13.12.2019
Ackern unter Strom
Wenn die Ernte eingebracht ist und der Spätherbst das Land regiert, wenn sich die Nebel über die nun leeren Äcker legen und der erste Raureif morgens auf den Wiesen glitzert, wenn die Wildtiere sich in den Winterschlaf und die Zugvögel sich gen Süden verabschiedet haben, dann machen sich auch die Bauern auf, verlassen ihre Gehöfte – und fahren zur Agritechnica nach Hannover. Die weltgrößte Fachmesse für Agrartechnik findet alle zwei Jahre Mitte November auf dem Messegelände der niedersächsischen Landeshauptstadt statt, und wird von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft ausgerichtet. Allein in diesem Jahr zeigten 2.820 Aussteller den 450.000 Besuchern, davon mehr als 130.000 aus dem Ausland, was der „moderne“ Landwirt sich doch technisch alles leisten können müssen sollte. Das Leitthema dieses Jahres „Global Farming – Local Responsibility“ wollte die Messe auf die aktuellen Herausforderungen der Landwirtschaft wie Produktivitätssteigerung, aber auch Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz weltweit konzentrieren. Das Motto ist sicherlich nicht verkehrt in einem Land wie Deutschland, in dem z.B. über 50% des zum Teil importierten Getreides zuerst in Tiermägen landet, und in dem die massenweise ausgebrachten stickstoffhaltigen Dünger zu erheblichen, klimaschädlichen Lachgasemissionen führen.
Und allen schönen Worten zum Trotz stand auch diesmal wieder bei der Landtechnik die unheilige Dreifaltigkeit von „größer – stärker - mehr“ im Vordergrund. Ein Phänomen, dass sich auch angesichts der damit verbundenen Kosten nicht mehr allein rational erklären lässt: Halbkettenfahrzeuge wie der Claas Axion 960 Terra Trac und Vollketten-Traktoren wie der überarbeitete Claas Xerion 5000 erinnern eher an riesige Panzer aus einer StarWars-Welt, denn an die konventionellen Trecker mit freundlichen Landwirten oben auf, die man mal nach dem Weg fragen mag. Weiterer Grund für die Gigantomanie sind die riesigen, immer noch wachsenden Flächenbesitztümer im Osten und Norden Deutschlands: Während im Norden der durchschnittliche Traktor rund 61.000 € kostet und 185 PS leistet, sind es im landwirtschaftlich sehr viel kleinteiliger strukturierten Süddeutschland rund 52.000 € und 165 PS. Noch deutlicher wird das Missverhältnis, wenn man bestimmte Bundesländer hinsichtlich ihrer durchschnittlichen Traktorenstärken mit einander vergleicht, etwa den Spitzenreiter Sachsen-Anhalt (244 PS) mit Bayern (139 PS). Neben der Sonderregelung der Straßenverkehrszulassungsordnung, die bei landwirtschaftlichen Fahrzeugen und Anhängern eine maximale Transportbreite von drei Metern erlaubt, sind es also vor allem die großen Flächen, die große Traktoren mit großen Bearbeitungsgeräten fördern. Hier spielen u.a. die dabei entstehenden großen Wendekreise eine untergeordnete Rolle, hier kann lange mit gleichmäßiger Geschwindigkeit geradeaus gefahren werden.
Der PS-Fetischismus geht natürlich auch mit zunehmenden CO2-Emissionen einher; er dürfte sich wohl nur bremsen lassen über eine CO2-Steuer und eine Art bundesweites „Landhecken-Gesetz“, dass die Größe der zusammenhängenden, einzelnen Agrarfläche durch Pflanzvorschriften von Hecken begrenzt, und so zugleich die fortschreitende Bodenerosion stoppt.
