14.04.2023
Die große Angst vor dem Ende
Eine Beobachtung von Jörg Sutter
Am morgigen Samstag werden die restlichen drei Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet. Nach Ausstiegsbeschluss, Ausstieg aus dem Ausstieg, Wiederausstieg und Verschiebung kommt nun tatsächlich das Ende dieser Stromerzeugungstechnik in Deutschland. Die Kraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 werden abgeschaltet. Nein, zum Teil ist „abgeschaltet“ der falsche Begriff, wie hier zu sehen ist: Das Kraftwerk in Isar 2 drosselt bereits seit Wochen langsam die Leistung und wird nicht einfach „ausgeknipst“.
Wie es kurz vor dem Ende in vielen Lebenslagen ist, brechen auch in diesem Fall kurz vor dem Ende nochmals viele Zweifel und Ängste durch, sie finden in den vergangenen Tagen auch den Weg in die Presseöffentlichkeit. Ganz ehrlich: Warum hier nun auch von namhaften Organisationen Angst geschürt wird, ist mir unerklärlich.
Beispiele gefällig?
So wurde in der Zeitung mit vier großen Lettern Anfang der Woche der TüV-Chef* Joachim Bühler unter der Überschrift „Das AKW-Aus ist Wahnsinn“ zitiert. Im Text wird relativiert, er hat nicht gesagt, dass das Wahnsinn sei, er hat nur gesagt, dass die Meiler bei regelmäßiger Wartung und Sicherheitsprüfungen noch einige Jahre weiter hätten betrieben werden können. Hat das jemand bezweifelt? Nein, denn der Ausstieg war und ist eine politische Entscheidung. Ja, und wer macht die erwähnten Sicherheitsüberprüfungen? Es darf Eigeninteresse bei dieser Aussage durchaus unterstellt werden.
In einem anderen Text der gleichen „Zeitung“ erfahren die Leser sogar, dass wir zukünftig natürlich weiter Strom auch aus Frankreich importieren, dass wir aber in den letzten Jahren immer mehr Strom nach Frankreich verkauft als von dort eingekauft haben.
Der DIHK hat dagegen sogar vor Versorgungsengpässen und steigenden Energiepreisen gewarnt. Dass Erneuerbare Energien inzwischen nachweislich die günstigsten Stromquellen sind wird geflissentlich ignoriert. Dass wir trotz Atomkraft im letzten Jahr gewaltige Strompreissteigerungen hatten, wird ebenso wenig erwähnt. Und zum Aspekt der Versorgungssicherheit auch für den DIHK: Wir hatten in Deutschland insgesamt laut Wikipedia insgesamt 37 kerntechnische Anlagen, die zur kommerziellen Stromerzeugung genutzt wurden. Gab es bei irgendeiner Abschaltung der 34 bereits stillgelegten Anlagen ein Versorgungsproblem? Hatten wir Stromausfälle? Und wer noch immer kritisch ist, der schaue sich bitte nochmal diesen Link an.
In der schon oben zitierten Grafik der Energy Charts ist der linke Datenbereich nämlich kein Datenfehler: Das AKW Emsland wurde Ende Januar für knapp zwei Wochen zwecks Revision komplett abgeschaltet. Hatten wir damals Stromausfälle oder Sorgen der Versorgungssicherheit? Am 21.01. um 18 Uhr waren die 1.000 MW aus Emsland nicht mehr verfügbar. Die Gesamtbilanz zu diesem Zeitpunkt: 68.200 MW Stromerzeugung in Deutschland, aktueller Stromverbrauch um 18 Uhr: 61.900 MW. Also 7.300 MW wurden mehr erzeugt als verbraucht, wir hätten auch zu diesem Zeitpunkt schon ohne Versorgungsängste alle drei Kraftwerke abschalten können. Wieder eine Nebelkerze?
Kritik der CDU
Und gerne auch noch ein Wort zur Politik, in der Hoffnung, dass ich mich nicht zu sehr in Rage schreibe: Ausgerechnet Friedrich Merz moniert, dass mit dieser Abschaltungsentscheidung der Klimaschutz vernachlässig wird, also ob seine Partei nicht in der vergangenen Zeit den Atomausstieg klar über Parteitagsbeschlüsse mitgetragen hätte. Auch er könnte vorsichtiger agieren, musste er doch schon im Januar ´23 einen Beschlussentwurf für eine CDU-Klausursitzung mit dem Inhalt „Der Neubau von Atomkraftwerken ist vorurteilsfrei zu prüfen“, nach parteiinternen Irritationen zurückziehen.
Ablehnung der FDP
Das die FDP kurz vor Ende nochmals den Unmut über die Entscheidung äußert, kann ebenfalls nur mit einem Kopfschütteln zur Kenntnis genommen werden. Zur Erinnerung: Der Anfang des Atomausstiegs, der mit einem dreimonatigen Moratorium am 14.11.2011, drei Tage nach dem Reaktorunglück von Fukushima, begann, wurde von der damaligen schwarz-gelben Regierung getragen. „Wir wollen den Umbau der Energieversorgung hin zum Zeitalter der Erneuerbaren Energien“, so der damalige Außenminister Guido Westerwelle von der FDP. Und weiter: „Die Kernkraft ist für uns eine zeitlich befristete Brückentechnologie“. Ja, das war vor 12 Jahren.
