10.05.2019
Wege zur klimafreundlicheren Baustoffindustrie?
Dass die heutige Bauwirtschaft erheblich zur Klimakrise beiträgt – und das nicht in erster Linie durch große Kräne, Bagger und Planierraupen – ist selbst einem breiteren Publikum spätestens seit dem provokanten Buch „Verbietet das Bauen“ [1] deutlich geworden. Doch was nützt die beste Anamnese, wenn anschließend für die Krankheit „Bauwutfolgen“ keine detaillierte Therapie folgt. Als ein Lösungsansatz in diese Richtung hat der WWF Deutschland kürzlich eine Studie mit dem Titel „Klimaschutz in der Beton- und Zementindustrie. Hintergrund und Handlungsoptionen“ vorgelegt [2]. Auf 36 Seiten beschreibt das Papier nicht nur den „Klimafußabdruck“ und die Besonderheiten dieses Industriezweigs, sondern verweist auch auf die technischen Optionen zur Treibhausgas-Reduzierung und die dabei bestehenden Hürden, um abschließend mögliche Maßnahmen aufzuzeigen und Handlungsempfehlungen zu geben.
Die grundsätzlichen, vom WWF beschriebenen Fakten sind ja nicht neu: weltweit liegt der Zementverbrauch bei 4,65 Mrd. Tonnen/Jahr - bei schnell steigender Tendenz wegen der Urbanisierung - , in Deutschland sind es immerhin noch bei 27,5 Mio. Tonnen/Jahr. Jede Tonne Zement in Deutschland verursacht über die ganzen Vorketten hinweg 587 kg CO2-äquivalente Treibhausgase; dieser Wert hat sich in den vergangenen 10 Jahren nicht verändert. Rund 50 % davon entfallen auf einen einzigen Schritt im Herstellungsprozess, nämlich das Brennen des Kalksteins (Entsäuerung), das nicht nur sehr hohe Temperaturen von 1.450 °C benötigt, sondern auch zusätzlich CO2 freisetzt. Das führt dazu, dass die Zementindustrie mit über 10% der Industrie-Klimaemissionen hier nach der Eisen- und Stahlherstellung sowie den Raffinerien an dritter Stelle steht, und zu den Klimagasen Deutschlands immerhin zwei Prozent beiträgt – weltweit sind es sogar acht Prozent.
Im deutschen Beton- und Zementmarkt spielt der öffentlicher Tief- und Nichtwohnbau mit einem Anteil von 23% eine große und damit wohl auch einflussreiche Rolle. Dieser Markt ist sehr stark regionalisiert – 75% der Transporte finden wegen des geringen Warenwertes pro Tonne nur im Umkreis 100 km statt. Andererseits hat der der deutsche Markt über Technologietransfer und Anlagenbau einen internationalen Einfluss.
Als technische Lösungen für das Treibhausgas-Problem bei der Beton- und Zementindustrie verweist der WWF auf eine Reihe von Handlungsbereichen:
1. Materialsubstitution in Form von Total-Ersatz des Betons, der Verringerung des Zementanteils im Beton und der Verringerung des Klinkeranteils im Zement. Beim Total-Ersatz wird beim Hochbau nur der Holzbau angesprochen; andere Verfahren wie der Lehm- und Strohballen-Bau, aber auch das Bauen mit Natursteinen kommen nicht in den Blick. Hohlkörperkonstruktionen, Infraleichtbeton und Carbon-Bewehrungen können den Beton teilsubstituieren. Substitutionsmaterialien können auch die Zement- und Klinker-Anteile, und damit die Treibhausgase um ein bis zwei Drittel verringern. Allerdings werden viele dieser Materialien bereits heute in anderen Industrieprozessen in Anspruch genommen oder werden im Zuge der Dekarbonisierung künftig wegfallen; daher sollten neue Stoffe zur Substitution gefunden bzw. entwickelt werden.
2. Energieeffizienz und Brennstoffsubstitution könnten den Produktionsprozess verbessern. Insbesondere effiziente Wärmerückgewinnung und der Einsatz von Siedlungsabfällen als Brennstoff werden hier u.a. vorgeschlagen. Allerdings vergisst der WWF, dass im Zuge der Dekarbonisierung und des verstärkten Recyclings die Siedlungsabfälle künftig reduziert werden, und zudem eine Stoffkonkurrenz u.a. mit der Fernwärme besteht.
