09.12.2022
Die Aktivist:innen der „Letzten Generation“
Ein Meinungsbeitrag von Götz Warnke
Will man eine Bewegung/Gruppe analysieren, so empfiehlt es sich aus Gründen der anzustrebenden Objektivität, die Analyse in verschiedene Aspekte aufzuteilen, als da wären 1. Grund/Anlass des Entstehens der Bewegung/Gruppe, 2. ihr Vorgehen/ihre Aktionen, und 3. ihre Forderungen/Ziele. Übertragen auf die derzeitigen Unruhen im Iran wären das also: erstens die dortige Verweigerung von Menschenrechten, insbesondere gegenüber Frauen, und der daraus resultierende Tod einer jungen Frau aus der kurdischen Minderheit, zweitens die Verbrennungen von eigenen Kopftüchern und das Abschneiden der eigenen Haare, drittens die Einforderung der Menschenrechte für Frauen. In diesem Fall sind alle drei Aspekte unabhängig voneinander legitim – wenn auch in der Iranischen Republik nicht legal.
Es kann natürlich auch sein, dass nur ein oder zwei dieser Aspekte legitim sind, während ein weiterer z.B. in die Grundrechte anderer Menschen eingreift.
Schauen wir uns hinsichtlich der drei o.a. Aspekte mal der Aktivist:innen der „Letzten Generation“ an.
1. Grund/Anlass
In diesem Fall sind es die sich verschärfende Klimakrise, und die nicht angemessene Reaktion der Politik auf die Warnungen der Wissenschaft, so dass sich die Aktivist:innen der „Letzten Generation“ tatsächlich als die letzte Generation verstehen, die noch gegen die drohende Klimakatastrophe etwas unternehmen kann, bevor die Diktatur der Atmosphären-Physik den Fortgang der Geschichte der Menschheit – künftig zwangsweise ausgedünnt – bestimmt. Dabei lassen sich sowohl die sich verschärfende Klimakrise als auch die unangemessene Reaktion der Politik verifizieren: das erstere u.a. durch viele wissenschaftliche Analysen und die Häufung von Hitzerekord-Sommern in den vergangenen Jahren, das letztere schwarz auf weiß ebenfalls von wissenschaftlicher Seite.
Schlimmer noch sind die verbreiteten gesellschaftlichen (Nicht-)Reaktionen auf das wissenschaftlich Unvermeidbare: viele, selbst durch ihr Studium statistisch Vorgebildete leugnen die menschengemachte Klimakrise, obgleich sie sehen könnten, dass durch die statistische Häufung von Hitzeanomalien in den letzten Jahren akuter Handlungsbedarf besteht – beständen die Häufungen z.B. in negativen Wirtschaftsergebnissen, würden sie sofort handeln.
Andere lobbyieren auf internationalen Klimakonferenzen für die Weiternutzung von Erdöl und Kohle ohne Rücksicht auf die Lebensgrundlagen ihrer angeblich so geliebten Enkel:innen.
Und hirnlose Helikoptermütter fahren ihre Kinder selbst auf Kurzstrecken mit dem SUV zur Schule, um gleich auch der Schuldirektorin in den Ohren zu liegen, man möge doch als Wahlpflichtfächer mehr Sprachen als diese Naturwissenschaften installieren – wahrscheinlich damit ihr Nachwuchs später einmal in 4 Sprachen erzählen kann, er hätte gar nicht gewusst, was die Klimakrise bedeutet und dass sie zur Klimakatastrophe führen könne.
Die Menschheit gleicht vielfach einer Herde zweibeiniger Schafe, die in ihren selbst errichteten ideologischen Pferchen ziellos umher wandeln, ohne zu bemerken, dass die schwarze Säule des Hurrikans unaufhaltsam näher kommt. Klaren Blickes kann man hier entweder nur den Verstand verlieren oder aktiv werden. Zu letzterem hat die „Letzte Generation“ also alles Recht der Welt.
