14.04.2023
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 4
Eine Kritik von Götz Warnke
Wenn grüner Wasserstoff, wie wir gesehen haben, nur unter großen Energieverlusten herzustellen ist, sich nur mit erheblichem Energie- und Materialaufwand transportieren lässt, und in nur wenigen Segmenten der Energiewende wirklich alternativlos ist, dann stellt sich die Frage: Wozu eigentlich dieser Hype um Wasserstoff, dieser Traum von einer umfassenden Wasserstoffwirtschaft, die angeblich über das Wohl und Wehe unserer energiepolitischen und sonstigen Zukunft entscheidet?
Gibt es etwa weitere, positive Kriterien; ist dieser Energiepfad vielleicht besonders umweltfreundlich?
Das Umweltproblem
Mitten in der Corona-Krise, während Deutschland und Frankreich im Rahmen der EU-Taxonomie am Narrativ der Klimafreundlichkeit von Gas- und Atomenergie „strickten“, beauftragte die ansonsten viel gescholtene britische Regierung die Forschungsinstitutionen ihres Landes zu untersuchen, was für klimatologische und technische Auswirkungen eine Wasserstoffwirtschaft hätte. Die Ergebnisse lagen im Frühjahr 2022 vor. Der erste Bericht, hauptsächlich von Wissenschaftlern der Universität Cambridge erstellt und die Atmosphärenphysik behandelnd, kommt zu dem Ergebnis, dass entweichender Wasserstoff als ein indirektes/sekundäres Treibhausgas ein auf 100 Jahre gesehenes, 11 mal höheres Globalerwärmungspotential hat als CO2. Das rührt u.a. daher, dass Wasserstoff in der oberen Atmosphäre sich mit Sauerstoff zu Wasserdampf verbindet, und die Existenzdauer von Methan verlängern kann. Zudem kann entweichender Wasserstoff zu einer Zunahme von troposphärischem Ozon (Ozonloch!) führen.
Der zweite Bericht, verfasst vom Technologieanalyse und -beratungsunternehmen Frazer Nash Consultancy, untersucht das Potenzial für Wasserstoffemissionen in verschiedenen Wirtschaftssektoren (Produktion, Verteilung, Endnutzung) und identifiziert Punkte für mögliche, signifikante H2-Leckagen. Ergebnis war u.a., dass derzeitige Elektrolysetechnologien erhebliche Wasserstoffemissionen aufweisen, doch dass für eine Gesamtbilanz wichtige quantitative Daten zu H2-Emissionen fehlen. Letztlich aber dürfte das Gasnetz die größte Einzelquelle für Wasserstoffemissionen darstellen.
Auch wenn Großbritannien im Zuge der Energiewende nicht ganz auf grünen Wasserstoff verzichten kann, so kam doch Ende 2022 ein britischer Parlamentsausschuss zu dem Schluss: "It is 'unwise' to assume hydrogen can make a large contribution to reducing UK greenhouse gas emissions in the short and medium term". („Es ist ‚unklug‘ anzunehmen, dass Wasserstoff kurz- und mittelfristig einen großen Beitrag zur Verringerung der britischen Treibhausgasemissionen leisten kann".)
Sollte also doch besser auf „blauen“ Wasserstoff gesetzt werden, der wie „grauer“ Wasserstoff aus Erdgas per Dampfreformierung gewonnen wird, bei dem aber das dabei entstehende CO2 erst aufgefangen/„abgeschieden“ und dann unterirdisch – z.B. unter der Nordsee in leer geförderten Erdgasschichten – endgelagert wird (Carbon Capture and Storage/CCS). Immerhin ist der „blaue“ Wasserstoff ein Liebling der Industrie, da er nur einen Bruchteil des „grünen“ Wasserstoffs kostet, und eine Umstellung Richtung Wasserstoffwirtschaft deutlich schneller und günstiger ginge. Liegt hier also die Lösung?
