11.03.2022
Biogas, die eierlegende Wollmilchsau der Erneuerbaren Energien?
Ein Bericht von Heinz Wraneschitz
„Wie viel Potenzial steckt tatsächlich in Biogas?“ Auf diese Frage hatten Vertreter der Erneuerbaren-Energien-Verbände von Bund und EU in einem Online-Gespräch eine klare Antwort: (fast) unendlich viel. Nur müsse sich dieses Potenzial frei entfalten können.
Am vergangenen Sonntag hatten sich die Politiker nur so überboten mit Milliardensummen für die Energiezukunft: Bayerns Energieminister Hubert Aiwanger forderte vom Bund „ein 100 Milliarden-Programm für die heimische Energieversorgung“. Dabei hatte der für Geld zuständige Bundesfinanzminister Christian Lindner im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen sogar bereits „200 Milliarden Euro für Klimawende“ versprochen.
Doch einen Tag danach rieben sich sicherlich viele Teilnehmende des besagten Onlinegesprächs die Augen. Denn gefragt, welchen Anteil sich die Biogasbranche von Lindners 200 Mrd. wünscht, erklärte Horst Seide, der ehrenamtliche Präsident des Fachverbands Biogas (FVB) klipp und klar: „Unsere Maßnahmen kosten eigentlich kein Geld.“ Glaubt man nämlich Seide, dann werden die oft bäuerlichen Betreiber von Biogas-Dorfkraftwerken schlichtweg bürokratisch ausgebremst.
Dem stimmte Simone Peter ausdrücklich zu. Die Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE), dem Fachorganisationen für Wind-, Sonnen-, Wasser- und anderen Erneuerbaren Energien angehören, hob besonders „das Multitalent Bioenergie als Speicher“ hervor. Damit könne die von Wind- und Solarkraftwerken unstetig gewonnene elektrische Energielieferung wunderbar ausgeglichen werden. Und insgesamt lasse sich „der Verbrauch hierzulande durch einen Energiemix aus allen Erneuerbaren zu 100% sauber, sicher und bezahlbar decken“, so Peter. Zudem würde im Land gewonnene Energie die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieimporte für Öl, Gas, Kohle, Uran massiv reduzieren.
Biogas-Flexibilisierung statt Flüssiggas-Terminals
Die aktuelle, augenscheinlich gefährliche Energie-Importabhängigkeit wird uns allen ja gerade durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine deutlich vor Augen geführt. Besonders deshalb appellierte die BEE-Chefin an die verantwortliche Politik, nicht auf „Flüssiggas-Terminals zu setzen, die brauchen über zwei Jahre Bauzeit, sondern auf die Flexibilisierung des bestehenden Biogas-Anlagenparks. Die ist viel schneller umzusetzen.“
Doch statt flexiblem Ausbau „wird heute jede Biogasanlage eingebremst durch ihren individuellen Deckel“, der die maximal mögliche Stromerzeugung verhindere, ergänzte Seide. Würde dieser Deckel weggenommen, „könnten wir sofort 20 Prozent mehr elektrische Arbeit bereitstellen, das entspricht allein fünf Prozent der russischen Gasimporte. Und damit würden wir den Strompreis senken“, denn auch die mehr erzeugten Biogas-Kilowattstunden (kWh) würden weniger kosten als Erdgas-Spitzenstrom.
Übrigens wäre laut Horst Seide „mittelfristig Biogas-Erzeugung in Deutschland in Höhe von 42 Prozent der russischen Gasimporte möglich“. Dazu aber wäre das Gegenteil dessen nötig, als was die Ampelkoalition in ihrem so genannten „EEG-Osterpaket“ verkündet hat. Denn was darin stünde, „das würde eine massive Stilllegung von flexiblen Vor-Ort-Biogasanlagen bedeuten“, stellte Simone Peter klar. Im Gegenteil sei die Renovierung alter sowie der Bau von mehr neuen Anlagen notwendig. Damit meinte sie nicht nur große, die Biomethan ins Erdgasnetz einspeisen, wie sie die Bundesregierung vorschlage.
