12.06.2020
LNG – Brücken- oder Krückentechnologie?
Erdgas (Methan/CH4) gilt vielen als die sauberere fossile Schwester der Kohle: Kein Ruß, kein Feinstaub, keine Schwermetalle in der Umwelt – und dann wohl auch noch weniger CO2-Emissionen? Dazu kommt, dass man es gut speichern und in Gasleitungen bequem transportieren kann – ohne dabei Verkehrsengpässe auf Straßen, Schienen und Binnenschifffahrtswegen zu produzieren. Diese Argumente wurden von interessierter wie auch politischer Seite in der Vergangenheit gern benutzt, um den weiteren Ausbau der Gas-Infrastruktur (Nord Stream) zu rechtfertigen. Dabei ist Erdgas keine „Energie von hier“, sondern wird per Pipeline importiert aus Russland, Norwegen und den Niederlanden – für Industrie, Kraftwerke und die Heizung von Millionen deutscher Häuschen. Dieses relativ sichere und langfristige Geschäft weckt Begehrlichkeiten, zumal die Erdgasförderung in den Niederlanden wegen der dabei entstehenden Erdbeben und der zur Neige gehenden Ressourcen bereits 2022 enden soll, und der deutsche „Kohleausstieg“ nach Merkelscher Strickart ein Mehr an Erdgas-Bedarf nach sich ziehen wird.
Solche Begehrlichkeiten finden sich vor allem bei großen Erdgasproduzenten, die ihre fossile Energie nicht per Gaspipeline auf den deutschen Markt bringen können: Algerien, Katar, Nigeria, und auch die USA mit ihrem Fracking-Gas-Boom. Der Weg des Erdgases dieser „pipelinelosen“ Länder führt über LNG (Liquified Natural Gas): Per Pipeline wird das Gas von den Förderfeldern zu den Häfen geleitet, dort in speziellen Anlagen mit viel Energie bis auf eine Temperatur von −162 °C heruntergekühlt und in spezielle Gastanker gepumpt. Diese LNG-Tanker fahren dann zu ihren Zielhäfen – und dort brauchen sie wiederum spezielle Anlagen zur Aufnahme des Flüssiggases, zur Erwärmung desselben, und zur Einspeisung in das Erdgasnetz. Deutschland hat bisher keine einzige solcher Anlagen.
In dieser Situation hat US-Präsident und „Dealer“ Donald Trump massiv Druck auf die EU und die Bundesregierung gemacht, sie sollten flüssigem ausländischem Erdgas, insbesondere dem US-Frackinggas, einen Zugang zum europäischen Gasmarkt ermöglichen. Schließlich werde – so die US-Argumentation – auch der Gasimport aus Russland (Nord Stream 2) politisch gefördert, und außerdem damit die (Rohstoff-)Abhängigkeit Europas vom unberechenbaren Putin-Russland erhöht, wogegen die Europäer ansonsten ja gern den US-Militärschutz in Anspruch nähmen. Diese Argumentation ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Daher hat die Bundesregierung beschlossen, drei geplante LNG-Terminals auf Kosten der Fernnetzbetreiber an das Erdgasnetz anschließen zu lassen und damit den internationalen Gas-Pipelines gleich zu stellen. Als deutsche Standorte für die Terminals sind Brunsbüttel, Rostock, Stade und Wilhelmshaven im Rennen, jeweils mit eigenen Betreibergesellschaften.
Doch im LNG-Geschäft ist es wie im „richtigen“ Leben: Bloß weil Fleischermeister Heinrich Salmonelle sich beim Münchner Verwaltungsgericht einen Standplatz auf dem Viktualienmarkt ertrotzt hat, heißt das noch lange nicht, dass er dort auch seine überteuerte Gammelwurst an die potentiellen Kunden bringen kann. D.h. übersetzt: Nur weil die USA den Bau von LNG-Terminals einfordern, heißt es noch lange nicht, dass sie darüber auch ihr besonders „schmutziges“ und teures Fracking-Gas in den deutschen Markt drücken können. Denn während z.B. die Kataris ihre „Gashähne nur ein wenig mehr aufdrehen“ brauchen, müssen in den USA auf den schnell wieder versiegenden Fracking-Feldern stets neue Leitungen verlegt, neue Bohrtürme errichtet und neues Fracking-Fluid in den Boden gepresst werden. Das macht das US-Frackinggas teuer und kaum konkurrenzfähig, selbst wenn man ihm nicht wegen der Millionen Tonnen von aus alten, undichten Bohrlöchern und weiteren Leckagen ausströmenden Gases eine entsprechende Klimasteuer auferlegt.
