10.12.2021
Bürgerdialog Stromnetz führt Trassenkritiker vor
Ein Kommentar von Heinz Wraneschitz
Nein! Das war kein „konstruktiver Dialog mit allen Beteiligten.“ Dabei hatte Eva-Maria Lutz, die für Franken zuständige Mitarbeiterin des Bürgerdialog Stromnetz (BDS) genau das ich ihrer Einleitung zur jüngsten Onlinediskussion mit dem Titel „Debatte zum Stromnetzausbau“ versprochen.
Besonders überrascht worden war Werner Neumann. Eigentlich war der Arbeitskreisleiter Energie des Umweltverbandes BUND froh gewesen, nach monatelangen Vorgesprächen als Hauptreferent zu jener „Onlinedebatte“ eingeladen worden zu sein. Doch dann kam während der Veranstaltung ein Mitarbeiter der Bundesnetzagentur (BNetzA) um die digitale Ecke. Dass das Organisationsteam des „Bürgerdialog Stromnetz“ den eingeladen hatte, um Neumanns Vortrag aus Agentursicht zu bewerten, davon hatte der BUND-Mann nichts gewusst.
Denn auf der offiziellen Rednerliste standen neben dem Energiesprecher nur eine Grünen-Landtagsabgeordnete, ein Forscher des Öko-Instituts und der Geschäftsführer der Forschungsstelle für Energiewirtschaft FfE. Die waren vom BDS als „hochkarätige Expert*innen der Online-Debatte >Optionen der Energiewende in Deutschland<“ angekündigt gewesen, welche „live mit Bürger*innen aus ganz Deutschland diskutieren“.
Auch diese – laut Onlinezähler an die 100, nach BDS-Info etwa 300 - Teilnehmenden erfuhren erst zu Beginn der Veranstaltung von BDS-Moderator Kilian Harbauer: „Sie können nicht direkt mit uns kommunizieren.“ Normalerweise ist ja Diskussion bei Onlineveranstaltungen live, nicht aber die Auflistung von Fragen und deren Abarbeitung. Doch nicht einmal das Versprechen, die per Onlinetool hochgewählten Fragen würden zuerst abgearbeitet, wurde eingehalten. Nicht nur ich hatte das Gefühl: Die meisten Fragen, die es aufs Onlinepodium schafften, wurden sehr bewusst nach dem Geschmack des BDS-Teams gewählt. Denn es waren welche mit sieben „Likes“ dabei, solche mit mehreren Dutzend hoher Daumen fielen durch das Auswahlraster.
Unter den Podiumsteilnehmer*innen herrschte ziemliche Einigkeit: Beim Stromnetzausbau müsse es zuerst um die Verteilnetze und die Sektorenkopplung der dezentral erzeugten Ökoenergie gehen, nicht um die großen Stromtrassen. BUND-Energiefachmann Neumann bezog sich dabei auf Studien unter anderem der Wirtschaftsweisen Prof. Veronika Grimm von der Uni Erlangen oder des renommierten Wiesbadener Energiewirtschaftswissenschaftlers Prof. Lorenz Jarass.
Doch Moderator Harbauer schien diese Wünsche zu ignorieren, griff mehrfach sogar mit seiner eigenen Meinung in die Diskussion ein. Und dann sprang auch noch ziemlich unvermittelt Jonas Kiehne aus dem Hintergrund auf die virtuelle Bühne. Der „Referent Netzentwicklung“ von der BNetzA und – nach eigener Vita - frühere Praktikant beim Übertragungsnetzbetreiber Amprion erklärte ausdrücklich: In die Bewertungen der Netzagentur zu den Ausbauplänen „geht ein Strauß an Gutachten ein, gute und schlechte“. Doch Neumanns Frage, welche Gutachten und Gutachter denn die „guten“ seien, unterband Harbauer. Neutrale Moderation war das jedenfalls nicht.
Wahrscheinlich aber zählt er – wie die Bundesnetzagentur auch – Jarass zu den „schlechten“. Denn der rechnet seit vielen Jahren anhand offizieller Zahlen genau jener Behörde vor, wie überzogen die von der BNetzA verantworteten Ausbaupläne für Übertragungsnetze sind. Das passt den Verantwortlichen dort augenscheinlich nicht in den Kram, wie einem Brief an eine bayerische Behörde zu entnehmen ist. Darin schreibt die BNetzA wörtlich: „Den Veröffentlichungen von Herrn Prof. Jarass zeichnen sich dadurch aus, dass die Methoden und Behauptungen zu großen Teilen keiner wissenschaftlichen Prüfung standhalten.“ Was im Umkehrschluss bedeuten müsste: Die BNetzA zweifelt eigentlich ihre eigenen Methoden an.
Dazu passt, dass Jonas Kiehne in der Onlineveranstaltung ausdrücklich erklärte, egal ob unbedarft oder bewusst: Die BNetzA „macht die Netzplanung, wir planen nicht das Gesamtsystem. Wir stellen dabei nicht die Frage nach dem Verbrauch. Diese Frage wird im großen Teil politisch beantwortet, das ist nicht die Aufgabe der BNetzA.“ Dabei hatte erst kürzlich der Europäische Gerichtshof (EuGH) ausdrücklich gefordert, die BNetzA müsse unabhängig von der Bundespolitik agieren.
Bleibt zu hoffen, dass die neue Bundesregierung endlich das vom bisherigen CDU-Energieminister Peter Altmaier Versäumte nachholt und der BNetzA jene Freiheit gibt, welche der EuGH erwartet. Und noch eine Hoffnung habe ich: Dass nämlich der nagelneue Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, der Bündnis-Grüne Robert Habeck, der Mann- und Frauschaft des „Bürgerdialog Stromnetz“ endlich klarmacht, was das Wort „Bürgerdialog“ tatsächlich bedeutet. Denn was die meist jungforschen BDS-Leute machen, wirkt eher wie der Versuch, die Kapitalinteressen der Übertragungsnetzbetreiber massiv durchzusetzen. Und das auch noch bezahlt von Steuergeld aus dem Hause des genannten Habeck-Ministeriums.
Vielleicht hängt es ja auch damit zusammen, dass sie einen ganz anderen Arbeitgeber haben, nämlich den Großberater Price Waterhouse Cooper, kurz PWC. Auch wenn das dort nicht erkennbar ist.
Eva-Maria Lutz zum Beispiel ist tatsächlich mit Prokura ausgestattete Prokuristin bei PWC. Zuvor arbeitete sie als „Referentin Energieinfrastruktur Strom, Netze“ im Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie unter der damaligen CSU-Ministerin Ilse Aigner.
Und die trat – wir erinnern uns - damals eindrücklich für den massiven Ausbau der Übertragungsnetze ein: Das dürfte auch Eva-Maria Lutz nachhaltig geprägt haben.