08.10.2021
Was ist gerade mit den Energiepreisen los?
Eine Analyse von Jörg Sutter
Die Energiepreise kennen an den Handelsmärkten in den vergangenen Wochen nur eine Richtung: Steil nach oben. Und das nicht auf einen Energieträger beschränkt: Sowohl Benzin und Strom, aber auch Gas werden derzeit stetig teurer und erreichen Höchstpreise, die bislang für undenkbar gehalten wurden. Und das mit einer Steigerungsrate, die fast schon online live verfolgt werden kann: 100 Euro pro MWh bei Strom, mehr als 80 Dollar pro Barrel Öl, …
Die Boulevardpresse stimmt die Bürger schon darauf ein, dass der „teuerste Winter aller Zeiten“ bevorsteht. Bislang ist das bei den Verbrauchern noch nicht angekommen, denn die Versorger bieten ja meist Verträge, bei denen der Strom- oder Gaspreis für den Kunden über eine gewisse Zeit fixiert ist. Preiserhöhungen werden dann zu bestimmten Stichtagen durchgeführt, diese sind im Bereich Gas und Strom spätestens zum neuen Jahr zu erwarten. Eine Ausnahme dazu: Der steigende Benzinpreis kann auch aktuell von den fossilen Fahrzeugbesitzern, die die Tankstelle aufsuchen, schon heute leidvoll beklagt werden.
Aktuelle Engpässe
Engpässe gibt es nicht nur beim Benzin in England (das „nur“ fehlende LKW-Fahrer als Ursache hat), sondern auch bei uns: Die Gasspeicher sind nicht – wie sonst vor dem Winter – zu rund 90 Prozent gefüllt, sondern Ende September laut Handelsblatt nur zu 64 Prozent. Gas ist also knapp und wird derzeit nur schleppend zu uns geliefert.
Die größten Erdölförderländer in der OPEC haben sich Anfang dieser Woche entschieden, die Fördermengen lediglich leicht zu erhöhen, auch von dieser Seite ist daher keine Entlastung für die Ölpreise absehbar. Seit Oktober 2020 ist der Rohölbörsenpreis auf fast das Doppelte gestiegen, derzeit kostet die Rohölsorte Brent schon über 80 Dollar pro Barrel.
Und die Ursachen?
Warum ist Energie aktuell so teuer? Einerseits hat sich ein Teil der Industrie weltweit schneller als gedacht von Corona erholt und damit den Verbrauch nach oben getrieben. Gleichzeitig sind aber auch einige fossile Quellen noch gehemmt: Aufgrund der Pandemie sind nicht alle Förderstellen, Transport- und Logistikmöglichkeiten nutzbar. Das verschärft die Lage zusätzlich.
Dann muss man auf China sehen: Im Norden des Landes stand in diesem Jahr der Winter früh vor der Tür, das Ergebnis sind sehr hohe Energieverbräuche. Da auch aufgrund des steigenden Wirtschaftswachstums in der Volksrepublik, das Bruttoinlandsprodukt des 2. Quartals 2021 wird unbereinigt rund 8 Prozent höher sein als 2020, ein großer Energiehunger herrscht, kaufen derzeit chinesische Firmen die weltweiten Energiemärkte leer.
Und dann ist auch noch Wladimir Putin im Spiel: Nachdem seitens der Bundesregierung immer betont wurde, dass die Erdgasleitung North Stream II kein politisches Projekt sei, wird jetzt deutlich: Doch, es ist eines und wird schon als Erpressungswaffe genutzt, obwohl die Leitung derzeit noch gar kein Gas transportiert. Aktuell werden die Rohre erstmals gefüllt, doch die Leitung hat noch keine Zertifizierung und dürfte daher nach den aktuellen Anforderungen aktuell nicht in Betrieb gehen. Doch wird Deutschland auf die ordnungsgemäße Zertifizierung bestehen, wenn das Risiko besteht, dass Zentraleuropa sonst im Dezember friert? In diesem Zusammenhang ist es auch kein Wunder, dass die Gasspeicher in Deutschland derzeit Rekordtiefststände aufweisen – gehört doch ein Teil des Speichervolumens bei uns seit einigen Jahren der russischen Gazprom.
Mitte dieser Woche haben auch Kraftwerksbetreiber im Kohlebereich aufgehorcht, musste doch ein Steag-Kraftwerk in Bergkamen aufgrund von Brennstoffmangel den Betrieb einige Tage einstellen. Das Problem war zwar rein lokal verursacht, hat aber den Blick darauf gelenkt, dass die Steinkohlelagerbestände in den großen Häfen wie Antwerpen und Rotterdam, wo Importkohle angelandet wird, derzeit sehr gering sind.
Bei den Stromkosten stehen neben den höheren Marktpreisen regional teilweise noch weitere Steigerungen bevor, da die Übertragungsnetzbetreiber die Netzentgelte für das Übertragungsnetz bundesweit derzeit schrittweise aneinander angleichen. Während in der vergangenen Woche Tennet nur 0,5 Prozent Steigerung aufgerufen hat, sind es bei 50Hertz 3 Prozent, bei Transnet BW knapp über 10 Prozent, bei Amprion dagegen bis zu 20 Prozent im neuen Jahr. Beim einzelnen Stromkunden kommt davon jedoch nur wenig an, denn diese Steigerung bezieht sich nur auf den Hoch- bzw. Höchstspannungsanteil an den Netzgebühren.
Wie geht es weiter?
Das es zu einem schnellen Preisverfall kommt, wäre sehr überraschend und ist nicht wahrscheinlich. Die Futurepreise, also die Preise, zu denen schon Energie im ersten und zweiten Quartal 2022 heute gehandelt wird, sind weiterhin hoch. Es ist zu erwarten, dass zu Jahresbeginn die Stromversorger, aber auch recht schnell die Gasversorger, die Haus- und Industriestrompreise deutlich nach oben anpassen werden – mit dem üblichen Argument, dass die Einkaufspreise zugelegt haben.
Was juckt mich das?
Wenn Sie eine PV-Anlage, eine Solarthermieanlage oder ähnliches besitzen und in einem energiesparenden Gebäude diese Zeilen lesen, dann trifft sie die Preissteigerung nur anteilig. Gleiches gilt für Bürger z.B. in Teile von Ludwigsburg (BW), die seit dem vergangenen Jahr ihre Wärme aus erneuerbarer Energie bekommen (Solarthermie-Feld und Biomasse-Kessel, verteilt über ein Nahwärmenetz, wir haben dazu berichtet.
Doch es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch schon vor über zehn Jahren das Argument verwendet wurde, dass der Einsatz hiesiger Erneuerbarer Energie auch die internationale Abhängigkeit und das Preisrisiko für Energieimporte mindert. Das wollte aber – vor allem im Wirtschaftsministerium - kaum jemand hören und deshalb haben wir jetzt den Salat. Es könnte durchaus sein, dass sich dadurch die Energiewende, aus Angst vor einem frostigen Winter, vielleicht sogar beschleunigt.
Ja, Sie können sich schon heute über die bevorstehenden Preiserhöhungen der Versorger ärgern. Wenn er Ärger aber noch positiv umgelenkt werden soll: Bauen Sie eine PV-Anlage, kaufen Sie einen Stromspeicher, eine moderne Heizung oder dämmen Sie ihr Gebäude. Jede eingesparte Kilowattstunde muss nicht bezahlt werden und bei der eigenen Erzeugung auf dem Dach können keine Bezugspreise angehoben werden. Unsere technischen Experten stehen bei konkreten Fragen gerne zur Verfügung.