Schon im Spätsommer 2021 hatten die renommierten US-Wissenschaftler Robert W. Howarth von der Cornell University und Mark Z. Jacobson von der Stanford University eine Untersuchung mit dem Titel „How Green is Blue Hydrogen?“ zu den Klimaeffekten von „blauem“ Wasserstoff vorgelegt. Ergebnisse u.a.: Insbesondere wegen der der Freisetzung von flüchtigem Methan sind die gesamten Kohlenstoffdioxidäquivalent-Emissionen bei „blauem" Wasserstoff nur 9 bis 12 % geringer als bei „grauem“ Wasserstoff. Und das Globalerwärmungspotential von „blauem“ Wasserstoff ist um über 20 % größer als bei der Verbrennung von Erdgas oder Kohle zu Heizzwecken und um etwa 60 % größer als bei der Verbrennung von Dieselöl zu Heizzwecken. Heizen mit Wasserstoff („H2ready“), was uns einige Gaslobbyisten nahe legen wollen, ist damit eine Klimakatastrophe per se!
Eine andere Forschergruppe vom schweizerischen Paul Scherrer Instituts (PSI) und der schottischen Heriot-Watt-Universität gestehen „blauem“ Wasserstoff unter bestimmten Voraussetzungen durchaus eine positive Rolle bei der Energiewende zu. Voraussetzung 1: Wenig Methanlecks bei Förderung und Transport. Voraussetzung 2: Sicheres Carbon Capture and Storage (CCS). Wie „zuverlässig“ die Abdichtung von Gasspeichern funktioniert, zeigen die alten, eigentlich längst abgedichteten Erdgas-Bohrlöcher in der Nordsee: Dort setzen Bohrloch-Gaslecks seit Jahren unkontrolliert tausende Tonnen Methan frei.
Daher kommen andere Forscher zu deutlich negativeren Ergebnissen: Ilissa B. Ocko und Steven P. Hamburg vom New Yorker Environmental Defense Fund halten die Klimawirkung von Wasserstoff auf 20 Jahre (GWP-20) für 33 mal so stark wie die von CO2. (S. 9358)
Natürlich sind die Studien zum Klimaproblem des Wasserstoffs teilweise längst in Deutschland bekannt und werden von Fachleuten wie Hans-Josef Fell oder dem Hamburger Energietisch offen angesprochen. Nur die deutschen Politiker verhalten sich hierzu auffällig schweigsam, so dass die Probleme selten in die breite Öffentlichkeit gelangen.
Und doch ist das vielleicht nur ein Teil des Problems: jährlich entschwinden allein 100.000 Tonnen Wasserstoff auf natürliche Weise ins Weltall. Mit einer weltweiten Wasserstoffwirtschaft könnte dieses Phänomen noch gesteigert werden, so dass immer weniger H2 für die Bildung von Wasser zur Verfügung steht. Ob und wann das zu einem wirklichen Problem für die Bewohnbarkeit unseres Planten wird, bleibt fraglich.
Dazu kommt als weitere Hürde das Wasserproblem hierzulande. Schließlich werden für die geplante Umstellung unserer ganzen Wirtschaft auf Wasserstoff und E-Fuels Unmengen von diesem Lebenselexir benötigt, das bisher u.a. als Grundnahrungs-, Bewässerungs- und Kühlmittel dient. Da trifft es sich schlecht, dass Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten durchschnittlich 760 Millionen Tonnen Wasser pro Jahr verloren hat, wie eine Untersuchung des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ) in Potsdam zeigt. Doch hinsichtlich des Wasserbedarfs für die 2030 installierte Elektrolyse-Kapazität von 10 GW in Deutschland gibt der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches e. V. (DVGW) vorab schon mal Entwarnung: die dafür benötigten 9 Millionen Kubikmeter Wasser seien in Deutschland problemlos verfügbar. Allerdings rechnet das Fraunhofer ISE für 2050 sogar mit Elektrolyseurkapazitäten von bis zu 110 GW in Deutschland (S. 12). Und ob die Elektrolyse in den dann zunehmend heißeren Sommern noch betrieben werden kann? Immerhin gibt es schon jetzt bei Großprojekten regionale Wasserengpässe. Bestes Beispiel ist der Konflikt um den Wasserverbrauch der Tesla-Fabrik in Grünheide bei Berlin. Dort ging es allerdings statt der 9 Millionen nur um 1,4 Millionen Kubikmeter Wasser!
