11.09.2020
Raumfahrt: Mit dem Erneuerbaren zu den Planetenräumen
Ein Bericht von Götz Warnke
Sonnenenergie und Weltraumfahrt haben eine lange gemeinsame Geschichte: Nachdem 1954 verschiedene US-Forscher-Teams praktisch gleichzeitig PV-Zellen präsentieren konnten, die mit einem akzeptablen Wirkungsgrad von 4 bis 6% Strom aus Sonnenstrahlung produzierten, flogen diese bereits 1958 mit Vanguard I - dem zweiten US-Satelliten - in den Weltraum. Dass die Zellen, unterstützt von einem Akku, den künstlichen Weltraumkörper immerhin bis 1964 mit Energie versorgen konnten, war ein großes Plus für die Durchsetzung der Photovoltaik auf diesem Gebiet. Denn in der Anfangszeit der Raumfahrt konkurrierten noch verschiedene Energietechniken um diesen profitablen Zukunftsmarkt: Radionuklidbatterien/Atombatterien, Thermoelektrische Elemente, Solar-Stirlingmotore, solare Dampfmaschinen mit geschlossenem Kreislauf etc.
Der jungen und aktiven Solarcommunity war die Bedeutung der Weltraumfahrt für die Entwicklung des eigenen Fachbereichs durchaus bewusst; in der Zeitschrift "Solar Energy" der International Solar Energy Society (ISES) finden sich schon früh viele entsprechende Publikationen wie "Solar-power sources for satellite applications" oder "Power sources for satellites and space vehicles". Selbst mögliche Reisen durch unser Sonnensystem mit Antrieben durch Sonnenwind-Segeln waren 1959 schon ein Thema: "Solar sailing-a practical method of propulsion within the solar system". Heute sind die - meist nachführbaren - PV-Paneele aus der Weltraumfahrt nicht mehr wegzudenken; sie versorgen von kleinen Satelliten bis zur Internationalen Raumstation ISS praktisch alle Raumfahrzeuge. Selbst Ionentriebwerke beziehen ihren benötigten Strom aus Solarzellen. Und die meisten Marssonden wurden per PV mit Energie versorgt, wobei z.B. "Spirit" und "Opportunity" ihre geplante Einsatzdauer von 90 Tagen auch dank der PV um viele Jahre übertrafen.
Nun ist es eine Sache, durch unser Sonnensystem "schippernde" Raumschiffe mit Energie zu versorgen, zumal hier - neben den o.a. solaren Antrieben - weder das CO2 aus konventionellen Raketentriebwerken noch die Strahlung aus Nukleartriebwerken irgendwelche Schäden anrichten können. Eine ganz andere Sache ist es, Raumfahrzeuge von der Erde erst einmal in den Weltraum zu bringen. Und um der Anziehungskraft der Erde ganz oder zumindest teilweise (Erdorbit) zu entfliehen, sind viel größere Kräfte notwendig als für das Gleiten durch den luftleeren, schwerelosen Raum.
Um eine Kreisbahn um die Erde zu fliegen, also in einen Erdorbit einzutreten, muss ein Raumfahrzeug zumindest eine Geschwindigkeit 7,8 km/s erreichen (erste kosmische Geschwindigkeit). Das sind umgerechnet über 28.000 km/h und damit viel mehr, als jede Gewehrkugel erreicht. Wird diese Geschwindigkeit nicht erreicht, stürzen die Flugkörper auf einer Parabelbahn zur Erde zurück. Um die Erdanziehung endgültig zu verlassen, werden sogar 11,2 km/s benötigt ("Fluchtgeschwindigkeit"). Solche Geschwindigkeiten erfordern hohe Energien und schränken die Auswahl der dafür in Frage kommenden Techniken erheblich ein. Nicht umsonst werden Raumschiffe möglichst in Äquatornähe (→ Kourou) und gegen Osten gestartet. Das bringt wegen der gegenläufigen Rotationsgeschwindigkeit der Erde noch mal einen Geschwindigkeitszuwachs von 0,46 km/s - jeder Tropfen Treibstoff zählt halt. Ein deutscher "Weltraumbahnhof in der Nordsee", der vorwiegend nur für polare Orbits geeignet wäre, dient da eher den Partikularinteressen einiger Industrieunternehmen.
