14.06.2019
Nutzfahrzeuge der Zukunft
Anfang Juni fand in Baden-Baden die 15. Internationale Fachtagung „Nutzfahrzeuge 2019“ des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) statt. Die DGS war dabei und hat die wichtigsten Trends beobachtet. Neben einer Fachausstellung von Zulieferern und Forschungs- und Testeinrichtungen waren im Programm auch Werksführungen im nahgelegenen Daimler-Truck-Werk in Wörth bei Karlsruhe und Testfahrten bei Schaeffler sowie ein Get-together im Unimog-Museum im benachbarten Gaggenau geboten.
Der erste Tag der zweitägigen Veranstaltung gehörte zu Beginn der Frage, wie schnell auch im Nutzfahrzeugbereich die Elektromobilität Einzug einhält. So wurde von den Kölner Verkehrsbetrieben vorgestellt, wie die dortige vollständige Umstellung auf elektrische Busse bis zum Jahr 2030 umgesetzt werden soll. Seit 2016 kommt auf einer 14 km langen Strecke der batteriebetriebene Citea vom niederländischen Anbieter VDL in acht Exemplaren im Linienverkehr zum Einsatz, der Stückpreis lag bei rund 700.000 Euro. 2017 wurde entschieden, dass für sechs weitere Buslinien insgesamt 53 weitere E-Busse angeschafft werden, 60 % der Investition wird dabei vom Land NRW übernommen. Die Busse fahren im Doppel-Ladungsbetrieb: Dabei werden sie langsam über Nacht im Depot und zusätzlich tagsüber an den Endhaltestellen per Schnelllader geladen. Drei Erfolgsfaktoren haben die Kölner herausgearbeitet: Früh starten, gewissenhaft an den Details arbeiten und ein neues Netzwerk aufbauen. Das Ganze gemeinsam mit Bushersteller und den Verantwortlichen der Lade-Infrastruktur.
Dass die Bustechnik dafür auch bei deutschen Anbietern inzwischen ausreichend entwickelt ist, stellte Daniel Vorgerd von Evo-Bus, der größten europäischen Tochter des Daimler-Konzerns vor. Dass hier noch eine zukünftige (Weiter-)Entwicklung erwartet wird, macht das modulare Konzept deutlich, welches für Änderungen bei den Batteriezellen, Ladesysteme und auch den Einsatz von Brennstoffzellen bereit ist. Solid-State-Batterien mit höherer Kapazität sind hier Bestandteil des zukünftigen Entwicklungsplans.
Der Zulieferer ZF aus Friedrichshafen sieht die Antwort auf die unklare Zukunft ebenso im Konzept der modularen Bauweise, die verschiedene Antriebssysteme bedienen kann. Bei den Nutzfahrzeugen sieht ZF den batterieelektrischen Antrieb (Bild 2), bei über 400 km Laufleistung pro Tag die Brennstoffzelle als Antwort auf die zukünftigen Anforderungen. ZF hat für eine breite Fahrzeugpalette einen Baukasten von Komponenten entwickelt, die von den Fahrzeugherstellern eingesetzt werden können. Das reicht von Elektromotoren über Getriebe und Steuereinheiten bis zur Software. ZF entwickelt derzeit die zweite Generation des Baukastens und sieht ab 2025 eine große Stückzahlsteigerung am Markt kommen.
Zukünftig wird jedoch nicht nur das Fahrzeug elektrifiziert, sondern im Schwerlastverkehr auch die Anhänger (Trailer). Dafür hat der Zulieferer Wabco die Komponenten für einen eTrailer entwickelt, der neben Speicherbatterien auch mit Elektromotoren an den Achsen des Anhängers aufwartet. Vorteil: Der Anhänger selbst kann bei Bergabfahrt Bremsenergie per Rekuperation in Strom wandeln und bis zum nächsten Anstieg einspeichern und dann über die Elektromotoren den Antrieb der Zugmaschine unterstützen. Zur Größenordnung: Ein 40 Tonner benötige bei 4% Gefälle und einer Geschwindigkeit von 80 km/h eine Bremsleistung von 190 (!) kW. Wabco verspricht hier eine deutliche Spriteinsparung von rund 20 % durch die neue Technik, die derzeit aber noch im Konzeptstadium ist. Eine konkrete Verbrauchreduktion von 40 auf 32 Liter/100 km konnte per Simulation nachgewiesen werden.