Falsche Ziele im Osterpaket
„Dieser Systemwechsel, wie ihn das Osterpaket vorschlägt, ist nicht richtig. Es geht nicht auf unsere Möglichkeiten ein, entweder flexibel zu fahren oder Biomethan zu erzeugen“, unterstützte Horst Seide. Zudem: „An dörfliche Strukturen wird gar nicht gedacht“, denn oft würden bäuerliche Biogasanlagen für die nachhaltige Wärme kleiner Orte sorgen; die sei durch die Ausrichtung des Osterpakets nun in Gefahr.
Weil „in die lokale Kreislaufwirtschaft eingebunden“, sei „Biogas nicht immer sichtbar“, gab Harmen Dekker, der Geschäftsführer des Europäischen Biogas-Verbandes EBA, zu.
Dennoch habe sogar die EU begriffen, dass Biogas die Importabhängigkeit von Erdgasimporten verringern könne. Er erwartete, die Kommission würde einen Tag später vorschlagen, dass bis 2030 35 Mrd. m³ Biomethan zusätzlich in der ganzen EU erzeugt werden. „Und sogar die dreifache Menge ist möglich, das wären 50 Prozent des gesamten EU-Gasbedarfes“, sagte Dekker voraus.
Biomethan bald billiger als Erdgas
Laut Dekkers Einschätzung könne Biomethan bald für etwa 55 Euro pro Megawattstunde (MWh) erzeugt werden. Somit würden die dank steigender CO2-Steuern auf Fossilenergien sinkenden Bioenergiepreise sich zu einer langfristigen Erdgas-Alternative entwickeln. Und die Gärprodukte können als Düngemittel die treibhausgassteigernde Chemie ersetzen. Nicht nur deshalb setzte der EBA-Präsident „die Unterstützung von allen politischen Ebenen“. Zumal die Branche verspricht, in Zukunft weniger auf Mais und Co, sondern auf Lebensmittelabfälle, Abwasser, landwirtschaftliche Reststoffe als Substrat zu setzen, also „das Ende der Tank-Teller-Diskussion“, wie es Simone Peter formulierte.
Deshalb schauten am Dienstag dieser Woche, also einen Tag nach der FVB-Veranstaltung alle nach Brüssel. Es war erwartet worden, dass EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermanns dort eine klare Biogasstrategie der Kommission verkünden würde: 5.000 neue Biogasanlagen in der Gemeinschaft, davon 1.000 zur Biomethanerzeugung und 4.000 mittelgroße sollten bis 2030 dazukommen. Zum Vergleich: In Deutschland sind aktuell insgesamt etwa 6.000 Biogasanlagen in Betrieb, aber eben meist kleine am Dorf, oft von Landwirt:innen betrieben.
Doch bei der EU-Pressekonferenz setzten Timmermanns und EU-Energiekommissarin Kadri Simson trotz des werbewirksamen Titels „REPwerEU - Beseitigung unserer Abhängigkeit von russischem Gas vor 2030“ einen anderen Schwerpunkt: „Diversifizierung der Gasversorgung durch höhere Einfuhren von Erdgas von nichtrussischen Lieferanten in flüssiger Form (LNG) oder über Pipelines.“
Erst danach kamen „die Steigerung der Produktion und der Einfuhren von Biomethan und Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen“ ins Gespräch. Konkrete Ziele für den Ausbau der Bioenergie nannten beide nicht, nur die „schrittweise Einsparung von mindestens 155 Mrd. m³ fossilem Gas“, davon „zwei Drittel binnen eines Jahres“.
Dabei hatte FVB-Präsident Horst Seide am Montag im Vertrauen auf eine klare EU-Entscheidung bereits von der Bundesregierung gefordert, „die Timmermanns-Strategie auf Deutschland herunterzubrechen“.