Weil die meisten heutigen Raketentreibstoffe wegen ihrer CO2-Emissionen und der Freisetzung von Schadstoffen nicht zukunftsfähig sind, werden viele Raumfahrtfans zuerst einmal auf E-Fuels, d.h. Treibstoffe aus Erneuerbaren Energien setzen, zumal ja schon heute viele Raketen wie u.a. die neue Ariane 6 mit flüssigem Wasserstoff (+ Sauerstoff) - wenngleich noch aus fossiler Herstellung - betrieben werden. Doch die E-Fuels, selbst in der einfachsten Version des Wasserstoffs, bringen Probleme mit sich: Abgesehen davon, dass es derzeit viel zu wenig Erneuerbare Energien gibt, um sie in relevanten Mengen herzustellen, existiert bereits heute eine heftige Konkurrenz um die noch gar nicht existierenden Treibstoffe: Luftfahrt und Schifffahrt setzen darauf, ja selbst Bahn und Autoindustrie wollen welche, obgleich sie diese eigentlich gar nicht brauchen. Wie immer sich dieser Markt künftig entwickelt - E-Fuels werden teuer und knapp bleiben. Doch schlimmer noch: Die sauber hergestellten E-Fuels sind in Flugzeugen und Raketen klimafeindlich. Denn bei ihrer Verbrennung entsteht Wasserdampf, der in großen Höhen als Klimagas wirkt. Unter klimapolitischen Aspekten sind E-Fuels bei der fliegenden Zunft eher kontraproduktiv.
Wenn also nicht die Rakete, dann zurück zur Kanone? Schon in den 1960er Jahren experimentierten der kanadische Ingenieur Gerald Bull und das US-Verteidigungsministerium im Projekt HARP mit großen Navy-Geschützen. Zwar erreichte man Höhen von 180 km, aber für ein Einschwenken in eine Erdumlaufbahn war das Geschoss zu langsam. Spätere Projekte des Lawrence Livermore National Laboratory erreichten mit Leichtgaskanonen höhere Geschwindigkeiten, aber immer noch nicht die benötigten 7,8 km/s. Vorteile des Kanonen-Systems sind, dass keine Klimagase in höhere Atmosphärenschichten gelangen und bodennah entstehende Feinstäube etc. sogar weitgehend abgesaugt werden könnten. Nachteile sind die geringe, räumlich begrenzte (Rohrdurchmesser!) Nutzlast, die mangelnde Geschwindigkeit und die hohe Beschleunigung beim Abschuss, die diese Startmethode für Elektronik schwierig und für Menschen unmöglich macht. Die beiden letzteren Punkte ließen sich vielleicht durch ein System wie die V3 (S.13 f.) beheben, indem an einem überlangen Geschützrohr immer weitere, seitliche Treibladungen gezündet werden, sobald das Geschoss diese passiert hat.
Eine weitere Option sind eine Art elektrische Kanone bzw. Katapult/Schlitten, auch Coilgun oder Railgun genannt. Sie sollen Geschwindigkeiten von ca. 20 km/s erreichen, wären also sowohl für Flüge in einen Erdorbit geeignet als auch nach außerhalb. Allerdings ist zu bedenken, dass die Geschwindigkeit erst einmal durch den Luftwiderstand sinkt, sobald das Raumfahrzeug den elektrischen Leiter verlassen hat. Zudem brauchen solche Startanlagen kilometerlange Schienen, um die Beschleunigung pro Sekunde für Menschen erträglich zu halten. Ähnliche Verfahren wie die auf Flugzeugträgern eingesetzten Dampfkatapulte können die erforderlichen Geschwindigkeiten bei weitem nicht erreichen.
Eine weitere, derzeit allerdings noch nicht technisch umsetzbare Idee ist ein Weltraumlift, bei dem ein Seil von einem in 40.000 km Höhe geostationär positionierten Satelliten herabgelassen und an einer Bodenstation befestigt wird, um dann an diesem Seil kostengünstig und mit wenig Energie Lasten in den Weltraum zu befördern. Diese seit ca. 60 Jahren diskutierte und erforschte Methode scheitert bis heute an den fehlenden Materialien für ein entsprechend hochfestes Seil.
Weitere Antriebsverfahren wie die elektrischen Raumfahrtantriebe eignen sich nur für Bahnkorrekturen von Satelliten im Weltraum oder sind Energiesparmodelle wie die Vater-und-Sohn-Systeme (Huckepack-Verfahren), zu denen u.a. das deutsche Sänger-Projekt gehört.
Die wenigen bisherigen Optionen für eine klimaneutrale Raumfahrt machen deutlich, dass hier eine wirkliche technische Herausforderung liegt, und dass der immer wieder gehypte Weltraumtourismus wohl ein Wunschtraum bleiben wird.