10.07.2020
Agro-Photovoltaik – anders gedacht
Ein Bericht von Jörg Sutter
Eine neue PV-Freilandanlage mit einer Gesamtleistung von 4,1 MWp wird in diesen Wochen im südlichen Baden-Württemberg in Betrieb genommen. Das wäre nicht weiter berichtenswert, wäre die Anlage nicht nach einem grundlegend anderen Konzept als üblicherweise bei Agro-PV errichtet. Das Vorhaben verspricht Vorteile für den zukünftigen Ausbau der PV und die Integration in das Stromsystem.
Der Projektierer ist sichtlich stolz: Nachdem mit dem Bau im September 2019 begonnen wurde, ist die Anlage zum Zeitpunkt der Besichtigung Anfang Juni schon fast fertiggestellt. Nur an der Verkabelung zum Anschluss an das Verteilnetz wird noch gearbeitet. Heiko Hildebrandt, Geschäftsführer von Next2sun führt bei einer Besichtigung durch die Modulreihen der Anlage. Schon seit dem Jahr 2011 stehen Freilandanlagen für ihn auf der Agenda, 2015 wurde der erste Prototyp mit senkrechten Modulen und 28 kWp Spitzenleistung im Saarland errichtet. Im September 2017 wurde für das Konzept vom PV-Magazine mit einem Award in der Kategorie „top innovation“ ausgezeichnet und danach noch weiterentwickelt. Inzwischen ist die Mannschaft von Next2sun auf 14 Mitarbeiter angewachsen und die ersten Anlagen auch im Ausland sind errichtet. Das größte derartige Projekt geht jetzt in Aasen bei Donaueschingen (Baden-Württemberg) in Betrieb.
Senkrechte Aufstellung der Module
Schon von weitem fällt auf, dass die Anlage anders ist als übliche Freilandanlagen, denn die Solarmodule sind nicht nach Süden ausgerichtet, sondern stehen senkrecht in langen Reihen, die mit viel Zwischenabstand von Norden nach Süden gezogen sind. Die PV-Module sind bifacial, also auf Vorder- und Rückseite mit Glas versiegelt, die Solarzellen darin sind beidseitig lichtempfindlich und fangen so auf der einen Seite das morgendliche Licht ein, die andere Modulseite kann bis zum späten Abend Strom liefern. In Aasen wurde mit einem Modulfeld von rund 12 Hektar die bislang größte derartige Anlage in Europa aufgebaut.
Das Konzept ist ist unter anderem für die Eigenversorgung im landwirtschaftlichen Bereich konzipiert, es kombiniert eine Doppelnutzung der Fläche für Stromerzeugung und landwirtschaftliche Bewirtschaftung, ohne die sonst übliche „Überdachung“ der Bodenfläche. Der Flächenbedarf liegt bei diesem Anlagentyp derzeit bei rund 350 kWp pro Hektar. Die konkreten Flächen für die Anlage in Aasen wurden von Next2Sun selbst akquiriert und angepachtet, die Stadt hat das Vorhaben bei Vorbereitung und Genehmigung positiv begleitet und unterstützt. Und auch die ökologische Betrachtung fällt positiv aus: Nachdem die überbaute Fläche minimal ist, ergab sich bei der Planung eine positive Ökopunkte-Bilanz, Ausgleichsmaßnahmen waren daher nicht notwendig. Nur eine funktionale Kompensation für die dort ansässige Feldlerche wurde vorgenommen.
Die Technik
Next2sun nutzt für dieses Anlagenkonzept Module von verschiedenen asiatischen Herstellern, die rahmenlos ausgeführt sind, um Verschattungen bei sehr schrägem Lichteinfall zu minimieren. Die Module haben eine Frontseitenleistung von 375 boder 380 Wp. Auf de ist ein sichtbarer optischer Farbunterschied zwischen der oberen und unteren Modulreihe zu erkennen. Die Erklärung ist einfach: In der oberen Modulreihe blickt man auf die Vorderseite, in der unteren Modulreihe man auf die Rückseite der Module.
