11.01.2019
Hochspannung ohne Volk
Hilflosigkeit. Anders ist das Gefühl nicht zu beschreiben, das Bürger wie kommunal Verantwortliche überkommt, wenn sie sich ernsthaft in die Planung von Hochspannungstrassen einschalten wollen. Daraus entstehen vielerorts Wut und heftige Proteste. Darüber wundern sich jene, die 100-prozentig von der Sinnhaftigkeit neuer Trassen kreuz und quer durch die Republik überzeugt sind: Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB), Bundesnetzagentur (BNetzA), CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmeier nebst regierungsbeamtlichem Gefolge. Wer die Entwicklung seit der Gründung der neuen Berliner GroKo aus CDU, SPD und CSU aufmerksam verfolgt, wird das Gefühl nicht los: Diese Energie-Zentralisten entfernen sich immer weiter von der Lebenswirklichkeit der normalen Menschen. Gerade in Süddeutschland.
In der Vergangenheit hat sich aber auch der Bayerische Landtag nicht gerade mit bürgernahem Ruhm bekleckert. Da hatte die trassenkritische Bürgerinitiative (BI) Brand, Landkreis Wunsiedel in Oberfranken, im August 2017 eine Petition an das freistaatliche Parlament gesandt. Es ging um Probebohrungen, die der ÜNB Tennet für die Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) Südostlink in Oberfranken durchführt.
Ein Jahr nach dem Einreichen hätte die Petition eigentlich noch behandelt werden sollen, bevor der Landtag neu gewählt wurde: Am 20.09.2018 stand sie auf der Tagesordnung im Ausschuss für Wirtschafts- und Energiefragen. Doch einen Tag davor erhielt die BI die Information: Aus die Maus, „Ihre Petition wird leider doch nicht behandelt werden“. Wie bürgernahe Demokratie hört sich das nicht an. Und ob die neue, nach eigenen Aussagen noch bürgernähere Bayern-Koalition aus CSU und Freien Wählern sich demnächst mit diesem Bürgeranliegen beschäftigen wird, ist offen.
Wer glaubt, die gegen Hochspannungsleitungen sind, sperren sich auch gegen neue Energieformen, irrt größtenteils. Die meisten BIs in Bayern sind für Strom aus Regenerativ-Erzeugung vor Ort, wünschen sich einen Mix aus Sonnen- und Windenergie. Deshalb bekämpfen sie auch die so genannte 10H-Abstandsregel: Die behindere in Bayern den Ausbau von Windkraftwerken massiv, sagen sie. Und vielerorts haben BIs die Lokalpolitik auf ihrer Seite. Im Kreistag von Wunsiedel im oberfränkischen Fichtelgebirge referierte dieser Tage der vom Landrat beauftragte, bekannte Verwaltungsrechtsanwalt Wolfgang Baumann über „Rechtliche Handlungsmöglichkeiten gegen Südostlink“. Dabei stellte er klar: „Der Anspruch des Bürgers auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz darf de facto nicht unmöglich gemacht werden.“ Auch wenn offiziell das Netzausbaubeschleunigungsgesetz NABEG Rechtsschutz ausschließe: „Klagen gegen die Bundesfachplanung sind zulässig“, gab sich Wolfgang Baumann in Wunsiedel überzeugt.
Der Würzburger Fachanwalt hat auch die Einwendungen der Stadt Schwandorf (Oberpfalz) gegen das Planfeststellungsverfahren zum „Ersatzneubau Ostbayernring“ formuliert. Die Drehstromleitung von Redwitz bis Schwandorf quer durch Bayern will Tennet massiv verstärken. „Fehlerhafte Rechtsgrundlage der Umweltverträglichkeitsprüfung UVP und fehlerhafter UVP-Bericht“: Das ist gleich der erste vieler ausführlich begründeter Kritikpunkte in dem 78-seitigen Schreiben vom 7.12.2018 an die Regierung der Oberpfalz, das uns vorliegt. Als Konsequenz fordert die Stadt Schwandorf: „Die Planfeststellungsbehörde möge den UVP-Bericht als ungeeignet zurückweisen und den Planfeststellungsantrag nach Ablauf einer Nachbesserungsfrist abweisen.“ Das käme einem Super-GAU für die Netzausbaupläne gleich, nicht nur in Bayern. Denn laut Baumanns Analyse hat Tennet „die Nullvariante unzureichend erörtert und geprüft“, also die Frage: Kommt die Stromversorgung auch mit dem aktuellen Übertragungsnetz klar?
Für Trassenausbaugegner gibt es eine Alternative für jenen Strom aus dem Norden Deutschlands, der mit Hilfe von HGÜ nach Bayern und Baden-Württemberg geleitet werden soll: „Energieproduktion aus Erneuerbaren Energien muss auch in Bayern stattfinden. Eine Reduktion auf >wir planen Stromleitungen von Nord nach Süd< ist keine Antwort, sondern eine teure Sackgasse, die keinen nennenswerten Beitrag für wirksamen Klimaschutz leistet.“ Dass Hubert Weiger, der Chef des Umweltverbands BUND dieser Meinung ist, muss nicht verwundern. Aber Josef Hasler, der Vorstandsvorsitzende des Nürnberger N-ERGIE-Konzerns äußert sich wortgleich. Das zeigt, wie einig sich Kommunalunternehmen und Umweltschützer inzwischen sind. „Der Ausbau von Sonnen- und Windenergie muss in Bayern aktiv und mit Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger gestaltet werden“, fordern Weiger und Hasler einmütig.
Ihnen macht ein wenig Hoffnung, dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bei seiner Fernseh-Ansprache zum neuen Jahr 2019 Umweltschutzthemen sogar ins Zentrum gestellt hat: „Es ist nicht die Frage ob der Klimawandel kommt, sondern ob wir bereit sind, uns zu verändern, um ihn zumindest zu verlangsamen.“
Derweil aber hat der ÜNB Tennet bereits seinen geplanten Südostlink-Trassenverlauf öffentlich verkündet. Möglicherweise wollen sie mit Hilfe der BNetzA Fakten schaffen, bevor es sich die verantwortliche Politik noch einmal anders überlegt mit dem mehrtausendkilometrigen Ausbau des Strom-Übertragungsnetzes. Damit stünde nämlich für Tennet die sichere Garantierendite für die neuen Leitungen wieder in Frage.