Ein weiteres Schwerpunktthema war auch die Digitalisierung, die auch bei den Nutzfahrzeugen Einzug hält. Neben Assistenzsystemen, die z.B. auch das Rangieren bei Abladungen oder Trailerwechsel vereinfachen, steht auch das automatisierte Fahren vor der Tür, das bei Nutzfahrzeugen aufgrund der Lenkzeitbegrenzung des Fahrers einen große wirtschaftliche Vorteile bieten kann.
Daimler stellte in Baden-Baden seine Aktivitäten in diesem Bereich vor. Referent Peter Vaughan Schmidt erläuterte: Entscheidend dafür ist die Bündelung der bisherigen Aktivitäten in diesem Bereich und der Zukauf der Fa. Torc Robotics in den USA, einer Gesellschaft mit 120 Mitarbeitern, die bereits seit 12 Jahren am Markt ist. Torc entwickelt schon seit Jahren die autonomen Antriebseinheiten für Caterpillar, den großen Baumaschinenhersteller. Torc war auch deshalb aus Daimler-Sicht eine gute Wahl, weil der Firmensitz in Virginia nahe eines Daimler-Werks liegt und dort kein Gehalts- und Personal-Hype wie im Silicon Valley vorherrscht. Personal ist dort zu vernünftigen Konditionen verfügbar. Neben der Herausforderung der sicheren Technik sieht Schmidt noch das Problem der sozialen Akzeptanz und dass damit schließlich auch Geld verdient werden soll, gleichzeitig aber eine umfassende Infrastruktur aufgebaut werden muss. Daimler sieht für die Einführung der autonomen Fahrzeuge auch eine Reihenfolge: Erst in den USA, danach in Europa, da verkehrstechnisch deutlich komplexer, und erst später in China, da dort die Kosten des Fahrers eine untergeordnete Rolle spielen und sich autonomes Fahren fast nicht rechnen kann. In den USA hingegen ist der Verkehr einfacher und es kann zu Beginn auch ein vereinfachter Weg der Zulassung gewählt werden, bei dem pro Jahr 2.500 Fahrzeuge und damit ein Flottentest z.B. bei verschiedenen Großkunden zügig möglich ist.
Doch auch ohne autonome Fahrfunktionen: Die Nutzfahrzeuge der Zukunft sind vernetzt und optimieren Wege und Energieverbrauch selbstständig. Die drei Ziele - Klimaschutz, Sicherheit und Kostenreduktion - können durch „smarte Nutzfahrzeuge“ realisiert werden. Während früher TCU-Einheiten (Telematic Control Units) nur zur Datensammlung der gefahrenen Wege genutzt wurden, wird daraus inzwischen bei Anbietern wie Molex oder Continental ein „scanario planing“, in das von den Gewohnheiten des Fahrers über die Verkehrslage bis zum Wetter alle verfügbaren Informationen in Echtzeit für die Optimierung des Fahrwegs zur Verfügung stehen. Doch es gibt kein einheitliches Konzept dafür: Während Continental mit dem eHorizon schon ein eingeführtes System entwickelt hat, das von den Fahrzeugherstellern eingesetzt werden kann, setzt Molex auf ein offenes Konzept, bei dem der Anbieter nur die Telematic-Einheit und Grundprogrammierungen anbietet, der Fahrzeughersteller dann aber frei eigene Funktionen und Features programmieren kann. Dabei spielt die Sicherheit, sowohl des Fahrzeugs im Verkehr als auch die Datensicherheit der Steuerungs- und Szenariodaten, eine besonders wichtige Rolle. Erschwerend kommt hinzu, dass für die Zukunft offen ist, in welchen Kommunikationsnetzen die Fahrzeuge arbeiten werden. Seit April 2019 ist klar: Die EU-Kommission will W-LAN als Kommunikationsstandard einführen und später auf 5G umstellen. BMW und die Deut¬sche Telekom haben dagegen in einem Brief an Bundes¬ver¬kehrs¬mi¬nister dazu aufgerufen, ein Veto gegen den Rechtsakt der Kommis¬sion einzu¬legen. Beide sehen das mobilfunkbasierte V2X-Übertragungsformat als ideal an, welches aus Sicht der beiden Konzerne ohne die W-LAN-Übergangslösung gleich als Standard eingeführt werden sollte.
