08.07.2022
Wertvoll & wichtig: Kleinwasserkraft und Bioenergie
Ein Bericht von Götz Warnke
Das so genannte Osterpaket der deutschen Bundesregierung beinhaltet eine Fülle von Gesetzen und Gesetzesänderungen, um die zu träge Energiewende zu beschleunigen und weitere Maßnahmen im Stromsektor zu treffen. Dieser Gesetzesentwurf im Umfang von 330 Seiten mit seinen Änderungen auch am EEG, enthält zweifellos viele sinnvolle, ja notwendige Maßnahmen und legt damit u.a. die Basis für ein neues „EEG 2023“. Andererseits finden sich hier einige neue Bestimmungen, die man auch beim besten Willen nicht mit einer beschleunigten Energiewende und dem entschlossen angestrebten Ziel eines möglichst bald klimaneutralen Energiesystems in Einklang bringen lässt. Diese Deckelungen, man könnte auch von „bewussten juristischen Behinderungen“ sprechen, betreffen vor allem zwei Energieformen, die noch dazu grundlastfähig sind: die Bioenergie und die Kleinwasserkraft. Hier scheinen sich die mehr oder minder gegenüber der Klimakrise blinden Naturschützer und Anglerverbände aus dem Dunstkreis des Bundesumweltministeriums (BMUV) durchgesetzt zu haben, welches offenbar in letzter Minute in der Ressortabstimmung mit dem Bundeswirtschafts- bzw. Klimaschutzministerium (BMWK) z.B. die Einspeisevergütung für neue und modernisierte Kleinwasserkraftanlagen unter 500 kW aus dem Gesetzesentwurf verschwinden ließ.
In dieser Situation hat die 2006 von Hans-Josef Fell, dem „Vater“ des EEG, gegründete unabhängige Denkfabrik „Energy Watch Group“ (EWG) eine Kurzstudie unter dem etwas länglichen Namen „Kleinwasserkraft und Bioenergie sind für die Energiewende und den notwendigen Ausstieg aus russischen Energielieferungen unverzichtbar“ veröffentlicht, für die die Autoren Thure Traber und Hans-Josef Fell sich verantwortlich zeichnen.
Im Abschnitt „Beitrag von Kleinwasserkraft und Bioenergie zur Energieversorgung in Deutschland“ zeigt Thure Traber insbesondere die Bedeutung der Kleinwasserkraft, d.h. von Wasserkraftanlagen mit bis zu 1.000 kW auf. Deren Beitrag zur Energieerzeugung macht insgesamt 3 Terrawattstunden (TWH) aus, wobei die kleine Kleinwasserkraft (größer 500kW) davon rund 50 Prozent beiträgt. Das Ausbaupotential der Kleinwasserkraft wird mit 2,7 TWh angegeben, was quasi eine Verdoppelung bedeuten würde – eine durchaus realistische Größe, wenn man die Anzahl der Wasserkraftanlagen in der fischfreundlichen Zeit vor der Industrialisierung betrachtet.
Dazu kommt die Bioenergie (S.3), die sich in biogene Festbrennstoffe, biogene Flüssigbrennstoffe und biogene Gasbrennstoffe (Biogas, Biomethan) unterteilen lässt. Zudem muss man die Bioenergie auf ihre Leistung in den verschiedenen Sektoren Strom, Wärme/Kälte und Verkehr aufteilen, während die Wasserkraft, von wenigen Ausnahmen abgesehen, heute nur den Stromsektor bedient. Thure Traber schreibt: „Aufsummiert erbringen die Kleinwasserkraft und die nachhaltigen Bioenergien 230,4 TWh (Tabelle 2). Dies entspricht 51% der insgesamt rund 455 TWh Energie, die rechnerisch noch im Jahr aus Russland bezogenen werden …“. Dies sind gewaltige Energiemengen, die die Bedeutung beider Energieformen unterstreichen. Allerdings wird nicht deutlich, welcher Teil der Bioenergie wirklich zur „nachhaltigen Bioenergie“ zu rechnen ist. Denn eine „Bioenergie“, deren Düngemittel- und Pestizidhersteller russisches Gas benötigen, sowie Land- und Verarbeitungsmaschinen verwendet, die mit russischem Erdöl betrieben werden, ist nicht bio, sondern nur eine nicht nachhaltige Argarenergie. Dass der Anteil dieser Agrarenergie an der nominellen „Bioenergie“ erheblich ist, zeigt die Warnung von Bauernpräsident Joachim Rukwied vom 1. Juli, ohne russisches Gas für die Düngemittelproduktion würden die landwirtschaftlichen Erträge sofort um 30 bis 40 Prozent einbrechen. Daher dürfte die echte „BioBioenergie“ z.B. des Ökolandbaus den eher geringeren Anteil ausmachen.