Auch andere LNG-Terminals wie der im litauischen Kleipedia, der die Gasunabhängigkeit des Landes von Russland sichern soll, holen ihr LNG lieber aus Norwegen. Und: Der Gasmarkt leidet unter einem Überangebot.
Dazu kommt die Vielfalt der Akteure im LNG-Bereich, die stets die Kostenstrukturen ihrer jeweils eigenen Märkte im Blick haben müssen: Die Produzenten, die Terminalbetreiber, die Finanziers, die Gastechnik-Spezialisten (wie z.B. Linde), die Interessenten und Lobbyverbände für den LNG-Einsatz in der Schifffahrt oder im Schwerlastverkehr, die entsprechenden Motorenbauer und Fahrzeughersteller. Sie alle verfolgen gemeinsame, aber auch jeweils eigene Interessen.
Daneben spielen auch die Gasnetzbetreiber und regionalen Gasversorger eine Rolle, die beim Ausbau der Gasinfrastruktur durchaus gewinnen können: Denn ist diese Infrastruktur erst einmal für Milliardenbeträge ausgebaut, wird Erdgas, das vielen deutschen Politikern unterschiedlichster Couleur als Brückentechnologie hin zu einer grüneren Energieversorgung gilt, für sehr, sehr lange Zeit eine zentrale Rolle im deutschen Energiemix behalten – Erneuerbare hin, 1,5-Grad-Ziel her.
Doch wie sieht die Wirklichkeit beim angeblich so sauberen und grünen Erdgas und speziell beim LNG aus? In der Tat setzt Erdgas (Methan/CH4) bei der Verbrennung deutlich weniger Luftschadstoffe wie Ruß, Feinstaub etc. frei als Erdölprodukte wie Diesel oder gar Schweröl in der Schifffahrt, ist diesbezüglich also umweltfreundlicher. Doch klimafreundlich ist dieses fossile Gas nicht, denn auch bei seiner Verbrennung entsteht das klimawirksame Gas CO2. Und das ist nur die halbe Wahrheit: bei Förderung und Transport des Erdgases gibt es unweigerlich Leckagen, bei denen das Gas in die Atmosphäre frei gesetzt wird. Auf 100 Jahre gesehen wirkt das sich zersetzende Methan dort noch über 30mal so stark klimaerhitzend wie CO2. Doch selbst dies ist noch nicht die ganze Wahrheit: in einem Zeithorizont von 20 Jahren – und der ist für die Verhinderung des Klima-Chaos entscheidend – wirkt es sogar rund 86mal so stark wie CO2. So sehen allenfalls die Brücken ins Nichts, in die Katastrophe aus.
Und LNG, das verflüssigte Methan? Das trägt noch zusätzlich die Energie- und Klimalasten aus der Verflüssigung – man spricht von 10 bis 25 % des Heizwertes des Erdgases, ist dadurch also noch klimaschädlicher als normales Erdgas. Aber könnte flüssiges Erdgas nicht zumindest eine Brücke für bestimmte Einsatzbereiche sein, z.B. in der Seeschifffahrt?
Die Höhe der Treibhausgasemissionen von importiertem LNG – entlang der gesamten Prozesskette und im Vergleich mit anderen Energieträgern – analysierte der Ingenieur Axel Liebich vom Heidelberger Ifeu-Institut im vergangenen Herbst für den Hamburger Energienetzebeirat. Das verheerende Ergebnis: Insgesamt hat LNG immer, und besonders wenn es aus Fracking stammt, schlechtere Treibhausgas-Emissionen als Marinediesel (MGO) und sogar als das berüchtigte Schweröl – insbesondere im entscheidenden Zeithorizont von 20 Jahren! (ebd., S.10).
LNG ist, ebenso wie Pipelinegas, keine Brückentechnologie, sondern eine Krückentechnologie, die uns auf dem Weg in eine klimasichere und -stabile Zukunft nur behindert! Warum überhaupt diese Krückentechnologien? Einfach, weil den Regierenden in Deutschland seit Jahrzehnten der Mut und die Ehrlichkeit zu einer echten Energiewende fehlt!
Götz Warnke