11.12.2020
Nachhaltiges Bauen: Da geht noch mehr
Ein Einblick in die fachliche Debatte von Tatiana Abarzúa
Die Menschheit ist mit Erfolg dabei, die Bewohnbarkeit des Planeten zu verunmöglichen. Wir Menschen sorgen seit Jahrzehnten dafür, dass ein hohes Risiko einer Überschreitung von Kipppunkten (tipping points) besteht. Angesichts der hohen Emissionen des Bausektors ist es offensichtlich, dass auch in diesem ressourcenrelevanten Bereich noch keine Trendwende erreicht ist.
Nach Angaben des Bundesumweltministeriums hat das Bauwesen mit 560 Millionen Tonnen und somit 90 % aller in Deutschland verwendeten mineralischer Rohstoffe einen erheblichen Anteil am Rohstoff- und Energieverbrauch. Die Zeit für eine Bauwende hin zu einer Klimaverträglichkeit drängt. Viele Strategien sind bekannt, wie etwa verschnitt- und abfallminimales, emissionsarmes Bauen. Wenn solche Lösungsansätze nicht jetzt umgesetzt werden, wann dann? Allerdings: "Die Menschheit ist auf dem Wege, die Bewohnbarkeit der Welt zu zerstören, aber in der Stadtentwicklung und im Bauen geht es fast so weiter wie bisher". Mit dieser Beschreibung der Sachlage beginnt der Essay (Titel: "New Frontiers für unsere Gesellschaft: Für eine Avantgarde der Erdverträglichkeit") des Stadtplaners Thomas Sieverts für den Katalog zur Ausstellung "urbainable - stadthaltig. Positionen zur europäischen Stadt für das 21. Jahrhundert" der Sektion Baukunst der Akademie der Künste. Die Kuratoren wollten mit ihrer Wortschöpfung "stadthaltig" auf eine direkte Verbindung zwischen Stadtplanung und Nachhaltigkeit hinweisen. Der Umfang der Ausstellung spricht für die wachsende Bedeutung des nachhaltigen Bauens im Ingenieurswesen und in der Architektur. An einer Infotafel erfahren die Ausstellungsbesucher, dass in Deutschland 51,7 Milliarden Tonnen Baumaterialien verbaut sind. Diese Einsicht bietet einen Perspektivwechsel: der bauliche Bestand könnte als Rohstofflager betrachtet werden.
Denken in Kreisläufen
Da das Bauwesen ein solcher rohstoffintensiver Wirtschaftszweig ist, stellt recyclinggerechtes Bauen eine Lösungsstrategie dar, also vor Projektbeginn bereits die Eignung der Baustoffe für ein späteres Recycling zu erwägen. Sinnvoll ist auch: mit Recyklaten bauen, das heißt mit Produkten, die teilweise oder vollständig aus recycelten Materialien bestehen. Bei Bauschutt gibt es eine hohe Recyclingquote (75 %), mineralische Bau- und Abbruchabfälle werden in mehreren Stufen zu Recycling-Baustoffen aufbereitet. Als RC-Baustoffe werden sie eingestuft, wenn diese Materialien geprüft und zertifiziert wurden. Ein weiterer Ansatz für Nachhaltigkeit ist die Wiederverwendung von Bauteilen und Baumaterialien sowie eine Planung, die an Prinzipien der Kreislaufwirtschaft orientiert ist. Vielleicht etablieren sich in nächster Zeit Rücknahmesysteme für Baustoffe wie Bodenbeläge oder Porenbeton? Generell könnten mehr nachwachsende Baustoffe genutzt werden, wie Dämmplatten aus Rohrkolben (Typha) oder Dächer aus Seegras - die aufgrund des hohen Salzgehalts nicht verrotten und im Gegensatz zu Reet nicht brennen. Immer beliebter werden Häuser in Holz-Bauweise, mit Holz aus nachhaltiger, zertifizierter Forstwirtschaft (Forest Stewardship Council, FSC, und Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes , PEFC).
