10.12.2021
Eine kleine Protestaktion zum Thema Microtargeting
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Obwohl es sehr kalt war an diesem Samstagnachmittag in Berlin, blieben mehrere Passanten neugierig stehen. Sie schauten einem Dutzend Klimaaktivisten bei einer Performance auf der Monbijoubrücke zu. Das Thema der künstlerischen Protestaktion: Microtargeting während des Bundestagswahlkampfs.
Personalisierte Wahlkampfwerbung
Die Message der Aktivisten des Netzwerks Extinction Rebellion (XR) war, dass alle Ampelparteien „Microtargeting“ eingesetzt haben. Bei dieser Art der Werbung können Werbebetreibende Anzeigen so schalten lassen, dass diese nur Menschen zu sehen bekommen, die bestimmte Interessen haben. Ein bestimmtes Alter, Geschlecht, Einkommen, gesellschaftliche Zugehörigkeit. Es ist personalisierte Wahlwerbung für beliebige, kleine Personengruppen. Dadurch möchten Werbetreibende die Zielgruppen genauso ansprechen, dass sie empfänglich sind für die Werbebotschaften.
Facebookwerbeanzeigen unter der Lupe
Die jeweiligen Interessen ermittelt Facebook anhand der Themen nach denen User Suchanfragen gestellt haben, etwa nach Klimaschutzthemen oder nach Flugreisen. Laut XR haben die Parteien der Ampelkoalition mit der Nutzung solcher Onlinedaten gezielt versucht, potentielle Wähler:innen zu erreichen. Einige der Wahlanzeigen, die auf Facebook eingesetzt wurden, haben sich die jungen Klimaaktivisten genauer angeschaut. Sie nutzten dazu nach eigenen Angaben auch die Werbebibliothek von Facebook. In ihrer Performance spielen die XR-Aktive mehrere Situationen durch, jeweils verschiedene Zielgruppen, an die sich die Werbeanzeigen gerichtet haben. Da ist das ältere Ehepaar, das in Zukunft immer mehr unter Hitzewellen leiden wird. Und auch eine Ökobauerin, ein Mieter, eine Radfahrerin, eine Autofahrerin, ein Investor. Welche Anzeigen wurden Menschen gezeigt, die diese Interessen haben? Bei der Radfahrerin waren es beispielsweise: „Mobilität, die uns alle weiterbringt. Nachhaltig. Verlässlich. Bezahlbar“ (Werbung der SPD), „Zweirad statt Zwei Grad“ (Werbung der Grünen), „Politik nach den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen“ (Werbung der FDP). Für die Autofahrerin war es die gleiche Werbeanzeige im Fall der SPD, „Auto, Bus oder Bahn – unterwegs wie Du willst“ bei den Grünen und „Wer sein Auto braucht, darf jetzt nicht links abbiegen“ bei der FDP.
„Wir wissen was Du gegoogelt hast und versprechen es Dir“
Die Teilnehmenden Linda und Flo erläutern auf Nachfrage, dass diese Werbeanzeigen „kurz vor der Wahl auf Facebook geschaltet wurden, ein bis zwei Wochen vorher“. Die beiden äußerten starke Kritik an Werbeanzeigen der FDP, die gegenteilige Aussagen hatten. Wenn Facebooknutzer:innen im Vorfeld ein Interesse an Klimaschutz zugeordnet wurde, bekamen sie FDP-Wahlkampfanzeigen zu sehen, die sinngemäß so lauteten, dass sich die Liberalen für klare, verbindliche CO2-Preise einsetzen. Wenn sie jedoch dagegen "Vielflieger“-Kandidat: innen waren (z.B. aufgrund von Onlinesuchen nach Flugreisen) zeigte ihnen Facebook Anzeigen, die aussagten, dass es mit der Partei keine strengen CO2-Preise geben würde. „Also eine komplett gegenteilige Aussage“, betonen Linda und Flo.
Eine rechtliche Grauzone
Mit der Klimaschutzaktion möchten die Aktivisten darauf aufmerksam machen, dass öffentliche Wahlwerbung mittels Wahlplakaten reguliert ist – alle Wahlberechtigten bekommen alle Wahlplakate zu sehen – Onlinewerbung jedoch nicht. Das Motto der Protestaktion war: „Wir wissen was Du gegoogelt hast und versprechen es Dir“. Zu Instagram hatten die Aktivisten keine Informationen. Sie nehmen an, dass die Parteien da ähnlich vorgegangen sind wie bei Facebook.
Obwohl bereits während der Bundestagswahl 2017 viele Menschen auf das Thema Microtargeting hingewiesen haben, stellt das noch eine rechtliche Grauzone dar. Zuletzt machte der Satiriker Jan Böhmermann bei einer Sendung des ZDF Magazin Royale auf das Thema Microtargeting aufmerksam, die zwei Tage vor der Bundestagswahl ausgestrahlt wurde. Umfangreiche Rechercheergebnisse dazu sind unter dem Namen „TargetLeaks“ im Internet zu finden. Im Zusammenhang dazu wurde ein anschauliches Quiz erstellt: Target-O-Mat.
Bei der Performance am Samstag haben die Aktivisten das Interesse der Zuschauer geweckt. Einige schauten sich die gesamte Präsentation an, sichtlich frierend, und applaudierten.