10.01.2020
Nachhaltige Mobilität 2030 – die Vision des BUND e.V.
Das deutsche Verkehrssystem ist wegen der bisher völlig unzureichenden CO2-Minderungsraten so etwas wie der „Problembär“ der Energiewende; daher ist es grundsätzlich zu begrüßen, wenn sich nicht nur die üblichen, fachbezogenen Institutionen wie Agora Verkehrswende, ADAC oder Pro Bahn mit den notwendigen Lösungen befassen, sondern auch andere Stakeholder wie die Naturschutzverbände Position beziehen. Ende vergangenen Jahres hat nun der BUND e.V. ein „BUND-Konzept zur Einhaltung der Klimaziele 2030 im Verkehr“ vorgelegt.
Nach der einleitenden Kritik am Politikversagen der amtierenden Bundesregierung, nach deren Klimaschutzplan bis 2030 von den aktuell 162 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten im Verkehr rund 70 Millionen Tonnen eingespart werden müssten, die aber keine entsprechenden Anstalten mache, sondern weiterhin auf die „umweltschädlichsten Verkehrsträger Straßen- und Luftverkehr“ setze (gemeint sind hier wohl Auto- und Luftverkehr), präsentiert der BUND sein Konzept als realistische Alternative: „Das vorgelegte Maßnahmenkonzept zeigt, wie das Reduktionsziel mit einer maximalen Obergrenze von 95 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten in 2030 erreicht werden kann.“ Die grundsätzliche Zielrichtung seines Konzepts mach der BUND mit dem Abschnitt „‘Nachhaltige Mobilität‘: Umweltfreundlich, sozial gerecht und wirtschaftlich effizient“ (S. 2 f.) deutlich, der mit dem Satz endet: "Oberstes Ziel muss bezahlbare ‚Mobilität für alle‘ in einem effizienten Gesamtverkehrssystem sein." Jenseits solchen Worthülsen-Geklingels – Mobilität ist immer bezahlbar, so lange das Zufußgehen noch nichts kostet – findet sich hier auch der richtige und wichtige Hinweis, dass die 10% der Bevölkerung mit dem höchsten Einkommen pro Kopf rund dreimal höhere CO2-Emissionen haben als die 10% mit dem geringsten Einkommen.
Es folgt die konzeptionelle Vorstellung des BUND-Papers als eine Einheit von acht aufeinander abgestimmten Maßnahmenpaketen. Zur Bewertung der jeweiligen Treibhausgas-Senkungspotentiale stützt sich der BUND auf verschieden externe Studien, so u.a. von der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM), vom Öko-Institut, etc., wobei die Naturschutzorganisation aus manchen Studien plausible (Mittel-)Werte verwendet.
Methodisch ist das durchaus sinnvoll, wenn man einerseits nicht seinerseits ein Forschungsinstitut beauftragen will, und andererseits nicht ein solches Desaster produzieren will wie der BUND mit seinem Energiepapier. Als die acht Maßnahmenpakete werden benannt:
1. Anlastung der externen Klimakosten durch eine CO2-Steuer von 50 Euro (2020) bis 200 Euro je Tonne ab 2030 (Ziel: Finanzielle Lenkung für die Pkw-Nutzung im Bestand.)
Auch wenn der Titel auf eine Engführung („PKW-Nutzung“) vermuten lässt, so wird doch im Folgenden deutlich, dass die CO2-Steuer eine Lenkungswirkung für alle Fossil-Fahrzeuge und darüber hinaus haben soll. Der vom BUND geforderte, im Gegensatz zur BMU-Position deutlich höhere Einstiegs-Steuersatz, ist aus Lenkungsgründen sinnvoll, ja notwendig; der Klimabonus für alle Bürger nach dem Schweizer Modell ist probat, die mittelfristige Abschaffung der Pendlerpauschale ist gut begründbar.