Holzbaugerecht planen
Im Rahmen des fünften Fachdialogs "Urbaner Holzbau" des Gesamtverbands Deutscher Holzhandel e.V. und der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz fanden mehrere informative Vorträge statt. Einen Einblick in etwa 60 bereits realisierte Holzbauprojekte bietet der Holzbau Atlas Berlin-Brandenburg, den die Architektin Kim Gundlach vorstellte. Eike Roswag-Klinge referierte über optimierte Planungsprozesse für Holzbau. Für den Professor der TU Berlin beinhaltet eine holzbaugerechte Planung, dass Holzbauingenieure als zusätzliche Fachleute etabliert werden, oder "mindestens der Architekt oder der Tragwerksplaner" Holzbaukompetenz haben. Roswag-Klinge zufolge, ist es wichtig bei Holzbauprojekten Leistungen aus der Ausführungsplanung (Leistungsphase 5) in die Vorplanung (LP 2) oder spätestens in die Entwurfsplanung (LP 3) vorzuziehen. Außerdem sollen die Holzbauer ab LP 3 am Bauprojekt integriert werden, damit der Projektverlauf verkürzt werde. Zu beachten sei auch, dass Schallschutz noch große Herausforderungen im Holzbau habe. Auftraggeber sollten holzbaukonforme Vergabepakete vorsehen (Holzbauer liefern den Raumabschluss) sowie Vergabefristen von sechs bis acht Wochen.
Branchenkenner erwarten, dass mit dem Comeback der Holzbauweise nun weniger mit Stahlbeton gebaut wird. Die Klimawirkung des Baustoffs erläuterte Werner Sobek bei einer Podiumsdiskussion der Akademie der Künste zum Thema "Nachhaltigkeit am Bau - Greenwashing oder Fortschritt?". Die Produktion von einem Kubikmeter Stahlbeton emittiere etwa 330 kg Kohlenstoffdioxid. "Dazu brauchen Sie ungefähr 4.000 Bäume in der Phase des stärksten Wachstums, die dann einen Tag atmen müssen, um genau dieses CO2 zu kompensieren. Für eine größere Baustelle brauchen Sie einen Wald in der Größe eines deutschen Bundeslandes", so der Architekt.
Graue Energie vermindern
Bauen im Bestand sowie die Nutzung energie- und ressourcensparender Gebäudetechnik sind wichtig, um mehr Nachhaltigkeit im Baubereich zu erreichen. Um den Einsatz von Ressourcen für Neuerschließungen von Baugebieten zu vermindern, können Baulücken und Brachflächen genutzt werden. Unter Fachleuten bekannt ist der hohe Einsatz von grauer Energie im Neubau, also die Primärenergie, die zur Materialgewinnung, Herstellung, Transport und Entsorgung eingesetzt wird. Durch Holzrahmenbau lassen sich die grauen Emissionen um 45 % vermindern, wie der gemeinnützige Verein Bauwende schreibt.
Vor kurzem hatte die Bundestagsfraktion der Grünen einen Antrag (Drucksache 19/23152) eingebracht für eine Weiterentwicklung des Gebäudeenergiegesetzes zu einem Gebäuderessourcengesetz. Demnach soll das neue Gesetz einen maximalen Verbrauch grauer Energie vorschreiben sowie einen Ressourcenausweis für Gebäude, der die Umweltbelastung durch das einzelne Haus von der Bauphase bis zum Abriss dokumentiert. Der Antrag wurde jedoch noch nicht im Bundestag beraten.
Tipp
In jüngster Zeit sind in der SONNENENERGIE zahlreiche Artikel zu dem Thema erschienen, anbei ein paar Beispiele:
SE 4|20: Ressourcenschonend Sanieren und Wohnen
SE 2|20: Lebende Wände und grüne Dächer
SE 2|20: Nachhaltiges Bauen und Produzieren
SE 1|20: Bauwerk als Umweltfaktor
SE 2|19: Plusenergiehaus mit Konzept
SE 1|19: Bauen gegen die Klimakatastrophe
SE 3|18: Klimabewusst bauen mit Strohballen und Lehm
SE 2|18: Der Weg zum nearly Zero Energy Building