In der Wahl der Wechselrichter besteht keine wesentliche Einschränkung, derzeit sind String-Geräte von Huawei und Fronius für solche Anlagen im Einsatz. Die Unterkonstruktion wurde von Next2Sun selbst entwickelt und wird mit Rammungen in die Fläche eingebracht. Die Standard-Bauweise ist für Windlastzone 2 geeignet, höhere Windstärken können durch längere Rammpfosten, die tiefer in den Boden eingebracht werden, und ggf. stärkere Gestellprofile kompensiert werden.
Die Nutzung von Strom und Fläche
Die Anlagenkonzeption richtet sich idealerweise, aber nicht nur an Landwirte, die eine solche Anlage in Personenidentität als Bewirtschafter der Fläche und Stromnutzer zur Eigenversorgung errichten wollen. Sie haben den größten Vorteil der doppelten Flächennutzung und müssen sich nicht, etwa hinsichtlich Pflege und Wartung der Anlage, mit Dritten abstimmen.
In Aasen ist landwirtschaftlich derzeit die weitere Nutzung als Futterwiese und eine Nutzung in der kalten Jahreszeit durch einen Schäfer vorgesehen. Gleichzeitig gewinnt auch der Artenschutz, denn ein Grasstreifen unter den Modulen bietet Lebensraum für Insekten, Falter und Kleinsäuger und ist damit auch eine Futterquelle für Vögel (siehe Bild). Je nach Nutzung beträgt der Reihenabstand zwischen 10 und 12 Metern, bei Ackerflächen auch 20 Meter, so dass ein bequemes Durchfahren mit landwirtschaftlichen Maschinen, zum Beispiel zum Mähen, möglich ist. Eine Höhenbegrenzung wie bei überdachenden Agro-PV-Anlagen gibt es selbstverständlich nicht.
Bei der Anlage in Aasen mit 4,1 MW wird ein Jahresertrag von 4.8500 MWh, damit rund 1.150 kWh/kWp angenommen.
Perspektive des Konzepts
Die Doppelnutzung der Fläche ermöglicht mit dieser Konzeption wirtschaftlich attraktive Projekte bei entsprechenden Randbedingungen, konkret an guten Sonnenstandorten, für die das EEG in Anspruch genommen werden kann. Zwar liegen die Kosten pro kWp derzeit noch um einiges über denen klassischer Freilandanlagen, doch erlauben diese ja keine großflächige Weiternutzung des darunterliegenden Bodens.
Auch für zukünftige Anlagen ohne EEG ist das Konzept denkbar, doch dort müsste die Größe einer Anlage nach derzeitigem Stand bei 25 bis 30 MW liegen, um sich wirtschaftlich rentabel darstellen zu können. Dafür Standorte zu finden, mag schwierig sein, doch derzeit werden ja in Deutschland schon konventionelle Freiland-Anlagen mit 50, 100 und sogar über 180 MW Gesamtleistung gebaut.
Auch ein wichtiger Aspekt, den Herr Hildebrandt hervorhebt: Durch die Ausrichtung der Module entsteht eine sehr flache Erzeugungs-Tageskurve, die viel besser auf den Bedarf der Stromverbraucher angepasst ist als bei klassischen Anlagen mit der „Mittagsspitze“. Statt einem „Dromedar“-Verlauf mit einer Spitze wird bei diesem Konzept ein „Kamel“- Verlauf mit zwei Höckern in der Tageskurve der Anlagenleistung erzielt. Gleichzeitig tritt ein Ausfall der Anlage im Winter durch Schneebedeckung nicht auf. Diese beiden Vorteile geben der Idee eine besondere Bedeutung für die Integration der Photovoltaik in das zukünftiges Stromsystem, denn schon heute zeigt sich eine ausgeprägte Mittagsspitze bei der PV-Erzeugung an sonnigen Sommertagen im deutschen Stromnetz. Mit den senkrechten Modulen können schon heute höhere spezifische Stromerlöse generiert werden.
Die Zeichen stehen derzeit auf Wachstum: In diesen Tagen hat eine Tochtergesellschaft der Next2sun, die die Unterkonstruktion entwickelt hat, eine Finanzierungsrunde per Crowdfunding erfolgreich abgeschlossen. Weitere Projekte mit senkrechten Modulen stehen daher schon auf der Agenda.