2. Umweltschädliche Subventionen abbauen: Angleichung Diesel-Energiesteuer, Dienstfahrzeugnutzung umgestalten, Luftverkehr höher besteuern
Hier geht es vor allem um Subventionen wie die Energiesteuervergünstigung für Dieselkraftstoff (7,4 Mrd.€), die Energiesteuerbefreiung von Flugbenzin (7,3Mrd. €), die Entfernungspauschale (5,1 Mrd. €) etc. Die Untermaßnahmen wie a) Angleichung Energiesteuer Diesel und Benzin für Pkw , b) Dienstwagenprivileg klimafreundlich gestalten (z.B. durch eine fahrleistungsabhängige Komponente für die private Dienstwagennutzung) und c) Luftverkehr angemessen besteuern sind zweifellos zielführend, wenngleich man sich auch bei c) Luftverkehr … eine – sicherlich nicht einfache – Abschätzung des CO2-Minderungspotentials gewünscht hätte.
Der abschließende Vorschlag, die eingesparten Finanzmittel in die Transformation des Verkehrssystems zu reinvestieren, ist durchaus unterstützenswert.
3. Effizienzsteigerung der Fahrzeuge: Bonus-/Malus-Regelung für Pkw und strikte CO2-Grenzwerteeinhaltung für LkW (S. 5)
Hier finden sich zwei Untermaßnahmen:
a) Effizientere Pkw und leichte Nutzfahrzeug
Die gezielte Verteuerung verbrauchsintensiver und damit CO2-lastiger PKW könnte zu einem Ende des SUV-Booms führen, was ja durchaus wünschenswert ist. Richtig ist ebenso: „Auch für E-Fahrzeuge muss es zukünftig entsprechende Effizienzvorgaben geben.“
b) Effizientere Lkw durch Verschärfung der EU-Grenzwerte
So richtig die hier aufgeführten Maßnahmen sind, so ist der BUND mit diesem Kapitel deutlich „zu kurz gesprungen“: schließlich kann die Forderung nach einer „Effizienzsteigerung der Fahrzeuge“ nicht bei PKW und LKW stehen bleiben! Sie gilt auch für die unterschiedlichen, meist elektrifizierten Bahnen, bei denen u.a. eine Fähigkeit zur Rekuperation zu fordern wäre. Sie gilt ebenso für die Binnenschifffahrt (Personen- und Gütertransporte), wo u.a. auf strömungsgünstige Rumpfformen und Aufbauten zu achten wäre. Und sie gilt gleichfalls für die Seeschifffahrt, bei der ja bereits heute Reeder eine Geschwindigkeitsbeschränkung für Ozeanriesen aus Klimaschutzgründen fordern.
4. Andere Antriebe und Kraftstoffe: Elektromobilität und synthetische Kraftstoffe (S. 6 f. )
a) Elektroautos in Verkehr bringen
„Wer E-Autos in den Markt bringen will, muss sagen wo der zusätzliche erneuerbare Strom zukünftig herkommt. Stattdessen stellt die Bundesregierung aktuell Regeln auf, die vor allem den Ausbau der Windenergie hierzulande zum Erliegen bringen.“
Dieser Aussage des BUND ist nichts hinzuzufügen; die Elektrifizierung des Verkehrssystems ist machbar, die dafür notwendigen EE-Zubauraten sind bekannt; es hängt alles nur am (Un-)Willen der Bundesregierung. Ebenso zutreffend ist die Aussage „Der Einsatz von Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen im Autoverkehr sind keine Alternative, da sie zu einer deutlich schlechteren Energiebilanz führen“ , wenngleich der mit dem 5 bis 7fachen angegebene Stromverbrauch für die Herstellung synthetischer Kraftstoffe für Verbrennungsmotoren gegenüber der Nutzung im E-Auto noch untertrieben ist.