Das Geldproblem
Ende 2022 konnte der Autohersteller Porsche zusammen mit Industriepartnern in Südchile nördlich von Punta Arenas eine große Pilotanlage für synthetische Kraftstoffe/E-Fuels in Betrieb nehmen. Der Standort in der windreichen und nicht wasserarmen Region der Furious Fifties war gut gewählt. Zudem kann dort erzeugter grüner Wasserstoff eh nur als grüne E-Fuels per Schiff, und nicht als Wasserstoff per Leitung nach Deutschland gebracht werden. Doch offensichtlich war die Fabrik selbst im März 2023 noch nicht in der Lage, grüne E-Fuels herzustellen. Solange die teure Anlage fehlt, um das CO2 direkt aus der Luft abzuscheiden (Direct Air Capture), muss zur E-Fuels-Produktion auf schmutziges/fossiles CO2 aus der Industrie zurückgegriffen werden, das dann per Spezialtank-LKWs zur Synthesefabrik geschafft wird. Doch schon jetzt werden die E-Fuels so teuer, dass der Porsche-Vorstand nach einer Staatsintervention ruf: Die Regierung solle dafür sorgen, dass künftig Fossil-Benzin und -Diesel nicht billiger seien als Porsche-E-Fuels. Was die Angaben zu aktuellen Preisen für einen Liter von Porsches E-Fuels angeht, so reichen diese von umgerechnet € 9,71 bis zu € 50,-- bei Harald Lesch (Timeline 13:35). Ein echter „Champagner der Energiewende“ also!
Bei allen denkbaren Verbesserungen in der Produktion werden grüner Wasserstoff und grüne E-Fuels auch künftig sehr teuer bleiben. Mit den künftigen Kosten haben sich Forscher u.a. am Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität Köln beschäftigt und dazu auch ein Globales PtX-Produktions- und Importkostentool entwickelt. Dabei variieren die Importkosten stets mit der Transportdistanz (je weiter, je teurer) und dem Transportmodus (Schiff teurer als Pipeline). Der Langstreckentransport von reinem Wasserstoff (H2) ist dabei auf absehbare Zeit nur in sehr begrenztem Umfang möglich. Um den riesigen, überwiegend aus Importen zu beziehenden Bedarf einer deutschen Wasserstoffwirtschaft decken zu können, müsste zwangsläufig auch auf weit entfernte, teure Quellen wie Australien, Chile, Namibia zurückgegriffen werden, und den Wasserstoff vor dem Transport in E-Fuels umwandeln. Nächstes Problem: „Bis 2035 sind derzeit etwa 60 neue E-Fuel-Projekte angekündigt, von denen nur etwa 1 Prozent mit einer finalen Investitionsentscheidung gesichert sind. Alle diese weltweiten Projekte entsprechen zusammen nur etwa 10 % der unverzichtbaren E-Fuel-Bedarfe Deutschlands (Flugverkehr, Schiffsverkehr und Chemie).“
E-Fuels werden künftig wegen der Kosten fast ausschließlich dort genutzt werden, wo sie „alternativlos“ sind. Autofahrer als E-Fuel-Nutzer im Straßenverkehr werden daher künftig Millionär sein, oder sie werden keine E-Fuel-Nutzer sein.
