12.05.2023
Woher weht der Offshore-Wind …
Ein Bericht von Götz Warnke
Diese Frage stellten sich viele Teilnehmer der Hamburg Offshore Wind Konferenz (HOW 2023) am vergangenen Dienstag, die von der internationalen Klassifikationsgesellschaft DNV und dem Branchennetzwerk Erneuerbare Energien Hamburg (EEHH) professionell organisiert worden war, und erstmals seit 2019 wieder in Präsenz stattfand. Die Frage ist allzu berechtigt, war doch die Branche in den vergangenen 10 Jahren arg gebeutelt worden: Standen zuerst die Merkel-Regierungen mit ihren geringen Ausbauzielen – nur 15 Gigawatt (GW) installierte Offshoreleistung bis 2030, die später gerade einmal auf 20 GW angehoben wurden – einem den notwendigen Klimazielen entsprechenden Ausbau entgegen, so leidet die Branche derzeit unter hohen Energie- und Stahlpreisen, während man in China bereits dafür sorgt, dass die dortige Windkraftindustrie den Stahl wieder günstig auf Vor-Pandemie-Niveau einkaufen kann. Kein Wunder also, dass viele Dienstleister wie Kranfirmen, Spezialschiffs-Reedereien etc. 2022 zwar gut verdient haben, aber die Windkraftanlagenhersteller selbst meist hohe Verluste einfuhren – das erfolgreichste Jahr für die Hersteller ist bis heute 2015.
Doch nun soll es ganz schnell gehen: statt der derzeit rund 8 GW installierter Offshoreleistung in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) sollen es nach dem Willen der neuen Bundesregierung 2030 bereits 30 GW und 2045 ganze 70 GW sein. Dabei hat Deutschland bisher nicht einmal einen eigenen Basishafen für Offshore-Windkraft, eine wichtige Infrastruktur, die in kleineren Staaten wie den Niederlanden mit Eemshaven oder in Dänemark mit Esbjerg längst vorhanden ist. Auch in manchen deutschen Häfen wie Bremerhaven oder Emden ständen entsprechende freie Flächen zur Verfügung, wenn diese nicht wohl für künftige, profitablere Container-Umschlagplätze freigehalten werden würden – Platz für Stahlkisten mit Lachsäcken und Karnevalskostümen aus China statt Kais für deutsche Windkraftprojekte; es mag sein, dass einige Zeitgenossen immer noch nicht im Zeitalter der Klimakrise angekommen sind. Ohne die Erneuerbaren Energien aber, bei denen Offshore-Wind eine der „tragenden Säulen“ ist, werden die Klimaziele nicht ein- und die Klimakrise nicht aufzuhalten sein.
Die Klimakrise war ein Hauptthema des ersten Vortrags von Martin Volker Gerhardt, in der Führungsetage des Windkraftherstellers Siemens Gamesa zuständig für den Offshorebereich. Gerhardt zeigte in seinem klar gegliederten und kenntnisreichen Vortrag einerseits die existenzbedrohenden Risiken der Klimakrise auf – schließlich bedeutet eine Erhöhung der weltweiten Durchschnittstemperatur um 1,5°C einen Anstieg von 2,2°C in Europa und einen von 3°C in der Arktis. Andererseits verwies Gerhardt auf Herausforderungen, vor denen die Offshore-Windindustrie steht: Um auch die EU-Ausbauziele in 2030 einzuhalten, müssten die Industriekapazitäten um das 2,5-fache wachsen – das bedeute im Klartext etwa 20 neue Rotorblatt-Produktionslinien und 6 Maschinenhausfertigungsstätten in Europa mit Investitionen von mehreren Milliarden Euro. Und es würde Engpässe bei Einrichtungsschiffen und Monopile-Sockeln ab 2025 geben.