b) Einsatz synthetischer Kraftstoffe Power to X (PtX) im Luftverkehr
„Im Gegensatz zum Straßenverkehr wird im Luftverkehr die direkte Stromnutzung in überschaubarer Zeit keine Rolle spielen. Deshalb sind hier die gegenüber der direkten Stromnutzung zusätzlichen, hohen Umwandlungsverluste hinzunehmen. … Hier muss zusätzlich dringend ein ambitionierter Rahmen mit sozialen und ökologischen Anforderungen gesetzt werden, damit synthetische Kraftstoffe nicht gravierende negative Nebenwirkungen zeigen.“
Jenseits der Tatsache, dass auch synthetische Kraftstoffe im Flugverkehr gravierende negative Nebenwirkungen haben, indem sie Wasserdampf in großen Höhen frei setzen, welcher dort als Treibhausgas wirkt, sind die Vorbereitungen für die direkte Stromnutzung im Luftverkehr bereits in vollem Gange: Hybrid-Flieger in Form von E-Propeller-Flugzeugen mit Akku und einem Verbrennungsmotor als Range-Extender dürften 2030 bei den Geschäftsreise-, Kurzstrecken- und Regional-Flugzeugen bereits zum Standard gehören. Hier werden wir auch erste reine E-Flugzeuge sehen; immerhin will Norwegen 2040 in diesem Bereich einen vollelektrischen Luftverkehr haben. Im Mittel- und Langstrecken-Bereich werden die Hybrid-Flieger noch länger beherrschend bleiben, falls nicht die Klimakrise einen zügigen Umstieg auf Elektro-Luftschiffe erzwingt.
c) Ausstieg aus Kraftstoffen aus Anbaubiomasse
Der BUND beschränkt diese Forderung sinnhafter Weise auf den Straßenverkehr; es könnte nämlich sein, dass wir im Schiffsverkehr, insbesondere im Seeverkehr, nicht um den Biokraftstoff-Einsatz umhinkommen. Auch im Luftverkehr wird bereits heute Biokerosin verwendet.
d) Einsatz von 25.000 E-Bussen bis 2030 in den Städten
Davon sollen nach Ansicht des BUND 10.000 Oberleitungsbusse sein, um die Reichweite der E-Busse zu erhöhen bzw. deren Batteriegrößen zu vermindern. So sinnvoll die Zielrichtung generell ist, so muss beim derzeitigen Stand der Stromlade-Technik doch offen bleiben, ob sich letztlich die Oberleitung, die Stromschiene oder das induktive Laden durchsetzt.
e) Oberleitungs-LKW
Auch diese generell sinnvolle Forderung ist unter den Vorbehalt der künftigen Stromlade-Technik zu stellen.
4. Verdoppelung des Güterverkehrs auf der Schiene und Nutzung der Kurzstreckenseeverkehre
Formell fällt das Paper aus der Aufzählungs-Systematik, weil hier ein „f)“ zu erwarten gewesen wäre. Inhaltlich ist die hier erhobene Forderung „Güter gehören auf die Bahn“ ebenso richtig wie wichtig. Bei den Kurzstreckenseeverkehren („Short Sea Shipping“/SSS) nimmt der BUND Bezug auf das mittlerweile fast fünf Jahre alte NGO-Hafenentwicklungspapier, das Landverkehre durch einen Transport mit dem (See-) Schiff zu vermeiden versucht.
Wie im Abschnitt 3. zur Effizienzsteigerung wird auch hier der Schiffsverkehr – abgesehen vom Short Sea Shipping – völlig ausgeblendet, als hätte man noch nie etwas von den hier laufenden, vielfältigen Projekten gehört. Das ist völlig unverständlich und wird der Forderung nach einer „nachhaltigen Mobilität“ nicht gerecht.
5. Urbane Mobilität (S. 8 f.)
Ausbau des ÖPNV und des Radverkehrs, Förderung von E-Bus-Flotten, Gleichberechtigung aller Verkehrsträger – alles richtige, aber längst bekannte Forderungen. Was hier fehlt, ist die urbane Güter-/Waren-Mobilität, die z.B. wegen des Versandhandels immer wichtiger wird.