Die Zulieferer und Fahrzeughersteller müssen sich aufgrund der aktuellen Unklarheit mit einer Vielzahl von Netzen und Protokollen in und um das Fahrzeug herumschlagen (z.B. W-LAN, NFC, Bluetooth, LTE, BAB+, 5G, ..), um zukunftssicher arbeiten zu können. Doch der Aufwand kann sich lohnen: So zeigten bei Continental Fahrten mit dem vollständig smarten eHorizon-System eine Spritverbrauchseinsparung von rund 6,5 Prozent gegenüber der Standardfahrt. Das klingt nach wenig, ist aber im Transportgewerbe und Speditionen mit vielen Fahrzeugen ein großer Fortschritt.
In der Vortragssession „Grüne Umwelt/Nachhaltigkeit“ zeigte Christof Asbach auf, auf welche Emissionen es in Zukunft auch ankommen wird: Nachdem die (CO2-)Emissionen beim Antrieb in den vergangenen Jahren deutlich gemindert werden konnten, gerät nun auch die Feinstaub-Emission der Bremsen in den Fokus. Messungen lassen den Schluss zu, dass diese Emissionen schon beim PKW in der gleichen Größenordnung liegen wie die Feinstaub-Emissionen eines neuen Euro-5-Fahrzeugs durch den Auspuff!
Spannend ist hierbei vor allem, dass der Feinstaub beim Bremsen nicht nur durch klassischen Abrieb entsteht, sondern auch eine hohe Temperatur der Bremsen allein durch die Wärme eine Ablösung von Molekülen und dann eine Verklumpung zu Feinstaubpartikeln fördert. Er wird derzeit in der Branche erwartet bzw. befürchtet, dass es in diesem Bereich zu Regulierungsaktivitäten kommt und zukünftig die Feinstaub-Emissionen des Gesamtfahrzeugs (und nicht nur das Abgas des Motors) in die Betrachtung einbezogen wird. Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es dafür? Neben einer Verminderung des Abriebs durch z.B. neue Materialien und Beschichtungen kann eine Überwachung der Temperaturentwicklung eine Hilfe sein. Einen anderen Weg bietet die Fa. Mann+Hummel an: Ein Bremsstaubpartikelfilter, der nach Angaben des Herstellers rund 80 % der Bremspartikel wegfiltert und im gleichen Intervall wie der Bremsbelag gewechselt wird.
Doch einen einfacheren Weg gibt der Referent Asbach dem Auditorium auch auf den Weg: “Wenn der Umstieg auf Elektromobilität gelingt und dann rekuperierend gebremst wird, also elektrisch nach dem Dynamo-Prinzip, wird die mechanische Bremse nur noch für Notfälle benötigt. Das Thema Bremsemissionen hat sich dann von alleine erledigt. Der polnische Anbieter Vers zeigte noch die Möglichkeit der Zwischenspeicherung von rekuperierter Energie in einem elektrischen Speicher, der jedoch nicht als Akku, sondern aus Superkondensatoren aufgebaut ist (Bild 3). Die Verbrauchseinsparungen, das System ist z.B. für Stadtbusse gedacht, beziffert der Hersteller mit bis zu 3,5 Liter pro 100 km.
Zusammenfassend wird deutlich: Die Nutzahrzeuge der Zukunft sind anders als heute. Sie werden flexibler, smart und sparen mehr und mehr Emissionen ein. Die Anbieter und die Technologie sind dafür schon auf dem Weg.
Jörg Sutter