10.07.2020
Entschädigungen in Milliardenhöhe
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Eineinhalb Jahre nach dem Abschlussbericht der Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" leitet der Bundestag den Kohleausstieg ein. Das Kohleausstiegsgesetz soll die Kohleverstromung „spätestens bis zum 31. Dezember 2038“ beenden. Es sieht Entschädigungszahlungen von 4,35 Mrd. Euro für Braunkohlekonzerne vor.
„Sie hätten die Chance gehabt, heute hier etwas wirklich Historisches zu schaffen. Etwas, das Hunderttausende Menschen auf der Straße erstritten haben“, sagt MdB Annalena Baerbock am 03. Juli vor der Abstimmung im Bundestag. Die Bundesvorsitzende der Grünen kritisiert, dass abweichend vom Beschluss der Kohlekommission das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 in Betrieb genommen wurde. „Sie haben diesen Kompromiss, der zwischen den Gewerkschaften, den Umweltverbänden, den Industrievertretern und den Wissenschaftlern gefunden wurde, einseitig aufgehoben“, so Baerbock. Stattdessen sei die Gesetzesvorlage „ein 18 Jahre langes finanzielles Kohleabsicherungsgesetz“. Die Fraktion B’90/Grüne fordert, dass die Braunkohlekraftwerke früher und kontinuierlich stillgelegt werden sollen und hat das Kohleausstiegsgesetz deshalb abgelehnt. Wie ist der beschlossene Kohleausstieg konkret geplant?
Am letzten Sitzungstag vor der sitzungsfreien Sommerzeit hat der Bundestag mehrheitlich für das „Kohleausstiegsgesetz“ und das „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ gestimmt. Beide Gesetzentwürfe wurden in der Fassung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie angenommen (Drucksache 19/20714 (neu), 02.07.20) und vom Bundesrat bestätigt. Das Strukturstärkungsgesetz sieht Finanzhilfen von bis zu 14 Mrd. Euro für die betroffenen Bundesländer vor, sowie bis zu 26 Mrd. Euro für zusätzliche Maßnahmen des Bundes. Die gesetzlichen Regelungen zum Kohleausstieg müssen noch beihilferechtlich genehmigt werden.
Entsprechend der Beschlussempfehlung soll die Nettonennleistung von Steinkohle- und Braunkohlekraftwerken bis zum 31.12.2022 jeweils auf 15 Gigawatt (GW) vermindert werden (3), bis zum 01.04.2030 auf 8 GW Steinkohle und 9 GW Braunkohle und „spätestens“ bis zum 31.12.2038 auf null. Für die Reduzierung der Stromerzeugung aus Steinkohle sowie für Braunkohlekleinanlagen sollen für den Zeitraum 2020 bis 2027 Ausschreibungsverfahren eingeführt werden. Kohlekraftwerke sollen nach 2027 grundsätzlich ordnungsrechtlich stillgelegt werden ohne Kompensation. Ab 2031 sollen die Stilllegungen ohne Ausschreibungen durchgeführt werden. Sollte die Teilnahme an den Ausschreibungen zu gering sein, sind ordnungsrechtliche Stilllegungen ab 2024 geplant. Kleinanlagen bis 150 MW sollen frühestens 2030 ordnungsrechtlich stillgelegt werden. Für die Verringerung und Beendigung der Braunkohleverstromung hat die Bundesregierung mit den Anlagen- und Tagebaubetreibern einen öffentlich-rechtlichen Vertrag verhandelt. In diesem ist ein Anspruch auf Entschädigung für die Stilllegung von Braunkohleanlagen bis Ende 2029 geregelt. Der Betrag wurde auf 2,6 Mrd. Euro für die RWE Power AG und 1,75 Mrd. Euro für die Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG KW) festgelegt. Nach Ansicht von MdB Lorenz Gösta Beutin (Partei Die Linke) binden solche Verträge auch zukünftige Bundesregierungen an die Kohleverstromung und erschweren einen früheren Ausstieg.
Die Ausschussfassung des „Kohleausstiegsgesetzes“ beinhaltet eine Feststellung der Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler II in Nordrhein-Westfalen. Nach Ansicht des Bündnisgrünen MdB Oliver Krischer sei diese politische Entscheidung ein Fehler wie die Laufzeitverlängerung. „Da wird ein Tagebau, der eigentlich stillgelegt werden soll, für notwendig erklärt. Sie wollen die Menschen in den letzten fünf Dörfern der Region um Garzweiler herum enteignen und vertreiben“, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion. Auch die MdB Caren Lay weist in ihrer Bundestagsrede darauf hin, dass zehntausende Menschen für die Kohle vertrieben wurden und hunderte Dörfer verschwunden sind. „Damit muss Schluss sein. Kein Dorf darf mehr für die Kohle fallen.“, mahnt die stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke.
Im Kohleausstiegsgesetz ist festgelegt, dass 2030 Erneuerbare Energien 65 Prozent des Bruttostromverbrauchs decken sollen. In Bezug dazu fehlten Rechtssetzungen für den Zubau von Anlagen zur Nutzung Erneuerbarer Energien, kritisiert Dr. Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie. Es müssten weitere Schritte folgen, um den im Rahmen der Sektorenkopplung wachsenden Bedarf an Ökostrom mit heimischen Erneuerbaren Energien zu decken, so Peter. Das Kohleausstiegsgesetz konterkariere nicht nur die Klimaziele, sondern auch die Ausbauziele für Erneuerbare Energien.
Wenige Stunden nach der Abstimmung im Bundestag, in einem Pressegespräch, sagt Wirtschaftsminister Peter Altmaier, dass das Kohleausstiegsgesetz bedeute, „dass nach rund 150 Jahren die Ära der Kohleverstromung in Deutschland zu Ende geht“. Hubert Weiger, ehemaliger Bundesvorsitzender des BUND und Mitglied der Kohlekommission, bezeichnet das Kohleausstiegsgesetz als „Verrat an der Klimaschutzpolitik“, wie die Fürther Nachrichten Anfang der Woche berichteten. Weiger bemängelt, dass der Großteil der Stilllegungen etwa 15 Jahre später geplant ist als es in der Kohlekommission vorgeschlagen war. Obwohl die Umweltverbände eine erhebliche Kompromissbereitschaft signalisiert haben, sei „der sogenannte Kompromiss der, dass die Kraftwerke wesentlich länger als jemals vorgesehen die Umwelt mit Treibhausgasen belasten können“.