3. CO2-Abscheidung in Form von CCS (Carbon Capture and Storage) oder CCU (Carbon Capture and Utilization) könnte den bis zu 33% betragenden Anteil von CO2 in den Abgasen der Zementherstellung einfangen. Allerdings sollte auch von Seiten des WWF hierbei bedacht werden, dass das reine Einfangen (Capture) schon erhebliche Energie benötigt; das Einspeichern (Storage) z.B. in Kavernen birgt die Gefahr von Leckagen und darauffolgenden, massiven CO2-Emissionen. Ebenfalls energieaufwändig, aber in der weiteren Behandlung weniger problematisch ist der vorgeschlagene CCU-Weg, z.B. die Karbonatisierung zu mineralischen Rohstoffen, die biologische Verwertung durch Mikroorganismen und deren Weiterverwertung, die chemische Synthese zu industriellen Grundstoffen und Gasen, sowie die Umwandlung in synthetische Brenn- und Treibstoffe (PtG/PtL).
4. Lastmanagement in der Beton- und Zementindustrie ist zwar ein notwendiger Schritt für die künftige Vollversorgung mit erneuerbarem Strom, aber für Beton- und Zement-Betriebe, die bereits heute oder in Zukunft Ökostrom einkaufen, ergibt sich hier kein CO2-Spareffekt.
Im WWF-Papier werden nun die "Hürden bei der praktischen Umsetzung" aufgezählt, als da wären: geringer CO2-Preis durch den defekten Europäischen Emissionshandel (ETS), veraltete Bauordnung und Normung ohne Klimaschutzanforderungen, fehlende Klimaschutzkriterien für die Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen, keine Berücksichtigung der Klimawirkungen von Baumaterialien in den Baugesetzen wie der Energieeinsparverordnung (EnEV) und zu geringe bei Zertifizierungssystemen, fehlende Zertifizierungssysteme für Tiefbau, Fehlanreize bei der Energieeffizienz wie z.B. die Deckelung der EEG-Umlage für stromkostenintensive Unternehmen, fehlende Rechtssicherheit für CCS- und CCU-Optionen sowie mangelnde Anreize und Rahmenbedingungen für industrielle Stromnachfrageflexibilität.
Anschließend folgen unter der Überschrift „Maßnahmen und Handlungsempfehlungen“ und dem auch für jede andere Industrie gültigen Vorsatz „Ein schnellstmöglicher Kohleausstieg und zügiger Ausbau der Erneuerbaren Energien ist auch essentiell für die Reduktion der THG-Emissionen in der Beton- und Zementindustrie“ auf acht Seiten die entsprechenden, vorwiegend administrativen Maßnahmen, um die o.a. Hürden aus dem Weg zu räumen.
So richtig und wichtig die meisten Ausführungen bei den Hürden und Handlungsempfehlungen auch sind, so will sich doch der Eindruck nicht verflüchtigen, dass dieses Papier etwas „zu kurz gesprungen“ ist. Denn die Treibhausgas-Emissionen der Beton- und Zementindustrie machen nur einen Teil der Klimalasten der Bauwirtschaft aus. Auch ein erheblicher Anteil der Emissionen der Eisen- und Stahlherstellung sowie der Industrie- und Baukalk-Herstellung sind dem Bauwesen zuzurechnen. Dazu kommen die Emissionen durch mehr am Ästhetischen denn am Energetischen orientierte Gebäudedesigns, sowie durch mangelnde Recyclingfähigkeit der Baustoffe beim Abbruch. Bisweilen erweckt die WWF-Darstellung auch den Eindruck, die Klimakatastrophe ließe sich mit Effizienzmaßnahmen aufhalten. Dem ist nicht so, und andernorts ist man da schon weiter [3]. Wenn wir den Klimakrise noch stoppen wollen, müssen wir deutlich anders und nachhaltiger bauen.
Eine wirkliche Bauwende ist daher sowohl unvermeidbar als auch unaufschiebbar.
Götz Warnke
[1] Daniel Fuhrhop: Verbietet das Bauen!, München 2015
[2] https://www.wwf.de/2019/april/zement-zerrt-am-klima/
[3] https://de-de.facebook.com/diezeit/videos/2594206820608947/UzpfSTYxMzg1OTY0MTc5OjEwMTU3Mjg5ODI3NzA5MTgw/
Siehe dazu auch: Artikel in der soeben erschienenen Ausgabe (2|19) der SONNENENERGIE: „Nachhaltiges Bauen und Produzieren“ von Hinrich Reyelts.