11.01.2019
Leschs Lithium-Litanei, oder: ein Astronomieprofessor auf Abwegen
Das Elektroauto hat viele Feinde: die konventionelle Autoindustrie, ihre Zulieferer, ihre Werbe- und PR-Agenturen, Gebrauchtwagenhändler, Schummeldiesel-Besitzer usw. usw. – in erster Linie also alle, die durch eine Verkehrswende Geld verlieren könnten. Daher ist man manchmal überrascht, wer sich in diese Front so einreiht: seit neuestem auch der Astronom und medial präsente Erklärer naturwissenschaftlicher Themen Professor Dr. Harald Lesch. Lesch, allzu inniger Verbindungen zur Autoindustrie gänzlich unverdächtig, hat Ende vergangenen Jahres an der TU Ilmenau vor Studierenden einen schwungvollen und z.T. polemischen Vortrag zu dem ihm eher fachfremden Thema „Das Kapitalozän - Erdzeitalter des Geldes“ gehalten. Der Vortrag wurde aufgezeichnet und auf Youtube gestellt. Dass ein nur dreiminütiger Ausschnitt aus diesem Vortrag (ab Minute 33:24) nun durch die Netze geistert, in dem Lesch gegen Elektromobile polemisiert, ist angesichts der vielen Feinde des Elektroautos nicht überraschend.
Viel interessanter ist es, sich die Thesen von Harald Lesch in diesen drei Video-Minuten zu analysieren, die dieser mit seinem wissenschaftlichen Renommee im Rücken so plakativ vorträgt. Sehen wir uns die Thesen mal im Einzelnen an:
1. Elektromobile sind Fahrzeuge für Millionäre, aber nicht für Millionen
Einen Renault ZOE, eines der meistgekauften E-Autos, bekommt man für 22.000 bis 24.000 Euro (mit Dieselumtauschprämie sogar noch billiger), einen E-Golf mit rund 36.000 € (minus Prämien), einen Nissan Leaf ab 32.000 €, und den über 10.000 mal gebauten Lieferwagen Streetscooter der Deutschen Post erhält man auch für rund 32.000 €. Alles Autos für Millionäre? Unfug! E-Autos für Millionäre beginnen da, wo die BAFA-Förderung endet: bei einem Netto-Listenpreis des Basismodells ab 60.000 Euro aufwärts. Und noch schlimmer: Lesch hat völlig übersehen, dass Elektromobilität erheblich mehr ist als die Elektrifizierung des Auto-Antriebsstrangs! Elektrische Lastenräder, die als Transportmittel Autos ersetzen, Anhänger mit E-Hilfsantrieb und E-Boote, die die Gewässer nicht mit auslaufendem Treibstoff belasten, gehören ebenfalls zur Elektromobilität.
2. Kein Mensch, niemand spricht darüber, woher all‘ das Lithium für die Batterien kommt
Darüber braucht auch niemand zu sprechen, denn ein Blick von Professor Lesch auf Wikipedia hätte genügt: Danach sind derzeit die weltgrößten Förderländer Australien, Chile, Argentinien und China. Künftig wird auch Bolivien dazu kommen, wo die größten Reserven lagern, und wo die Regierung gerade mit Deutschland einen Vertrag zwecks einer gemeinsamen Gewinnung/Verarbeitung des Lithiums geschlossen hat. Denn die deutsche Autoindustrie bezieht bisher kein reines Lithium für ihre Akkus aus dem Ausland – und auch nicht aus Chile –, sondern nur Zellen bzw. ganze Akkus von Herstellern wie CATL/China, Panasonic/Japan, Samsung und LG/Korea. Das Fehlen einer eigenen Zellfertigung in Europa ist Thema in allen Medien. Dass die großen Zellfertiger nicht jedes Gramm in der Zelle nach Herkunft beschriften, ist klar, zumal sie selbst den Rohstoff rund um die Welt einkaufen. Damit erübrigt sich auch die Frage nach der Herkunft des Lithiums.