6. Verlagerung von Kurzstreckenflügen auf die Schiene (S. 9)
Bei 170.000 innerdeutschen Flügen sind die Flugziele in weniger als vier Stunden per Fernzug erreichbar; sie könnten sofort wegfallen. Nach Optimierung des Bahnsystems könne dann auch der Rest der innerdeutschen Flüge entfallen.
7. Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen einführen (S. 9)
Die 120 km/h werden auch vom deutschen und österreichischen Umweltbundesamt gefordert; insofern geht das in Ordnung. Was die vom BUND geforderten 80 km/h auf Landstraßen und insbesondere die 30 km/h innerorts anbelangt, so dürfte hier eher die Entschleunigungs-Ideologie als die CO2-Reduktion im Vordergrund stehen. Im Rahmen der Elektromobilität wird sich künftig die Frage nach den CO2-Emissionen sowieso nicht mehr stellen.
8. Neue Mobilitätskonzepte und Digitalisierung
„Carsharing, Ridesharing, höhere Pkw-Mitnahmeraten sowie Leihangebote können in neue Dimensionen vorstoßen.“ Schau'n mer mal, wie Franz Beckenbauer zu sagen pflegt. Richtig ist zweifellos, dass die Verbreitung der Arbeit im Büro zuhause zu CO2-Reduktionen im Verkehr führt.
Das Paper schließt mit einem „Überblick über die Minderungswirkung der Maßnahmen“ und einem Aufruf „Sofort handeln“, in dem nochmals diejenigen Maßnahmen aufgeführt sind, die einen besonders langen Vorlauf benötigen.
Fazit
Das Papier führt viele gute, wichtige, wenngleich nicht wirklich neue Maßnahmen auf. Daneben werden aber auch systematische und inhaltliche Schwächen deutlich: Punkte werden ausgeblendet, Nachhaltigkeit sehr engführend auf eine Reduktion der Emissionen an CO2-Aequivalenten beschränkt; ein ansatzweiser Hinweis, dass und wie es nach 2030 weitergehen sollte, findet sich nicht.
Der BUND ist ja in erster Linie ein Naturschutzverband (gerettete Landschaften, Vogelschutz, Wolfsschutz etc.), dann auch ein Umweltschutzverband (Fluglärm, atomare Strahlung, Stickoxide). Daher kommt z.B. Schifffahrt hier vor allem dann in den Blick, wenn sie landrelevant wird (→ das o.a. NGO-Hafenentwicklungspapier), d.h. wenn sie die Luft der Häfen verschmutzt oder für sie Flüsse ausgebaggert werden; es geht hier auch um direkte Bürger-Betroffenheit, die sich dann in Spenden oder Mitgliedsbeiträgen niederschlägt.
Für den Klimaschutz wiederum sind diese Themen ebenso irrelevant wie der Ort, an dem zusätzliches CO2 emittiert wird – ob im Hafen oder auf hoher See fernab von betroffenen Bürgern. Der Klimaschutz kann sich – anders als die Natur- und Umweltschützer, denen es meist um eine Reduktion von menschengemachten Einwirkungen geht – nicht mit einem „Weniger“ zufriedengeben, wie z.B. weniger stark ansteigende CO2-Emissionen; es geht um CO2-Freiheit. Er stellt technisch die Systemfrage – weg von einem fossilen Energiesystem hin zu einem erneuerbaren. Damit ist der Klimaschutz deutlich technisch orientierter als konventionelle Umwelt- und Naturschutzverbände, was dann wiederum die Defizite der Letzteren in manchen technischen Bereichen erklärt.
Der BUND ist also deutlich kein Klimaschutz-Verband. Dennoch hat das Paper mit seinem methodischen Ansatz, seinen richtigen Maßnahmen und seiner Detailtiefe z.B. beim Straßenverkehr durchaus seinen Wert und daher Beachtung verdient.
Götz Warnke