Insofern ist es wohl konsequent, wenn Traber sich im folgenden Unterkapitel auf den „Wert der Kleinwasserkraft im deutschen Energiesystem auf Basis 100% Erneuerbarer Energien“ konzentriert. Während Naturschutzverbände die Kleinwasserkraft als verzichtbar darstellen, verweist der Autor auf die Bedeutung gerade auch der kleinen Anlagen als grundlastfähige Energieerzeuger in einem fluktuierenden Energiesystem.
Dadurch ist der Wert der Wasserkraft für das gesamte Energiesystem deutlich größer als ihre installierte Leistung und die von ihr erzeugten Terrawattstunden vermuten lassen. So sparen die Laufwasserkraftwerke und auch die Speicherbecken mit natürlichem Zufluss bei 5,2 GW installierter Kapazität andere EE-Kapazitäten von 64 GW ein! Ohne die Kleinwasserkraft müssten 10.207 MW Aufdach-PV, 219 MW Elektrolysekapazitäten für die Erzeugung von grünem Wasserstoff, 1.082 MW neue Batteriekapazität etc. neu geschaffen, sowie die deutschen Nord-Süd-Stromtrassen und Leitungskapazitäten um 66 MW ausgebaut werden. Insgesamt beträgt die Energiesystemleistung der Wasserkraft jährlich 9,5 Milliarden Euro. Bei Realisierung des 2,7 TWh großen Ausbaupotentials der Wasserkraft würde sich dieser Wert nochmals um 1,3 Milliarden Euro erhöhen.
Zum Abschluss gibt Hans-Josef Fell eine „Einordnung der politischen Forderungen zur Beendigung von Kleinwasserkraft und Bioenergie“. Er verweist auf die zu beendende Abhängigkeit von den vielen Fossil-Energien Russlands, die klimapolitischen Scheinlösungen wie den LNG-Import, und die Behinderung von Bioenergie und Kleinwasserkraft, wobei er auf letztere nur kurz eingeht. Ausführlicher beschäftigt sich Fell mit der Nutzung von flüssiger, gasförmiger und fester Bioenergie. Auch wenn seine Kritik der Bioenergie-Kritik in vielen Punkten richtig ist – bei einheimischen Ölsaaten gibt es den Teller-oder-Tank-Konflikt nicht, und Feinstaubemissionen/Ruß aus den heimischen Heizungen ließen sich durch Staubfilter eliminieren – , so bleiben doch auch hier das Klimaproblem der durch fossile Energien ermöglichten, nicht nachhaltigen Bioenergie im Allgemeinen, und auch die kurzfristig klimafeindlichen Holzheizungen im Speziellen ungelöst. Zudem hat die Bioenergie mit ca. ein bis zwei Prozent die mit Abstand schlechteste Flächeneffizienz aller Erneuerbaren Energien.
Doch trotz dieser kritischen Punkte ist diese Kurzstudie ein wichtiger, aufklärender Beitrag zu den Erneuerbaren Energien, die im öffentlichen Bewusstsein eher am Rande stehen. Diesbezügliche Analysen und Proteste scheinen zudem gewirkt zu haben: Nach Beschlussempfehlung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie des Bundestags (Drucksache 20/2580) werden die Deckelungen für die Kleine Wasserkraft zurückgenommen.