10.01.2020
Windbürgergeld – welch unsägliche Debatte
"Der Gedanke ist, dass diejenigen, die sich bereit erklären, Windenergieanlagen vor Ort zu akzeptieren, tatsächlich belohnt werden." Mit diesen Worten brachte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch - gewissermaßen als Silvesterknaller zur Jahreswende - seinen „neuen Gedanken zu einem Bürgerwindgeld“ in die Öffentlichkeit. Im Inforadio Berlin-Brandenburg (RBB) erklärte der Politiker, der Ausbau der Windenergie an Land sei ihm wichtig, um die Klimaziele zu erreichen und den Kohleausstieg zu schaffen. Der Stillstand beim Ausbau der Windenergie solle mit einer solchen Belohnung überwunden werden. Derzeit würden ganz unterschiedliche Modelle für ein "Windbürgergeld" diskutiert, versuchte Miersch die Bedeutung seiner Gedanken aufzuwerten. Eine Möglichkeit sei, dass Bürgerinnen und Bürger, die akzeptieren in der Nähe von Windanlagen zu leben, bei ihren Stromkosten entlastet würden. Parallel zum Windbürgergeld könne auch der Klageweg gegen den Bau neuer Windanlagen eingeschränkt werden. "Wenn wir nicht weiterkommen bei der Windenergie, auch auf Land, dann werden wir die Energiewende gesamtgesellschaftlich nicht schaffen“, so der SPD-Politiker.
Merkwürdig an den Sorgen der SPD-Fraktion um die Windkraft und den neuen Gedanken von Miersch ist, dass er und seine Fraktionsgenossen nur wenige Tage zuvor strenge Restriktionen gegen Windräder als Teil des Klimapaketes beschlossen hatten. Mit der Abstandsregel von 1.000 Metern selbst zu kleinsten Ansiedlungen hatte die GroKo ein toxisches Instrument ins Kohleausstiegsgesetz geschrieben, das zuvor schon von der bayerischen und anderen Landesregierungen erprobt worden war. Dieser Vorstoß aus der SPD-Bundestagsfraktion führte sofort zu einer wilden Diskussion, in der alle möglichen Argumente durch den noch silvesterschwangeren Neujahrsraum geschossen wurden. Im Pro und Contra wurde vom "vernünftigen Vorschlag", der "Bewegung in das Thema" bringen könne bis zur "Stillhalteprämie" oder vom "Abkaufen der Bürgerbeteiligung" gesprochen. Dies sei ein "Kleinklein" und eine "wenig überzeugende Klimapolitik", wurde kritisiert, die konzeptionslos sei.
Auffällig war allerdings bei nahezu allen, die sich in dieser Debatte zu Wort meldeten, dass sie offensichtlich über ein wenig intaktes Kurzzeitgedächtnis verfügen. Denn man hätte eigentlich erwarten können, dass die 1.000 Meter Abstandsregelung in den Köpfen der Diskutanten noch präsent gewesen wäre. Beleuchtet man die politische Substanz der beiden Vorgänge, also den gesetzlichen Regelungen im Kohleausstiegsgesetz und den Vorschlägen zum Windbürgergeld, fällt auf, dass es sich einmal um klassisches Ordnungsrecht und zum anderen um ein neoliberales Elemente der Marktsteuerung handelt. Die SPD-Fraktion schlägt also allen Ernstes vor, eine gesetzliche Regelung nachträglich durch eine dem entgegen wirkende Marktsteuerung abzuschwächen. Ob dahinter bei der SPD Konzeptionslosigkeit steckt, darf bezweifelt werden. Es ist mehr die ungeklärte Haltung gegenüber dem Neoliberalismus, der diese Partei bestimmt.
Natürlich liegt die Frage nahe, warum die SPD in der GroKo nicht die Abstandsregel verhindert hat. Dann bräuchte sich Matthias Miersch heute weniger Sorgen um die Energiewende zu machen. Diese Politik als einen nachträglichen Reparaturversuch anzusehen, fällt schwer. Natürlich dürfte auch dem Geringsten unter den SPD-Fraktionsgenossen der Unterschied zwischen dem harten Instrument des Ordnungsrechts und einer neoliberalen Methode der Marktbeeinflussung bekannt sein. Dass dies in der Praxis schwerlich funktionieren würde, wird den Mitgliedern der Legislative bewusst sein. So unbedarft sind Bundestagsabgeordnete nun auch wieder nicht. Aber sich neu einzunorden ist eine andere Sache.
Um das noch einmal deutlich zu machen, stelle man sich vor, dass ein ursprünglich geplantes Windrad weniger als 1.000 m von der nächsten Ansiedlung stehen würde. Gleichgültig wie die dort lebenden Anwohner zur Windenergie stünden, wäre an dieser gesetzlichen Regelung, wonach dort nun kein Windrad gebaut werden dürfte, nicht zu rütteln. Gesetz bleibt Gesetz und alle Anreize, die dortigen Bürger zu „entlasten“ oder vom Widerstand „wegzukaufen“, prallen daran ab. Nun mag es zwar Fälle geben, bei denen die neue Zwangsjacke der 1.000 Meter Abstandsregeln nicht relevant ist und ein eventuell vorliegender Widerstand gegen ein Windrad sogar mit Geld aufgeweicht werden könnte. Aber jenseits allem Wenn und Aber besteht die grundsätzliche Frage, wieso in der Energiewendebewegung die unterschiedliche Wertigkeit ordnungsrechtlicher Maßnahmen und marktlicher Steuerungsinstrumente so wenig bewusst ist. Denn wie anders kann man die unstrukturierte und naive Diskussion des Vorschlages von Miersch auffassen? Diese Scheu, die Energiewende mit Geboten und Verboten voranbringen zu wollen, wurde ja auch in der Diskussion über eine CO2-Bepreisung schmerzhaft deutlich.
Es riecht danach, dass der Vorstoß von Miersch und Genossen der Knochen ist, mit dem der Hund abgelenkt werden soll, der ob des Klimapaketes der Bundesregierung in Rage gekommen ist. Ob das eine akzeptable Methode aus dem Baukasten politischer Taktik darstellt, soll hier nicht erörtert werden. Aber die politische Debatte über ordnungsrechtliche Maßnahmen, also über Gebote und Verbote, muss in Gang kommen, wenn die Energiewendebewegung sich nicht noch weiter ausbremsen lassen will. Die neoliberale Ideologie, die propagiert, Verbote klimaschädlicher Tatbestände seien unanständig, unwirksam und politically incorrect, muss als das erkannt werden, was es ist: das Plädoyer für ein Weiter so und gegen ein grundsätzliches und sofortiges Umsteuern in der Klimapolitik. Durch Miersch’s angeblich neue Gedanken kommt keine reale Bewegung in die Situation nach dem Klimaschutzpaket. Wenn sich der Staub gelegt hat, wird sich ganz schnell herausstellen, außer Spesen war nix gewesen.
Klaus Oberzig