11.08.2017
Die halblegalen Machenschaften der Solarlobby
Deutschlandweit würden „halblegal“ tausende Mini-PV-Anlagen betrieben. Das Problem sei, dass sie gegen geltende Sicherheitsnormen verstoßen. Diese Zitate stammen aus der Frankfurter Rundschau (FR) vom 2. August 2017 und sind ein Paradebeispiel dafür, auf welch subtilen Pfaden der Fortgang der Solarisierung von unten durch manche Medien ausgebremst wird. Natürlich lässt sich die Photovoltaik als Zukunftstechnologie nicht mehr madig machen, jede Journalistin und jedes Presseorgan wäre unglaubwürdig, würden sie dies versuchen. Inzwischen sind ja die großen Energieversorger, die die Erneuerbaren lange als Hirngespinste abgetan hatten, auf diesen Zug aufgesprungen. Aber eben zu ihren Bedingungen, und dass sind andere als die von normalen Bürgern oder Mittelständlern, die Geldanlage und Klimaschutz unter einen Hut bringen wollen. Jenseits der Technologiefragen geht es um das „Wie“ der Solarisierung in der Gesellschaft. Können Dezentralisierung und Demokratisierung der Energieerzeugung damit verbunden werden, oder bleiben alte Machtstrukturen erhalten?
Beim sogenannten Balkonkraftwerk, welches die gemeinnützige Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie DGS-SolarRebell® nennt und offensiv bewirbt, könnte es bedeuten, dass der jeweilige Energieversorger das letzte Wort darüber hätte, ob der Verbraucher ein solches Gerät anschließen dürfte oder nicht. So ganz nach dem Motto, kaufen oder bauen könnt ihr ja, aber nicht anschließen. Das interessante am Artikel der FR ist die Methode, wie das Balkonkraftwerk charakterisiert wird. Während im Vorspann die angeblich 30.000 Balkonkraftwerke in Deutschland als „halblegal“ verortet werden, gesteht man im Text ein, die Geräte seien „zwar nicht explizit verboten“, aber sie verstießen gegen geltende Elektrotechnik-Normen. Wohl wissend, dass es mit der Juristerei wie mit Schwangerschaften ist, dass es ein Halb nicht gibt, hat man dem Begriff Balkonkraftwerk die zweifelhaft Konnotation „halblegal“ angeheftet. Und bekanntlich wirkt dies im Bewusstsein der Leser – ein Schelm, der böses bei der Wortwahl denkt.
Dafür hat ein Rechercheur der Zeitung auch mit der DGS gesprochen. Die FR zitiert, dass die DGS bis zu einer Bagatellgrenze von 600 Watt kein Risiko im Betrieb dieser Kleinanlagen sieht, die jeweils nur über eine Leistung zwischen 200 und 300 Watt verfügen. Auch dass die DGS es begrüßen würde, wenn dies in den Normen des Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. (VDE) verankert würde. Schließlich gebe es in den Niederlanden seit Jahren eine solche Bagatellgrenze und über 200.000 Balkonkraftwerke, die, ähnlich wie in der Schweiz und Österreich, völlig problemlos einspeisen. Dass es im zuständigen Normenausschuss des VDE zähe Auseinandersetzungen über die Ausgestaltung einer solchen Aufnahme von Balkonkraftwerken in die Norm VDE-AR-N 4105 gibt – „nach fast zehn Jahren Debatte bewegen sich die Dinge auch hierzulande“ - erfährt der FR-Leser am Rande. Warum das so ist, leider nicht. Stattdessen steht die These vom Verstoß gegen die bestehenden Normen. Dies ist die zweite negative Konnotation, welche die FR den Geräten anhängt. Balkonkraftwerke sind nicht nur halblegal, sondern auch ein Verstoß gegen technische Normen. Das sind Killeretiketten, die ins Unterbewusstsein der Leser zielen.
Kein Wort davon, dass die Norm aus einer Zeit stammt, in der noch kein Mensch, auch kein Elektroingenieur, an Minisolaranlagen dachte. Kein Wort davon, dass die Ausformulierung der Norm, anders als in den Niederlanden, gewissermaßen unter die Räder der Kämpfe zwischen Konzernstrategien und Bürgerenergie geraten ist. Kein Wort davon, dass diejenigen, die die Norm nach dem Vorbild unserer Nachbarn modernisieren wollen, es außerordentlich schwer haben. Zu denen, die im Normenausschuss kämpfen, gehören auch DGS-Mitglieder, doch darüber wollten die Rechercheure nichts wissen. Stattdessen bezeichnet der FR-Artikel die DGS als „Lobbyverband“. Man soll nun nicht glauben, dass die FR den Unterschied zwischen einem von industriellen Interessen bezahlten Lobbyverband und einer NGO nicht kennen würde. Aber es passt in diesem Zusammenhang offenbar gut, denjenigen, die keine Konzerninteressen vertreten, ans Bein zu pinkeln. Denn tatsächlich geht es bei den Balkonkraftwerken nicht um bürgerbewegte Spielereien, sondern im Endeffekt um den Ersatz beträchtlicher Mengen von Kohle- und Atomstrom, also um die Rentabilität vorhandener Kraftwerke.
Wohin der Hase bei der FR-Berichterstattung läuft, offenbart sich auf putzige Art und Weise im letzten Teil des scheinbar so solarfreundlichen Artikels. Es wird dort sehr positiv über ein Projekt des Oldenburger Energieversorgers EWE berichtet, der im Mai 2016 ein ganzes Mietshaus mit den Balkonmodulen ausgerüstet hatte und der die Balkonkraftwerke nach zwei Jahren seinen Mietern zum Kauf anbieten will. Wie sollte man es eigentlich charakterisieren, dass die EWE ihre Mieter zum Verstoß gegen die Normen mit einer halblegalen Solaranlage überreden will? Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Die DGS findet das Projekt der EWE nicht schlecht. Aber was der Konzern EWE kann, das sollen auch ganz normale Mieter tun dürfen, ganz nach dem Motto „ich bin doch nicht blöd“, ich kauf mir so ein Dinge, steck den Stecker in die Dose und los geht’s. Übrigens, das Gezerre im Normenausschuss um gesonderte Stecker, Fehlerstrom-Schutzeinrichtung und Anmeldepflicht ist noch immer nicht zu Ende. Fortsetzung folgt, garantiert…
Link zum FR-Artikel „Bürgerenergie Solar-Guerilla auf Balkonien“ vom 02.08.17