11.12.2020
Gewitterenergie nutzen II.
Ein Bericht von Götz Warnke
Die Forschungen am Monte Generoso ab 1927 haben gezeigt, dass sich Gewitterenergie – zumindest für größere physikalische Experimente – durchaus sinnvoll nutzen lässt. Und so gab und gibt es im ausgehenden fossilen Zeitalter immer wieder Gedanken, wo und wie sich man Gewitterenergie anzapfen könnte. 2007 errichtete die US-Firma „Alternate Energy Holdings“ in der gewittererprobten Gegend um Housten/Texas einen hohen Stahl-Mast, der mit Kondensatoren als Energiespeicher verbunden war. Doch es gelang dem Unternehmen nach den Aussagen seines Geschäftsführers Donald Gillispie nicht, das System zu Laufen zu bringen.
Seinen – vorläufigen – Knockout erhielt die Technik, als sich 2009 der Ingenieur Thomas Gobmaier von der Forschungsstelle für Energiewirtschaft des Themas annahm. Die Zahl der selbst an exponierten Orten einschlagenden Blitzen sei mit „weniger als hundert“ gering, die Leistung eines Blitzes entspräche nur ca. 277 kWh, die Speicherung und Netzeinspeisung des Stroms seien schwierig, und ein möglicher Ertrag wegen der aufwändigen Technik und der geringen Strompreise kaum rentabel. Bezugnehmend auf diese Berechnungen erklärt auch der Energiekonzern Eon heute noch gern („Kraftvoll, aber keine Kraftwerke. Warum sich Blitz-Energie nicht zur Stromgewinnung eignet“), wie wenig sinnvoll eine mögliche elektrische Nutzung der Blitzenergie ist. Also weiterhin hübsch bei Kohle- und Atomstrom bleiben? Wirklich??
Die Blitze, die von der Unterseite der Gewitterwolken unseren Erdboden erreichen, sind nur ein kleiner Teil dessen, was sich in einem Gewitter abspielt. Die meisten elektrischen Entladungen finden in und zwischen den Wolken statt, die „Roten Kobolde“ und „Blue Jets“ schießen sogar nach oben, Richtung Weltall. Insbesondere im derzeitigen Jahrzehnt ist die wissenschaftliche Kenntnis von Blitzen und Gewitterphänomenen deutlich gewachsen. Es sind z.B. Blitze mit einer Dauer von 16,73 Sekunden dokumentiert; andere erreichten eine Länge von 700 km. Neuere Forschungen haben auch ergeben, dass die elektrische Energie in Gewittern mindestens zehnmal höher ist als bisher gedacht. Die indischen Forscher B. Hariharan, A. Chandra und S. K. Gupta konnten mit Hilfe des GRAPES-3-Myonen-Detektors Werte bis zu 1,3 Giga-Volt und Strom-Stärken über 2 Giga-Ampere ermitteln. Gewitter können Myonen als Teile der kosmischen Strahlung ablenken und Gammastrahlen produzieren – also deutlich mehr, als man mit ein bisschen Eon-Haushaltsstrom zustande bringt.
Auch über die innere Struktur von Gewittern wissen wir inzwischen mehr. So entdeckte ein internationales Wissenschaftlerteam unter der Leitung von Brian M. Hare und Olaf Scholten vom Kernphysik-Institut der Universität Groningen kleine, nadelartige Plasmastrukturen in den Gewitterwolken, die wohl als Energiespeicher fungieren können. Durch solche Strukturen kann es auch kurz hintereinander zu zwei Blitzen an gleicher Stelle kommen, was ein altes Vorurteil widerlegt. Diese Entdeckungen wurden möglich mit LOFAR, einer Zusammenschaltung von über den ganzen europäischen Kontinent verteilten Radioteleskopen, die eigentlich der Weltraumbeobachtung dienen. Mit LOFAR können anhand von Radiowellen auch Blitzformationen in Wolken ermittelt werden, die 20 km von einer Station entfernt sind.
Wie aber lässt sich nun Gewitterenergie abernten? Die bisherigen passiven Methoden, die ähnlich wie ein Stellnetz oder eine Reuse in der Fischerei wirken, waren ja auch in blitzhöffigen Gebieten nicht übermäßig erfolgreich. Seit einigen Jahren laufen Versuche, Blitze mit Hilfe von gepulsten Lasern hervorzurufen, wobei die Laser leitende Plasmakanäle erzeugen. Jetzt hat die deutsche Firma Trumpf Scientific Lasers ein Gerät entwickelt, das bis zu 1.000 Laserblitze pro Sekunde aussenden kann. Solche Laser sollen nun im Rahmen des europäischen Projekts „Laser Lightning Rod“ am mit jährlich von 400 Blitzen beschossenen Berg Sentis in der Ostschweiz vom Genfer Physikprofessor Jean-Pierre Wolf und seinem Team erprobt werden. Dabei „berührt“ ein in den Himmel gerichteter Laserstrahl einen entfernt und höher stehenden Blitzableiter; der durch den Strahl ausgelöste Blitz folgt zuerst diesem in entgegengesetzter Richtung, wird dann aber vom Blitzableiter abgelenkt. Wohlgemerkt, alle diese Versuche dienen nicht der Energiegewinnung, sondern der Verhinderung von Blitzschäden an wertvollen Infrastrukturen.
Sollte allerdings die Laserauslösung von Blitzen erfolgreich, häufig und zuverlässig funktionieren, wären weitergehende Verfahren denkbar. So könnten Laser in Form drehbarer Geschütztürme eingesetzt werden, die sich innerhalb eines (mit-)drehbaren Faraday’schen Käfigs befinden. Der in den Wolken vom Laser ausgelöste Blitz würde auf den Käfig treffen, und von dort abgeleitet werden. Die ertragreichsten Ziele des Laserstrahls könnten kurzfristig mit Hilfe von LOFAR ausgewählt werden. Und der Doppelnutzen von Blitzschäden-Verhinderung und Gewitterenergie-Nutzung würde die Kosten relativieren. Selbstverständlich muss dabei der Blitzenergie-Ertrag höher sein als die in die Laserstrahlen investierte Energie.
Wie aber die Gewitterenergie speichern? Wegen der Stärke und Schnelligkeit der Energieimpulse kommen keine chemischen Speicher wie Akkus oder H2-Elektrolyse-Verfahren in Frage, sondern nur physikalische bzw. elektrochemische Speicher wie Superkondensatoren (Supercaps). In wie fern hier auch die neue Materialklasse der MXene – allein oder in Kombination mit Supercaps – eine Rolle spielen kann, wird die Forschung noch zeigen.
Sollte es gelingen, die Gewitterenergie-Nutzung sowohl technisch als auch ökonomisch darzustellen, so kämen für die Umsetzung vor allem regionale Protagonisten wie Stadtwerke oder Bürgerenergie-Genossenschaften in Frage; auf die großen Energiekonzerne könnte hier verzichtet werden. Doch mit oder ohne einen Anteil Gewitterenergie – die Erneuerbaren Energien werden sich durchsetzen. Kohle- und Atomstrom sind überflüssig.
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