Fazit
Wasserstoff – ein Stoff, energieaufwändig herzustellen, schwierig zu transportieren und zu speichern, in vielen Bereichen überflüssig, sehr klimaschädlich und sehr teuer – das soll die Zukunft der Energiewende sein? Bis auf die Wasserstoff-‘Achsenmächte’ Deutschland und Japan setzt kein anderes Land in solchem Umfang auf dieses so flüchtige Gas. Es ist die Wahl der schlechteren Alternative, oder wie es in einem Tweet heißt: „Angenommen Kerzen sind out und die anderen entwickeln nun Glühbirnen. Dann investiert Deutschland in Öllampen. #wasserstoffstrategie“
Die Wasserstoff-Wirtschaft ist ein Potemkin’sches Dorf, bei der sich hinter der Fassade der technischen Machbarkeit die Leere der mengenmäßigen Unmöglichkeit verbirgt. H2 und E-Fuels lassen sich zwar produzieren, aber nicht in ausreichenden Mengen; diese werden immer und überall auf der Welt knapp bleiben – und um ein Vielfaches teurer als die direkte Nutzung des Regenerativen Stroms, aus dem auch sie produziert werden.
Wer zudem jetzt meint, ein Energie-Großverbraucher wie Deutschland könne 2/3 seines Wasserstoffbedarfs aus aller Welt importieren, der hat nichts, aber auch gar nichts aus der jüngsten Energiekrise ob unserer Abhängigkeit von russischem Gas gelernt.
Und wer glaubt, alle Welt sei nur dazu da, uns tolle Deutsche mit Energie zu versorgen, der lebt in einer Welt des Energie-Kolonialismus, die angesichts der zunehmenden Klimakrisen bald implodieren wird.
Eigentlich müsste doch für jeden, selbst für unsere wenig energie-affinen Politiker, evident sein, dass es kein kluger Gedanke ist, das extremste, flüchtigste Molekül des Periodensystems und des Universums zur tragenden Säule unseres Energiesystems zu machen. Aber ausschlaggebend sind dann doch wohl andere Motive: Wer als Politiker mag schon seinen Wählern erklären, dass die Zeit des ewig-grenzenlosen Wachstums vorbei ist, dass das Versprechen des „morgen mehr“ nicht weiter gilt, und es jetzt auf intelligentes wie auch flexibles Schrumpfen ankommt. Blut-Schweiß-und-Tränen-Politiker sind selten und ihr Tun wird noch seltener von den Wählern honoriert. Die Fraktion der „You’ll never walk alone“-Politiker wirkt halt kuscheliger.
Und natürlich gibt es ganz massive wirtschaftliche Interessen, die in Teil 3 „Das Nutzer-Problem“ unter „Gasnetzbetreiber und Gaswirtschaft“ sowie „Sonstige“ bereits angesprochen wurden. Nach der Liberalisierung des Strommarktes mit seinem Verschwinden der Atomenergie, der Schwäche von Kohle- und Gaskraftwerken, sowie dem zunehmenden Autarkiebedürfnis der neuen Prosumer, und auch der sich beschleunigenden Verkehrswende mit Pedelecs, E-Motorrollern und E-Autos, ist der Gasmarkt die letzte verbleibende hierarchische Struktur, die unbedingt – egal ob mit grünem oder blauen Wasserstoff – erhalten werden soll. Denn diese hierarchische Struktur bedeutet Macht und damit auch Geld. Oder wie ich vor einigen Jahren schrieb: „Denn eine Wasserstoffwirtschaft ließe sich auch dazu verwenden, die Bürgerenergie zurückzudrängen, und dem alten monopolistisch-zentralistischen Energiesystem doch noch eine Renaissance zu bescheren: Bürger, die dann ihre Energie nicht mehr selber machen, sondern wieder von Netzen und Tankstellen abhängig sind.“
Deshalb gilt es für die Zivilgesellschaft, hier und heute ganz besonders aufmerksam und widerständig zu sein.
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 1
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 2
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 3
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 4