09.09.2022
Übergewinne auch bei den Erneuerbaren abschöpfen?
Ein Meinungsbeitrag von Heinz Wraneschitz
Zufallsgewinne bei den Energieunternehmen abschöpfen und der Stromkundschaft zurückgeben: Das hat sich unsere ideensprühende Ampelregierung dieser Tage fest vorgenommen. Selbst der von mir nicht wirklich geliebte Focus springt drauf an. Hauptsache die Schlagzeile stimmt, hat sich wohl der Grüne Energieminister Robert Habeck gedacht. Denn wie die Regierungsabschöpfung funktionieren soll? Keine Idee. Da geht es mir genauso wie dem Minister.
Zufallsgewinne bei den Energieunternehmen abschöpfen und der Stromkundschaft zurückgeben: Das klingt schon irgendwie nach einer guten Idee. Denn der Strompreis an der Börse wird von den teuren Gaskraftwerken bestimmt, Merit-Order-Effekt nennt man das. Seit Mitte 2021, also noch unter der alten Bundesregierung, kennt der Börsenstrompreis nur eine trendige Richtung: steil nach oben.
Na klar, deshalb machen ja heute gerade alte Kohlekraftwerke "Kohle" wie die Sau, hört man von Links bis Rechts: Das geht überhaupt nicht, das sind ja die bösen Konzerne und ihre Fossilien. Schuldige für das Desaster, das riesiges Potenzial für soziale Verwerfungen hat und langfristig die Wirtschaft bedroht, hat Deutschlands immer stärker gespaltene Bevölkerung auch schon ausgemacht: Für die eine Hälfte ist es die Regierungsampel, die gegen Russland allerlei Boykotte verhängt hat und die Superduperpipeline NordStream 2 partout nicht öffnen will. Für die andere Hälfte dagegen ist Putin schuld am Energiepreisdilemma, das Bürgerschaft wie Wirtschaft in den Ruin treiben könnte. Dabei hat der irre hohe Durchschnittsbörsenpreis - der betrug im Juli 2022 gegenüber dem Vorjahresmonat fast das Vierfache, konkret über 31 ct/kWh – beileibe nicht nur mit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine zu tun: Die Preisexplosion startete ja schon ein dreiviertel Jahr vorher.
(Fast) alle kassieren mit…
Fakt aber ist: Seit Juli 2021 kassieren alle Betreiber von Anlagen über 100 kW, die Strom billiger als zum Börsenpreis produzieren, leise aber kräftig mit. Außer sie verkaufen ihren Ökostrom bereits per PPA zum Festpreis an Direktkunden aus Industrie oder Energiewirtschaft. In dem bereits zitierten Focus-Artikel ist von Windstromherstellern die Rede, die wegen der Erlöse - statt garantierter vier ct/kWh aus der EEG-Vergütung gab es im Juli über 30 ct/kWh – „einen Profit von mehr als 650 Prozent“ erzielt hätten. Doch während Windmühlen im Sommer oft Flauten haben, liegen PV-Anlagen heuer im wahrsten Wortsinne auf der Sonnenseite: Statt der z.B. im Jahr 2020 erzielten Ausschreibungsvergütung von etwa 5 ct/kWh bekamen sie im Juli 2022 das Sechsfache, im August gar das Achtfache. Zudem ist im Sommer die PV-Stromproduktion (anders als bei Wind) bekanntlich auf höchstem Niveau – und damit auch die Einnahmen der PV-Kraftwerksbesitzer. Von einem habe ich erfahren: Im den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 wurden Einnahmen in Höhe des Eigenkapitals erzielt. Das entspricht dem 25-Fachen des im Prospekt prognostizierten Jahresgewinns von gerade mal vier Prozent. Und fünf Einnahmemonate folgen noch.
Nicht verwerflich, dass Neuenergien wie die „Alten“ abkassieren?
Doch für Simone Peter, Präsidentin des Bundesverband Erneuerbare Energie BEE e.V. mit Grünen Parteiwurzeln, sind solche unverschämten Gewinne scheinbar überhaupt nichts Verwerfliches, solange sie auf der Erneuerbaren Seite passieren. „Maßnahmen dürfen auf keinen Fall die Akteure der Erneuerbaren-Energien-Branche treffen“, erklärte Peter öffentlich, nachdem das „3. Entlastungspaket“ vorgestellt und darin die Abschöpfung von Sondergewinnen angekündigt wurde. Nicht nur ich empfinde das als unverschämt!