Lesch nimmt bei diesem Thema Bezug auf eine Folge der ZDF-Serie „planet e“. In dieser sehr tendenziösen Folge wird nicht nur dem angeblichen Skandal um den Atacama-Salzsee (s.u.) breiter Raum gegeben, sondern es werden auch die deutschen Autohersteller mit dieser unsinnigen Frage nach der Herkunft des Lithiums bohrend konfrontiert. Zudem gibt die Fernsehsendung, die auch gut aus der PR-Abteilung eines Auspuff-Zulieferers stammen könnte, allein den E-Autobauern die Schuld für die Abbau-Folgen des Lithiums in Chile und des Kobalts im Kongo, ohne deutlich zu sagen, dass Lithium seit langem auch bei Glas/Keramik, Schmiermitteln und Klimaanlagen verwendet wird, und dass man Kobalt für hochfeste Legierungen in chemischen Apparaten, medizinischen Implantaten und Turbinenschaufeln einsetzen muss. Da ist aber dann nicht das E-Auto schuld, und die ganze Skandalisierung des Fernsehberichts würde in sich zusammenbrechen.
3. Der Skandal um den Atacama-Salzsee und die dort täglich abgepumpten 21 Millionen Liter Grundwasser:
Der Salar de Atacama ist ein nordchilenischer Salzsee in der Atacama-Wüste. Nachdem dort schon seit Jahrzehnten Kaliumchlorid (Salz) in großen Verdunstungsbecken abgebaut wurde, begann man 1996 auch mit dem Abbau von Lithiumchlorid als einem Nebenprodukt der Kaliumchlorid-Förderung. Dabei wird das unterirdische, für den menschlichen Genuss ungeeignete Salzwasser in große Becken gepumpt, wo es mit Sonnenenergie verdunstet und so die Abbau-Rohstoffe konzentriert werden. → Sekundäre Lagerstätten. Salzwasser verdunsten zu lassen, ist nun grundsätzlich kein Verbrechen: weltweit machen das seit Jahrhunderten tausende von Meerwassersalinen (Meersalzgewinnung/Natriumchlorid), ohne jemals dafür vor Leschs Tribunal gezerrt worden zu sein.
Doch wie steht es um den Salzsee? Nach Berechnungen aus dem Jahr 1996 nimmt das Gebiet durch ober- und unterirdische Zuflüsse sowie Regen jährlich 172 Millionen Kubikmeter Wasser auf. Andererseits werden 27 Millionen Kubikmeter Wasser für die Landwirtschaft entnommen, und sogar 145 Millionen Kubikmeter verdunsten jährlich, wobei darin das Wasser der Kaliumchlorid-/Lithiumchlorid-Förderung enthalten sein dürfte. Ob durch die Förderung der Grundwasserspiegel für die wenigen dort lebenden Menschen sinkt, wird zwar bisweilen behauptet, ist aber nicht eindeutig. Denn die von Lesch so dramatisch aufgeführten 21 Millionen Liter Wasser täglich sind auch „nur“ 21.000 Kubikmeter pro Tag und rund 7,7 Millionen Kubikmeter pro Jahr, also eine relativ geringe Menge im Wasserhaushalt des Salzsees. Was also bleibt von Leschs Drama? Ein winziger Teil einer riesigen Wassermenge, die nicht einmal Trinkwasser ist.
Fazit
Wie schon die o.a. planet-e-Folge des ZDF, so arbeitet auch Harald Lesch hier mit Halbwahrheiten und Unterstellungen. Ob das nur uninformiertes Gerede oder ideologische Absicht ist, lässt sich von außen nicht beurteilen. Immerhin kann Lesch zu seiner Entlastung anführen, dass er Astronom und Astrophysiker ist und nicht Geologe, Ingenieur, oder Ökonom – also vom Thema seines Vortrags nicht unbedingt Ahnung haben muss. Dennoch, oder gerade deshalb gilt auch für diesen Astrophysiker: Lesch, bleib bei Deinen Leisten!