Daneben fanden sich auf der Messe die aus dem Straßenverkehr bekannten Tendenzen zum autonomen Fahren, so bei Gemüse-Erntern (HORTECH S.r.l./Italien) oder Unkraut-Bekämpfern (Naïo Technologies/Frankreich). Insbesondere das letztere Fahrzeug „Dino“, ein kleiner Anti-Unkraut-Roboter, steht für zwei weitere, eher positive Trends: den Trend zu mechanischer Unkrautbekämpfung, der große Mengen an Herbiziden in der Landwirtschaft überflüssig machen kann, und der Trend zur Elektrifizierung bzw. zur E-Mobilität. Dabei ist der Weg zur reinen E-Mobilität durchaus lang, insbesondere bei den größeren Maschinen: als E-Traktoren gibt es sie nur in der Kompaktklasse – wie den Fendt e100 Vario und den Weidemann 1160 eHoftrac, die im Weinbau oder für Hofarbeiten eingesetzt werden. Außerhalb dieser Klasse und für die Feldarbeit hatte John Deere mit dem E-Traktor SESAM einen Prototypen entwickelt, der vor der Motorhaube auch Wechselakkus an Bord nehmen konnte; Ende 2018 präsentierte dann John Deere mit dem GridCON einen völlig anderen Prototypen ohne Fahrerkabine, der autonom das Feld pflügen sollte, und seine Energie nicht mehr aus einem schweren Akku, sondern über ein kilometerlanges, auf einer Kabeltrommel an der Front des Fahrzeugs befestigtes Starkstromkabel bezog. Ob eines dieser Fahrzeuge jemals am Markt erscheint, weiß derzeit wohl nicht mal John Deere genau. Auf der Agritechnica präsentierte John Deere erst einmal eine Hybrid-Lösung in Zusammenarbeit mit der belgischen Firma Joskin S.A., die auch gleich die Goldmedaille des Innovation Awards der Messe abräumte: Dieses eAutoPower-Getriebe für die neuen 8R-Großtraktoren stellt das erste elektrisch-mechanisch leistungsverzweigte Getriebe in der Landtechnik dar. Neben dem Fossil-Motor kommen zwei E-Motoren zum Einsatz, die, stufenlos regelbar, nicht nur den Fahrbetrieb besorgen, sondern weitere 100 kW für die angehängten Geräte bereitstellen können – in diesem Fall für den E-Zweiachs-Antrieb des neu entwickelten Tridem-Güllefasses von Joskin inklusive der Ausbringungseinheit.
Interessant auch der modulare Hybrid-Trecker Steyer Konzept, der im elektrischen Betrieb vorübergehend kein CO2 ausstößt. Daneben nimmt die Elektrifizierung der Gerätetechnik Fahrt auf, wenngleich meist im Regelungs- und Stell-, aber noch nicht im Fahr-Bereich: die Beispiele reichen von großen Säkombi-Geräten wie dem Kverneland e-drill maxi plus bis zu kleinen Akku-Sägen, - Mähern, -Laubbläsern. Bemerkenswert: auf der Messe stellt John Deere die VoloDrone von Volocopter als Pestizidschleuder mit zwei großen Tanks, einer Pumpe und einem Spritzbalken vor – mit einer Gesamt-Zuladung von insgesamt 200 kg.
Fazit
Die Elektrifizierung der Landwirtschaftsmaschinen schreitet voran, ausgehend von den kleineren Geräten bis hin zu Zentraleinheiten wie den Traktoren. Wann sie als abgeschlossen angesehen werden kann, wird sich auch nach den Feld- und Gehöft-Größen richten – je kleiner, desto schneller. Für die Energieversorgung der Großgeräte kommen derzeit einige Pfade in Betracht:
- Hybridkonzepte, bei denen dann der Verbrennungsmotor mit nachhaltigen Bio- oder PtX-Treibstoffen versorgt werden müsste;
- reine, künftig leichtere Akkufahrzeuge + Wechselakku,
- stromleitungsgebundene Trecker für kleinere Flächen,
- sowie Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antriebe wie beim bereits 2009 vorgestellten Prototyp New Holland NH2.
Eines ist jedenfalls heute schon deutlich: das Ackern unter Strom wird sich in der einen oder anderen Form letztlich durchsetzen.
Götz Warnke