2. Vorgehen/Aktionen
Für die Bewertung des Vorgehens bzw. der Aktionen lassen sich einige Bewertungskriterien aufstellen:
Die Aktionen sollten nicht kontraproduktiv sein, also sich nicht im Widerspruch zum Auslöser der Bewegung oder zu den eigenen Zielen befinden. Wenn Atomkraftgegner absichtlich einen Atomunfall auslösen würden, oder Tierrechtler Tiere befreien würden, die bei unseren klimatischen Bedingungen gar nicht in freier Wildbahn überlebensfähig sind, wäre das kontraproduktiv und würde die vorgeblich hehren Ziele desavouieren.
Die Aktionen sollten in einem Zusammenhang mit dem Grund und den politischen Forderungen stehen. Hingegen wäre es z.B. absurd und politisch nicht vermittelbar, in einer Stadt nächtens alle Kindergartentürschlösser mit Sekundenkleber zu sabotieren, nur weil einige geistig beschränkte Stadtobere wieder Silvesterfeuerwerke genehmigen. Wenn mehr über die Aktion als über die Gründe für die Aktion geredet wird, läuft etwas schief.
Schließlich sollten die Folgen der Aktion absehbar/abschätzbar bleiben und keine Kollateralschäden hervorrufen.
Doch die Aktivitäten der „Letzten Generation“ erfüllen keines der o.a. Bewertungskriterien: Die Staus durch die Straßenblockaden emittieren zusätzliches CO2 und konterkarieren so das Ziel der Reduktion von Treibhausgasemissionen. Die Aktionen in Museen betreffen gerade eine der klimafreundlichsten Freizeitbeschäftigungen, den Museumsbesuch; ein Zusammenhang mit dem Anlass der Proteste oder zielgerichteten Forderungen besteht nicht – Autorennen und Flugshows als Ziele wären da deutlich themennäher. Schließlich sind die Folgen mancher Aktionen nicht absehbar, weder der im Stau stehende Notarzt bei einer Straßenblockade noch die am Boden bleibenden Rettungsflieger bei Aktionen wie auf dem BER-Flughafen – die Blockade von Extinction Rebellion am Amsterdamer Flughafen Schipol gezielt gegen die Privatjets war da deutlich sinnhafter und zielgerichteter.
Dieses Versagen ist insgesamt um so überraschender, als es eine Fülle von kreativen Aktionsvorbildern gibt wie etwa Greenpeace, die mit ihren Aktionen auch was bewirkt haben. Und auch darüber hinaus sind der Fantasie keine Grenzen bezüglich Grenzüberschreitungen gesetzt, weder illegale wie das Blockieren von Bahngleisen von Chinas „Neuer Seidenstraße“, bis zu legalen wie das Umstellen (nicht Blockieren!) von parkenden SUVs in den Innenstädten mit Schildern wie „Jede Penisverlängerung/Busenvergrößerung ist umweltfreundlicher als so ein Angeberauto“. Doch mit Fantasie und taktischer Intelligenz scheint es bei der „Letzten Generation“ nicht allzu weit her zu sein.
3. Forderungen/Ziele
Was sind aber nun die Forderungen der „Letzten Generation“? Ein 9-Euro-Ticket und Tempo 100 auf deutschen Autobahnen! Wer sich je intensiver mit der Klimakrise und deren Bekämpfung beschäftigt hat, reibt sich fassungslos die Augen: Echt jetzt?!? Diese Forderungen sind an Banalität kaum noch zu überbieten und zeugen von einer absoluten Ahnungslosigkeit der solches Fordernden gegenüber den Dimensionen der Klimakrise und den potentiellen Wirkmöglichkeiten der eigenen Forderungen.
Tempolimits, die Lieblingsforderung aller trauten Weltentschleuniger:innen, bringen jenseits der emotionalen Selbstbefriedigung herzlich wenig, aber sie bringen immerhin noch einen – unbedeutenden – Beitrag.
