigatonnen Kohlendioxidäquivalent verursachen könnte. Zusammen mit den Emissionen aus der Verbrennung von Kunststoffabfällen erhöht sich diese Summe auf mehr als 56 Gigatonnen ... Selbst wenn die Plastikproduktion nach 2050 viel langsamer wachsen und die Verbrennungsrate überhaupt nicht zunehmen würde, könnten die Emissionen bis Ende des Jahrhunderts fast 260 Gigatonnen Kohlendioxidäquivalent betragen und damit möglicherweise mehr als die Hälfte des global verfügbaren Kohlenstoffbudgets verbrauchen ... welche Folgen einige Aspekte der Gewinnung, des Transports und der Raffinierung fossiler Rohstoffe haben, ist wenig bekannt ... auch als Müll sorgt Plastik für Emissionen. Zunehmend werden Waste-to-Energy-Projekte vorgeschlagen, die Kunststoffe verbrennen sollen, um dem Müll Herr zu werden. Da bei diesem Prozess große Mengen an Treibhausgasen freigesetzt werden, könnte eine solche Entwicklung dazu führen, dass die Emissionen erheblich steigen .."
Hier können Sie sich den kompletten Plastikatlas herunterladen oder auch als gedruckte Version bestellen: https://www.boell.de/de/2019/05/14/plastikatlas. Dort finden sich alle Artikel sind auch als Onlineversion einzeln aufbereitet abrufbar.