Es scheint auch so, dass kein Politiker dieser Partei mit Vertretern der Kraftwerksbrache gesprochen hat, sonst wäre die Unsinnigkeit einer Forderung nach Reservehaltung der letzten drei Atomkraftwerke vielleicht schon vor den entsprechenden öffentlichen Äußerungen von Minister Lindner bewusst gewesen. Dass hier Personal und Brennstäbe benötigt werden, die nicht einfach einmal drei Tage vor Abschaltung neu beschafft werden können, ist sicher kein Geheimnis. Und auch die Politik weiß sehr genau, dass dafür das Atomgesetz zusätzlich geändert und auch neue Betriebsgenehmigungen erteilt werden müssten, was in wenigen Tagen und Aufgrund der politischen Mehrheiten unmöglich ist. Weswegen dann diese Nebelkerzen? Die AKW-Betreiber sind hier klar in Ihren Äußerungen: „EnBW diskutiert nicht über Atomausstieg, sondern hält am Masterplan für den Rückbau fest“, so der Chef der Kernkraftsparte der EnBW, Jörg Michels.
Das hat auch seinen handfesten Grund: Allein die Verschiebung der Abschaltung vom 31.12.22 auf den 15.04.23 war auch teuer: Allein bei der EnBW sind für das eine Kraftwerk in Neckarwestheim Kosten im unteren dreistelligen Millionenbereich angefallen, zum einen für den Weiterbetrieb, zum anderen für die Verschiebung der bereits eingeplanten Rückbauarbeiten. Ein Blick in die 19. Änderung des Atomgesetzes vom 04.12.2022 zeigt, dass der Gesetzgeber, der in Gesetzentwürfen sonst fleißig alle Folgekosten bis zu den kleinsten Centbeträgen ausrechnet, versagt hat: „Für die Wirtschaft entsteht kein Erfüllungsaufwand“, stand damals in der Gesetzesvorlage. Bleibt heute zu fragen: Wer trägt die Kosten dieser Verlängerung, wenn nicht teilweise die Wirtschaft und die Haushalte über den Strompreis?
Und noch ein Aspekt, den die Politik bei allen pro-Atomkraft-Aussagen gerne heutzutage ausblendet: Die Quelle der Brennstoffe. Das diese nach wie vor aus Russland (und dem befreundeten Kasachstan) auch in die EU geliefert werden und von allen Kriegsembargos ausgenommen sind, ist ein weiterer, ja politischer, Skandal. Näheres dazu kann gerne in diesem Bericht aus dem vergangenen Jahr nachgelesen werden.
Und die Betreiber schaffen Fakten, wie aufwändig das ist, zeigt das Beispiel Philippsburg: Seit der vergangenen Woche sind im AKW bei Karlsruhe, das 2019 abgeschaltet wurde, alle 734 Brennelemente ausgebaut und im auf dem Kraftwerksgelände liegenden Zwischenlager verstaut. Nur um den Aufwand zu demonstrieren: Mit der Auslagerung der Brennstäbe wurde im März 2022 begonnen, diese Aktion hat nun also ein volles Jahr in Anspruch genommen. Der Betreiber EnBW rechnet nun damit, dass der Rückbau der beiden Kraftwerksblöcke weitere 10 bis 15 Jahre benötigen wird.
Was bleibt: Weitere Kosten
Über was in den vergangenen Tagen nur an einer Stelle berichtet wurde, sind die weiterhin anfallenden Kosten dieser Technologie, die auch nach dem Herunterfahren der drei letzten Atomkraftwerke auftreten. Das möchte ich zum Abschluss doch auch noch erwähnt wissen. Dazu hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aktuell einige Zahlen veröffentlicht, in der die ökonomischen Kosten der Kernenergie benannt werden. Fazit: Die Kernkraft ist die teuerste Art der Stromerzeugung. Die vielen Einzelargumente und Beispiele können gerne hier direkt in der Zusammenfassung oder dem enthaltenen ausführlichen pdf nachgelesen werden.
Fazit
Wir werden uns in Deutschland am morgigen Samstag endgültig aus der kommerziellen Nutzung der Atomkraft verabschieden. Die Atomkraftgegner werden diesen Tag feiern, viele Menschen, die mit Erneuerbaren Energien zu tun haben, werden den Tag freudig zur Kenntnis nehmen und am kommenden Montag wieder die Arbeit an der Energiewende und an neuen PV- und Windanlagen aufnehmen, damit unsere Energiewende als Gemeinschaftsaufgabe gelingt. Der morgige Samstag wird ein Meilenstein der Umsetzung der Energiewende bleiben.
* Anm. d.R: Joachim Bühler ist kein Fachmann, er ist vielmehr Politikwissenschaftler. Seit 2017 ist er Geschäftsführer und Präsidiumsmitglied des TÜV-Verbandes e.V., der Interessenvertretung der Technischen Überwachungsvereine TÜV.