10.11.2023
Kein günstiger grüner Wasserstoff für diese Generation
Eine Kritik von Götz Warnke
Am 26.10. diesen Jahres erreichte unsere Redaktion eine „frohe Kunde“ in Form einer Pressemitteilung des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) mit dem Titel „Endkundenpreise für grünen Wasserstoff langfristig nicht höher als Gaspreise“. Diese vorgeblich schöne Nachricht machte dann auch in vielen Medienhäusern des Landes die Runde. Allein, in unserer kritischen und hinsichtlich wohl klingender Pressemitteilungen notorisch undankbaren Redaktion wollte keine echte Freude aufkommen.
Denn der Inhalt der Nachricht vom DVGW, eines Lobbyverbandes für viele, die oft im Halbdunkeln werkeln, klingt doch deutlich anders, als der Titel im ersten Moment vermuten lässt. Die Pressemeldung (PM) beruht auf einer bei der Londoner Unternehmensberatung Frontier Economics beauftragten Studie zur Einordnung künftiger Wasserstoffkosten für die Wärmeversorgung in Deutschland, in der auch verschiedene Heizformen verglichen wurden.
Während sich die ersten drei Absätze der PM mit Allgemeinem beschäftigen – etwa, dass man die Situation der Jahre 2035 und 2045, sowie die Gebäude-Effizienzklassen B (grüne Klasse) und D (gelbe, d.h. sanierungsbedürftige Klasse) behandelt hat – oder vom Lob von DVGW-Offiziellen für die selbst beauftragte Studie (Honi soit qui mal y pense) künden, kommt man im 4. Absatz zu des „Pudels Kern“.
„Während die Endkundenpreise für klimaneutralen Wasserstoff in Deutschland bis zum Jahr 2035 voraussichtlich noch über denen für Erdgas und Biomethan liegen, könnten sie bis 2045 ein vergleichbares Niveau erreichen.“ Ja, „könnten“! Zuerst einmal müssen aber die heutigen H2ready-Heizungen schon ab 2030 mit 50% Wasserstoff betrieben werden, und 2045 sogar mit 100% H2. Da die heute eingebauten H2ready-Heizungen meist nur mit einem Wasserstoffanteil von ca. 20% klar kommen, müssen sie zuvor teuer umgerüstet werden. D.h., manche der heutigen Besitzer werden das Zeitalter des günstigen grünen Wasserstoffs gar nicht mehr erleben – wenn es denn überhaupt kommt, was viele Fachleute bezweifeln. Künftige Preise und Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff sind schon seit Jahren eine Rechnung mit vielen Unbekannten.
Doch es geht noch weiter mit dem Pressetext: „Die Studie zeigt, dass bei Gebäuden mit einer Effizienzklasse B und besser die Gesamtkosten einer Grüngastherme auf Basis von Wasserstoff oder Biomethan voraussichtlich über denen einer Wärmepumpe liegen. Bei einer schlechteren Effizienzklasse ist das Bild dagegen umgekehrt: Die Gesamtkosten einer Grüngastherme könnten dann niedriger ausfallen als bei einer Wärmepumpe – vor allem langfristig, zum Beispiel bis zum Jahr 2045.“
Oder um es kurz zu fassen: Bei ordentlich gedämmten Gebäuden ist die Wärmepumpe die bessere Heizung – auch weil Biomethan wegen des aus Klimaschutzgründen zurückgehenden Maisanbaus gar nicht in größerem Umfang für Heizzwecke zur Verfügung stehen wird. Und wie viele schlecht gedämmte Gebäude der Effizienzklassen D und schlechter es nach 2040 noch geben darf bzw. kann, steht auch noch in den Sternen.
Bisher war das Gasnetz sowohl für den Wärmesektor als auch für den Industriesektor strategisch wichtig, und so hatten die Gasnetzbetreiber relativ frei Bahn. In Europa entscheidet die Gaswirtschaft sogar über den Gasnetzausbau mit: „So ist der Gasverband Entsog an der EU-Netzentwicklung beteiligt, indem er etwa die Gasbedarfsprognosen erstellt. Diese waren in der Vergangenheit häufig zu hoch, wie schon der Europäische Rechnungshof anmerkte. Doch hohe Bedarfsrechnungen führen zu mehr Gas-Projekten und von diesen profitieren die Entsog-Mitglieder.“ Und natürlich möchten die gasgetriebenen Unternehmen am Netzausbau – flankiert durch eine von der Bundesnetzagentur genehmigte Eigenkapitalverzinsung von rund fünf Prozent vor Körperschaftssteuer für Investitionen – festhalten. Immerhin lassen sich am Ausbau, Betrieb und an der Wartung der Gasnetze – sowohl an den großen Ferngasnetzen als auch an den kleinen Gasverteilnetzen – Milliarden verdienen. Schon vor 10 Jahren wies der US-amerikanische Energieexperte Tony Seba in seinem Buch „Saubere Revolution 2030“ (S. 190 f.) darauf hin, dass Ertüchtigungen von Gasnetzen Milliarden verschlingen würden – die natürlich die Netznutzer letztlich bezahlen müssen.
Doch nun kommen für die deutsche Gaswirtschaft zwei je schon für sich genommen ungünstige Strömungen zusammen: 1. Die neue Bundesregierung will sich nicht – anders als die Merkel-Mannschaft – bei der entstehenden Wasserstoffwirtschaft mit pseudo-sauberem Blauen Wasserstoff abspeisen lassen, sondern besteht auf Grünem Wasserstoff, den es aktuell nur in geringen Mengen gibt, der sich aber durch Wasserelektrolyse auch vor (Industrie-)Ort, d.h. ohne Gasnetz herstellen ließe. 2. Immer mehr Haushalte steigen aus ökologischen oder finanziellen Gründen auf Wärmepumpen um, verabschieden sich also endgültig vom klimaschädlichen Gas und vom Gasnetz. Für die Verbleibenden bedeutet das immer stärker steigende Netzentgelte – der Letzte macht das Licht aus! –, zumal ja auch die Umrüstung der Netze auf H2 teuer wird.
Schon gibt es überall Forderungen nach Rückbau der bald überdimensionierten Gasverteilnetze: in den Medien, in der Wissenschaft, und in den Kommunen: So steht z.B. im Abschlussbericht der Enquetekommission „Klimaschutzstrategie für das Land Bremen“, S. 49:
„3.2.6 Gasnetz
Das Gasverteilnetz im Land Bremen wird spätestens ab 2030 um- und zurückgebaut werden müssen, da die Wärmeversorgung über Fernwärme, Nahwärme und das Stromnetz
(Wärmepumpen) vorgenommen und der verbleibende Energiebedarf auf Wasserstoff
umgestellt werden muss.“
Wenn aber Gas bzw. Wasserstoff nicht mehr von der Masse der Privatkunden, sondern nur noch von der Industrie benötigt wird – bzw. von solchen Industriebetrieben, die H2 nicht vor Ort mit einem Elektrolyseur herstellen können – , dann werden die Fragen der Öffentlichkeit zu den Umwelt- und Finanzfolgen der Wasserstoffwirtschaft lauter. Die ehemals energiestrategisch zentrale Gaswirtschaft, für die man eigens LNG-Terminals baute, würde herabsinken auf das Niveau eines besseren Pelletlieferanten oder Kohlehändlers. Doch Kohlehändler werden – wer will das heute noch? Dann schon lieber ein paar rhetorische „Klimmzüge“! Schließlich geht es gerade augenblicklich um viel Geld!