Wichtig für die Europäische Offshoreindustrie seien u.a. neben dem Vorhandensein qualifizierter Arbeitskräfte die Berücksichtigung von Qualitätskriterien in den Ausschreibungen der Auktionen. Wenn europäische Hersteller zu 100 Prozent recycelbare Blätter anböten, so müsse dieser Umweltvorteil auch honoriert werden, und es dürfe nicht nur um das billigste Angebot gehen. Ein wichtiger Gedanke; hätten diese Idee die Regierenden vor 12 Jahren hinsichtlich der Solarindustrie berücksichtigt, wären zigtausende Arbeitsplätze dort nicht verloren gegangen. Generell bleibt es nach Gerhardt eine große Herausforderung im Offshorebereich, die notwendig-lange Projektdauer mit dem sich schnell ändernden Umfeld wie Rohstoffpreise etc. in Übereinstimmung zu bringen.
Der nächste Referent, Dr. Roland Merger, als Vizepräsident der BASF für Erneuerbare Energien zuständig, nahm das Thema von der Verbraucherseite in den Blick, zumal der Konzern rund ein Prozent der deutschen Elektrizität konsumiert. Grundsätzlich gelte: „Die Chemieindustrie muss sich fundamental ändern, sie ist aber derzeit dabei“, ein bemerkenswerter Satz. Beispiele waren u.a. Demonstrationsanlagen für elektrisch betriebene Dampfcrackeröfen. Ebenso bemerkenswert die durchaus kritische Haltung zu CCS, was vorübergehend zwar nötig, aber langfristig keine Lösung sei, da es nur 90% statt 100% der CO2-Emissionen einlagere, und das zu einem exorbitanten Preis. BASF setze auch auf eigene Erneuerbare Energie-Anlagen, vorwiegend auf Beteiligungen an Offshorewindparks wegen der Projektgröße und der dadurch leichteren Handhabbarkeit, aber auch große PV-Parks seien denkbar.
Die dritte Keynote wurde von Thomas Dalsgaard, Partner beim dänischen Finanzkonsortium „Copenhagen Infrastructure Partners“ zum Thema Energieinseln gehalten. Hierbei handelt es sich um künstliche Inseln im Meer, die gleich mehrere Funktionen erfüllen sollen: ortsnaher Hafen für Einrichtungs- und Wartungsschiffe der umgebenden Windparks, Helikopterstation, Stromsammelstation der Windparks und Netzanbindung, Wasserstoffproduktion mit Endpunkt einer H2-Pipeline zum Festland und Power-to-X-Produktion. Der Bau einer ersten solchen Energieinsel für 3 GW Offshore-Wind in der belgischen Nordsee hat gerade begonnen – Fertigstellung 2025/26. Aber die Dänen denken deutlich größer – hat man doch gerade die Ausschreibung für die erste Energieinsel VindØ auf den Weg gebracht, an der auch Copenhagen Infrastructure Partners beteiligt ist: 100 km vor der dänischen Nordseeküste soll sie den Strom von 10-GW-Windparks einsammeln und 2032/33 in Betrieb gehen; Größe bis zu 700 m im Durchmesser. Die zweite Energieinsel BrintØ soll noch weiter weg auf dem dänischen Teil der Doggerbank errichtet werden und hauptsächlich Wasserstoff erzeugen; Fertigstellung sogar schon 2031/32. Die Kosten eines solchen Projekts liegen bei etwa 20 bis 25 Milliarden Euro.
Zwischen den Vorträgen gab es zwei Podiumsdiskussionen mit Fachleuten aus den verschiedenen Bereichen der Offshore-Wind-Wirtschaft. Bei allen unterschiedlichen Perspektiven gab es doch in wesentlichen Punkten Einigkeit: Offshore-Wind ist heute zwar ein globales Geschäft, aber die Windparks sind auch ein strategisches Investment in nationale Energie-Sicherheit und -Unabhängigkeit der jeweiligen Länder. Die Branche ist durch Häfen, Leitungen, Seerecht etc. stets stark von der Politik abhängig. Und da kann sich – wie die Vergangenheit zeigt – der Wind immer mal wieder drehen.