Ob das 9-Euro-Ticket etwas für das Klima gebracht hat, ist hingegen mehr als fraglich. In jedem Fall hat es mehr Menschen zu (unnötigen Freizeit-)Fahrten mit dem ÖPNV animiert, übervolle Busse und Bahnen somit schwerer gemacht, dadurch den Verbrauch an Diesel und Fahrstrom erhöht (CO2!), und mit den überfüllten Zügen manche Menschen, die aus beruflichen oder körperlichen Gründen (Rollstuhlfahrer) normalerweise den ÖPNV nutzen, auf Taxis oder private PKW umsteigen lassen. Das 9-Euro-Ticket war nie eine klimapolitische Lösung, sondern immer eine sozialpolitische, eine Art Wahlgeschenk im Rahmen der Wachstumsgesellschaft, dem ewigen „Mehr, mehr“ an Geld, Freizeit, Bequemlichkeit.
Auch hier hätte es eine Vielzahl an alternativen Forderungen (unten) gegeben wie auch: keine innerdeutschen Flüge mehr, Umstellung der gesamten Verpackungswirtschaft auf Mehrwegverpackungen, Erhöhung von Landegebühren für Privatjets, Abschaffung der gesetzlichen Behinderungen für Erneuerbare Energien etc. Die Aktivist:innen der „Letzten Generation“ haben hingegen hier aber offensichtlich nach dem Motto gearbeitet: „Die dümmste Lösung ist meine!“
Fazit
Auch wenn die Aktivist:innen der „Letzten Generation“ aus guten Gründen aktiv werden, so bleiben sowohl ihre Aktionen als auch ihre Forderungen ziemlich stümperhaft und verweisen auf intellektuelle Defizite. Bei den Aktionen kann man sich bisweilen des Eindrucks nicht erwehren, als wenn es hier zumindest teilweise auch um eitle Selbstdarstellung geht, was leicht in lächerlichen Situationen mündet. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Aktivist:innen ihre Aktionen und Forderungen nochmals überdenken.
Aber …
… bei allem sollte ein interessanter Aspekt der Konflikte um die „Letzte Generation“ nicht übersehen werden: die maßlos wütenden Reaktionen von Teilen der deutschen Öffentlichkeit und sogar der Politik auf ein paar Aktivist:innen, die nicht „die hellsten Leuchten im Lampenladen“ sind. Man könnte fast meinen, dass nicht ein paar Leute das Schutzglas von Gemälden mit leicht entfernbaren Substanzen beschmiert hätten, sondern Putin habe Potsdam bombardiert. „Verbrecher“ kreischt da der deutsche Spießer, ohne zu bedenken, dass § 303 StGB (Sachbeschädigung) unerhebliche oder nur vorübergehende Veränderungen des Erscheinungsbildes von fremden Sachen ausdrücklich ausnimmt. Und die Politik überschlägt sich in immer neuen Forderungen nach Gesetzesverschärfungen gegen die „Klima-Chaoten“, und verweist zugleich auf die konsequente Anwendung bestehender rechtsstaatlicher Eingriffsmöglichkeiten: „Vorbeugehaft, Aufenthaltsverbote, Bußgelder“.
Dabei hat die Politik ja durchaus recht mit ihren Forderungen nach neuen Gesetzen und Gesetzesverschärfungen: Wir brauchen abschreckende Gesetze gegen Klima-Chaoten – solche Klima-Chaoten wie die, die mit dem Privatjet durch die Welt fliegen, die jetzt noch Riesen-SUVs produzieren und kaufen, die als Politiker die Braunkohleverbrennung verlängern oder jetzt noch neue Erdgasfelder in Westafrika erschließen wollen. Maßnahmen wie Vorbeugehaft, Aufenthaltsverbote und Bußgelder können da wirklich helfen – wenn, ja wenn diesmal gilt: klare Kante, keine Kuscheljustiz!