08.10.2021
Zukunftstreiber: Ein Neuanfang in Hoch-Zeiten für „The Smarter E“ in München
Ein Bericht über Jubel und Lieferangst von Heinz Wraneschitz
Die Erneuerbare-Energien-Branche befindet sich aktuell trotz Corona augenscheinlich in einer Hoch-Zeit. Doch für das bisherige Münchner Energiemessetrio „The Smarter E Europe“, diesmal gar zu einem Quartett angewachsen, gibt es nach einjähriger Corona-Pause einen „Restart 2021“, zu erleben noch bis zum Freitagabend am Münchner Messegelände.
Insbesondere bei der Photovoltaik (PV) brummt das Geschäft. „18 Prozent Wachstum im Jahr 2020, auch für heuer wird ein zweistelliges Wachstum erwartet“, gab Carsten Körnig die Zahlen für die Corona-Zeit bekannt. Und: „Der Trend nach oben hat sich verfestigt.“ Körnig ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft BSW. Der BSW vertritt vor allem Hersteller, Händler, Importeure und Installateure der Solarstrom und Solarwärmebranche. Und jedes Jahr stellt Körnig während der Teilmesse Intersolar die Branchenzahlen vor.
Er tat das diesmal mit einem lachenden Auge: Möglicherweise sind bald 200 Gigawatt (GW) weltweit, davon 60 GW Solarstromanlagen hierzulande installiert - einerseits. Besonders gefragt sind Anlagen mit Speichern in Privathäusern. Andererseits: „Um das vereinbarte Klimaschutzziel von 1,5 Grad zu erreichen, brauchen wir viel mehr: eine Verzehnfachung der Erneuerbaren Energien insgesamt, PV 18mal so viel bis 2050. Das ist eine Herkulesaufgabe“, sagt der BSW-Mann. Und da seien eben auch wesentlich mehr Freiflächen- und große Dach-Anlagen nötig.
Das Problem dabei: Zwar ist Deutschland nicht erst seit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG ein Pionier, wenn es um die Entwicklung und Anwendung von PV geht. Doch inzwischen „liegen wir sehr weit hinten“ bei den Installationen. Hierfür macht Körnig vor allem die Politik verantwortlich: „Mehr als die Hälfte der Firmen können sich vorstellen, eine eigene PV-Anlage zu bauen“; das habe eine aktuelle Studie ergeben. Aber für im Betrieb selbst verbrauchten Solarstrom aus Anlagen über 30 Kilowatt (kWp) Leistung ist die EEG-Umlage abzuführen. Das schrecke viele Unternehmen ab: „Diese Art Sonnensteuer auf Eigenverbrauch ist ungerecht. Bei Gewerbedächern sinkt die Investition“, hat der BSW passend dazu festgestellt.
Für die neue Bundesregierung hat der Verband deshalb bereits „Elf Punkte zur Solarisierung des Stromsektors (sieben davon stehen hier)“ aufgestellt. Der erste: „Die Ausbauziele für Erneuerbare Energien insgesamt sind an die Klimaziele anzupassen“. „Solarturbo“ nennt das Carsten Körnig und sieht sich dabei in Übereinstimmung mit der Fraunhofer-Gesellschaft.
Daraus ergeben sich die anderen zehn Punkte fast automatisch: Die Beschleunigung von Verwaltungsprozessen; Gebäude „Solar Ready“ machen und Solarpflicht für öffentliche Gebäude; das Strommarktdesign auf die bald überwiegend erneuerbare Stromversorgung vorbereiten; die „Hemmnisse für Solarspeicher abbauen“ sind einige davon.
Der elfte Punkt ist gleich doppelt aufgeführt: „Fachkräfte für die Solarisierung werben und ausbilden.“ Auf Nachfrage bestätigt Körnig: „Der Mangel an Handwerkern ist in der Tat gerade in Deutschland ein wichtiges Thema. In der Elektrotechnik wie im Heizungsbereich haben wir regional Verknappungen.“ Als einen Grund für „die betrüblich, aber auch nachvollziehbar langen Wartezeiten“ nennt der BSW-Vertreter: Viele Handwerker hätten sich wegen ständig wechselnder politischer Rahmenbedingungen wieder vom Solarmarkt zurückgezogen.
„Entscheidend wird sein, dass die neue Regierung das in Einklang bringt. Weltweit aber sind wir auf einem guten Weg. Denn Solarstrom ist inzwischen die preiswerteste Form der Energieerzeugung“, gibt sich Carsten Körnig selbstbewusst. Der coronabedingte Rohstoff- und Nachschubmangel, der auch seine Branche trifft, werde bald zu Ende gehen, so seine Überzeugung.
Diese Hoffnung haben offensichtlich viele. Denn schon am ersten Tag der „Smarter E“-Messen gab es lange Schlangen vor den Eingängen und ein Gedränge in den Gängen. Letzteres mag sicher auch daran liegen, dass diesmal lediglich fünf statt zuletzt sieben Hallen belegt waren. Andererseits hatten sich Besucher aus 89 Ländern bei den 456 Ausstellern angekündigt: die internationale Ausstrahlung ist weiterhin groß.
Auffällig: Eine Halle ist zur Hälfte mit Ladeeinrichtungen für Elektroautos und –fahrräder gefüllt. Webasto aus Gilching beispielsweise, bisher eher für Standheizungen bekannt, ist einer der Aussteller hier. Die Kombination aus eigener Solarstromerzeugung, Batteriespeicher im Haus und E-Mobil vor der Tür gilt allgemein als wichtiger Teil künftiger Individualmobilität.
Vorgestellt wurde am ersten Messetag auch das „Green Hydrogen“-Manifest für eine „Schlüsselrolle von Wasserstoff für eine CO2-neutrale Kreislaufwirtschaft“. Doch wer sich beim Mit-Initiator DWV Deutscher Wasserstoff- und Brennstoffzellenverband darüber informieren wollte, hatte Pech: lediglich Broschüren waren am Stand zu sehen – aber keine Menschen.
Aber warum in die Wüste schweifen: Auch hierzulande kann Wasserstoff das Privathaus ganzjährig Strom-autark machen. Mit ihrem Solar-Wasserstoff-System Picea sei das möglich, behauptet das Berliner Start-Up-Unternehmen HPS Home Power Solutions. „365 Tage Sonne“ steht über dem Stand. Ein Spruch, der auch zur aktuellen Hoch-Zeit der Erneuerbare-Energien-Branche insgesamt gepasst hätte.