14.02.2020
Die Bundesnetzagentur lädt zum Dialog. Warum?
Am heutigen Freitag läuft die Frist für Kommentare zum "Szenariorahmen zum Netzentwicklungsplan Strom ab. Davor gab es zwei öffentliche „Dialogveranstaltungen“. Die DGS-News waren bei der nach Berlin zweiten „Stromnetzkonsultation" in Nürnberg dabei.
Alle zwei Jahre wieder aktualisiert die Bundesnetzagentur (BNetzA) ihren Strom-Szenariorahmen. Den Entwurf, den jeder kommentieren darf, liefern jeweils die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) 50Hertz, Amprion, Tennet und Transnet-BW. Die Stromnetzentwicklung hat speziell seit dem Atomausstiegsbeschluss der Bundesregierung im Jahre 2011 an Brisanz zugelegt. Denn bis dahin mussten vor allem die unterschiedlichen Wünsche und Vorstellungen von ÜNB und Verteilnetzbetreibern (VNB) abgestimmt werden. Doch seither sind jede Menge weiterer Interessenvertreter hinzugekommen.
Die „Neuen“ waren auch in Nürnberg stark präsent. Weshalb die BNetzA die Veranstaltung auf Twitter so zusammenfasste: Es habe „sehr lebhafte und engagierten Diskussionen in den Foren“ gegeben. Sprich: Es wurde zwischenzeitlich wegen völlig unterschiedlicher Auffassungen manchmal laut.
Gleich zu Beginn hatte Achim Zerres, der Leiter der BNetzA-Energieabteilung, festgestellt: „Heute ist ein anderes Publikum als gestern in Berlin.“ Waren es in der Hauptstadt wohl vor allem die Lobbyisten der verschiedenen Industrie- und Energieverbände, so fielen in Nürnberg in mehreren Stuhlreihen die mit gelben Westen bekleideten, bekennenden Gegner von Hochspannungs-Gleichstromtrassen (HGÜ) besonders auf. Diesen Umweltschützern sind vor allem die geplanten Leitungen von Nord nach Süd ein Dorn im Auge: Anders als ÜNB und BNetzA, sehen sie die HGÜ nicht als „Windtransportleitungen“.
Doch Zerres rechnet in Zukunft sogar mit noch mehr dieser Stromautobahnen: Die Industrie wolle „weg aus der fossilen Verbrennung, hin zu Erneuerbaren Energien (EE). Dazu muss sie Strom aus dem Netz beziehen.“ Ein Aspekt, den die ÜNB in ihrem Entwurf „Szenariorahmen 2021-2035“ berücksichtigt haben, wie Paul Nahmmacher von 50Hertz bestätigte: „Durch Elektrifizierung steigt absehbar die Stromnachfrage.“ Die Industriesicht dazu brachte Bernhard Langhammer vom „ChemDelta Bavaria“ den Zuhörern nahe.
Gerade die Chemische Industrie, die heute etwa ein Zehntel des gesamten deutschen Stromverbrauchs beansprucht, werde wegen des Wechsels von fossiler auf Elektroenergie noch wesentlich mehr benötigen: „Unsere volle CO2-Neutralität braucht so viel wie gerade die ganze Bundesrepublik“, erwartet er. Auch weil bald Bayerns Atomkraft abgeschaltet werde, müsse der Strom durch neue Leitungen kommen, so Langhammer. Und zwar billig, „sonst wandern die Hersteller ins Ausland“. Das veranlasste Christian Mildenberger vom Landesverband Erneuerbare Energien NRW zur Frage, warum sich die Chemie-Industrie nicht selber durch preiswerten Ökostrom versorge.
Doch darauf ging Bernhard Langhammer nicht ernsthaft ein: „Wie die kostengünstige sichere Versorgung zustande kommt, ist uns egal.“ Das wiederum ist laut dem Mittelfranken Hubert Galozy, einem der Sprecher des „Aktionsbündnis gegen die Süd-Ost-Passage” der Grund, „dass nun der Stromüberschuss vieler Kohlekraftwerke durch neue Leitungen von Nord nach Süd geleitet werden soll. Doch die sind auch 2030 noch nicht fertig.“ Galozy kündigte sogar indirekt weiteren Zeitverzug durch Klagen gegen den Netzentwicklungsplan an.
Dabei geht der aktuelle Entwurf sogar auf die Trassengegner ein: Mit der von den ÜNB so genannten „Netzorientierung“ greifen sie erstmals Vorschläge auf, wie sie der VDE vor fünf Jahren in seiner Studie „Der zellulare Ansatz“ gemacht hatte, um den ÜN-Ausbau massiv zu reduzieren. „Bisher stand ja auch nicht im Szenariorahmen, dass die Verteilnetze ausgebaut werden müssen“, schob 50-Hertz-Mann Nahmmacher die Verantwortung für das bisherige Nicht-Berücksichtigen an die BNetzA.
Markus Doll dagegen, der für das Übertragungsnetz zuständige Referatsleiter der BNetzA, warf den Trassengegnern Unkenntnis über Kosten des Netzausbaus vor: „Sie vergleichen Äpfel mit Birnen“. Doch Nachfragen bügelte er teilweise respektlos ab.
Das wollte sich Hubert Galozy nicht gefallen lassen. Er schoss deshalb gegen die BNetzA zurück: „Man baut ein Haus, aber es redet allein die Baufirma ÜNB. Wie viel Geld wollen Sie noch verbrennen?“ Denn am Ende müssten die Verbraucher alles zahlen, was die ÜNB vorgäben und die BNetzA übernehme. Energiereferent Herbert Barthel von Bund Naturschutz Bayern ergänzte: „Wir fordern seit vielen Jahren: Wenn Sie ernsthaft diskutieren wollen, müssen Sie auch Kennzeichen bewerten wie den beschlossenen Kohleausstieg.“ Der fehle im aktuellen Entwurf bislang komplett.
Ausgleichend wollte Matthias Koch vom Ökoinstitut Freiburg wirken. Er referierte als „neutraler Experte“, nannte die „stärkere Berücksichtigung von Regionalisierung und den Technologiemix wichtig“. Aber genauso, „dass die darin vorgesehenen EE auch gebaut werden“. Koch forderte die Bundespolitik deshalb auf, die gesetzlichen Bremsen besonders für Wind- Bio- und Solarkraftwerke aufzuheben.
BNetzA-Mann Zerres war sich in diesem Punkt mit Koch wie auch den Trassengegnern einig. Er forderte „vor allem mehr EE-Ausbau im Süden. Doch dafür muss man in Bayern Gesetze ändern“ – ein deutliches Eintreten gegen die hiesige 10H-Abstandsregel für Windkraftwerke.
Wie geht es nun weiter? Noch einmal Achim Zerres: „Wir machen die Vorgaben. Am Ende macht der Bundestag das Bundesbedarfsplangesetz. Und hinterher schauen wir den ÜNB beim Umsetzen auf den Finger.“ Zuvor wollten viele Anwesende aber zum Entwurf Stellung nehmen. Und zwar schriftlich, wie Zerres empfohlen hatte.
„Hören sie aber auf die Richtigen“, appellierte dazu Sigrid Schindler von der BUND-Kreisgruppe Neumarkt an die BNetzA.
Heinz Wraneschitz