„Ein schlechter Witz!“
Einer, der schon lange in der Erneuerbaren-Branche in verschiedenen Funktionen mitmischt, ist Johannes Lackmann. Der heutige Chef von Westfalenwind stand selber lange Zeit als Präsident des Bundesverbands Windenergie BWE e.V. am Scharnier zwischen Politik und Regenerativwirtschaft. In einem Live-Interview am 7. September, als Podcast verfügbar, nannte er die Regierungsidee der Abschöpfung „einen schlechten Witz“. Gleichzeitig erklärte er zum Statement der BEE-Präsidenten, welche die Erneuerbaren davon verschonen will, klipp und klar: „Da bin ich ganz anderer Meinung als die Kollegin Peter.“ Denn heute schon lieferten die Erneuerbaren 50 Prozent des hiesigen Stroms. Das würde bei einem Börsenpreis von erwarteten 40 ct/kWh über den Ausschreibungspreisen für EE-Anlagen „280 Mrd. Euro mehr Kosten für die Verbraucher bedeuten. Das ist mehr als das Volumen des Bundeshaushalts.“
Windpionier Lackmann will dagegen die Börsenstromvermarktung beibehalten. Stattdessen schlägt er eine Art Vergütungsdeckel für alle Stromproduzenten vor, und zwar auf Basis des EEG-Kontos der Bundesnetzagentur. Dort waren Ende Juli bereits 17 Mrd. Euro gebunkert.
Und es füllt sich ganz nebenbei immer weiter, weil die Erzeugung kleinerer PV-Anlagen durch die Übertragungsnetzbetreiber an der Börse vermarktet wird, und zwar zu denselben exorbitanten Hochpreisen. Lackmanns Idee konkret: Eine negative EEG-Umlage an alle Stromverbraucher bezahlen, finanziert aus der Differenz zwischen festgelegtem Höchststrompreis von etwa 10 ct/kWh und erzieltem Börsenwert. Der vor über 20 Jahren eingeführte Mechanismus der EEG-Umlage werde einfach umgedreht, so Lackmann. Und wer nicht über die Börse handelt, sondern Ökostrom für um die 10 ct/kWh (plus Steuern und Gebühren) direkt an Stadtwerke oder Endverbraucher verkauft, bliebe davon verschont.
Fazit und Kritik
Für mich als Autor dieses Beitrags ist Simone Peters Statement in der Presseinfo absolut unmöglich, ja für die Erneuerbaren Energien schädlich: Gerade weil die die Strom-Billigmacher sind, müssen sie das auch zeigen, indem sie die Verbraucher daran teilhaben lassen! Die Betreiber von Sonnen- und Windkraft dürfen sich NICHT an den aktuellen Börsenpreisen gesundstoßen, wie es Kohle- oder Atomkraftwerkler tun.
Deshalb ist meine klare Ansage an Frau Peter: "Was Sie im Namen des BEE sagen, das ist völlig daneben! Denn damit würden sich die Erneuerbaren Stromproduzenten auf das gleiche Abzocker-Niveau stellen, auf dem die Altenergie-Betreiber schon lange sind.“
Anmerkung nach Redaktionsschluss
Leider hat der BEE vier von mir gestellte Fragen innerhalb von zwei Arbeitstagen nicht beantwortet. Ich wollte konkret wissen:
- Wie sieht Frau Peter (oder der BEE) die aktuelle Abschöpfung der hohen Börsenstrompreise durch EE-Stromerzeuger?
- Wie will Frau Peter (oder der BEE) den Menschen klarmachen, dass EE-Strom der billigste ist, wenn die Erzeuger dafür die exorbitanten Börsenstrompreise kassieren?
- Was hält Frau Peter (oder der BEE) vom Vorschlag Hans-Josef Fells, die EE-Stromerzeuger sollten ihren Strom günstig an naheliegende Gemeinde- oder Stadtwerke verkaufen?
- Wie steht der BEE (oder Frau Peter) zu Vorschlägen, möglichst schnell zwei Strommärkte – einen für EE, einen für „Altenergien“ – einzurichten?
Ohne auf die Fragen überhaupt einzugehen, sandte der BEE-Pressesprecher (nach meinem Redaktionsschluss) stattdessen nur ein weiteres Statement (ohne Angabe, von wem es stammt). Das bleibt aber genauso unkonkret wie die Abschöpfungsidee der Bundesregierung. Ich füge die BEE-Reaktion trotzdem hier in voller Länge an:
„Die Energie- und Kostenkrise ist eine Folge des russischen Angriffskrieges sowie der unzuverlässigen französischen Atomkraftwerke. Die Erneuerbaren wirken hier heute schon stark strompreissenkend. Zudem hat die Erneuerbaren-Branche die Mega-Aufgabe vor sich, das Energiesystems der Zukunft aufzubauen. Auf dem Weg dahin müssen die Akteure der Branche die Hauptlast der Investitionen und Risiken stemmen. Durch die fatale Stop-and-Go-Politik der letzten Jahre sind jedoch viel Vertrauen und über hunderttausend Jobs in Deutschland verlorengegangen. Bei der Umsetzung von Strompreisdeckeln muss daher sichergestellt werden, dass alle Maßnahmen im Einklang mit den ambitionierten Ausbauzielen der Bundesregierung stehen. Investitionen in den Zubau dürfen nicht ausgebremst werden. In diesem Kontext ist auch zu begrüßen, dass sich der EU-Ministerrat den fossil getriebenen Kostensteigerungen im Strom- und Gasmarkt annehmen wird, um die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen zu entlasten. Eine gemeinsame europäische Herangehensweise schützt vor Verwerfungen im Binnenmarkt, wie wir sie beispielsweise in Spanien sehen.“