07.06.2024
Mobilität wird immer immobiler
Ein TÜV-Bericht von Heinz Wraneschitz
Am Dienstag, dem 4. Juni 2024 stellte der Verband der Technischen Überwachungsvereine seine „TÜV Mobility Studie 2024“ vor. Überschrift: „Mobilität neu gestalten: sicher, smart, nachhaltig“. Und auch wenn das erste Wort der dazu veröffentlichten, offiziellen Pressemitteilung „Verkehrssicherheit“ lautet: Eigentlich ging es in der Online-Pressekonferenz vor allem um Elektroautos.
Für die Studie waren 2.500 repräsentativ ausgewählte Personen ab 16 Jahre zwischen Mitte März und Anfang April 2024 von den „Globalen Spezialisten für Markt- und Sozialforschung“ Ipsos in Deutschland befragt worden. Doch wer Michael Fübi zuhörte, in Personalunion Präsident des TÜV-Verbands und CEO des TÜV Rheinland, musste den Eindruck gewinnen: Die Teilnehmenden waren großteils gespaltene Persönlichkeiten.
Denn einerseits halten 69 Prozent von ihnen „ein grundsätzliches Umdenken bezüglich Mobilität für notwendig“. Mehrheitlich wünschen sich die Befragten eine finanzielle Förderung von E-Bikes, Lastenrädern, Elektroautos; wollen das Dienstwagenprivileg abschaffen oder ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen (beides mit 61 Prozent); sichere Radwege und Radparkplätze (84 Prozent); weniger für den ÖPNV zahlen 88 Prozent) oder – ganz vorne mit 90 Prozent Zustimmung – das ÖPNV-Angebot am Land ausbauen. „Aber eine Mehrheit lehnt die Verdrängung des Autos ab“, leitete Fübi zum „andererseits“ über: Kein Tempo 40 und keine Umweltzonen für Verbrenner in den Städten, keine City-Maut in Großstädten, keine Ausweitung von gebührenpflichtigen Parkplätzen.
Und das, obwohl als TOP-3 der durch den Straßenverkehr verursachten Probleme die Überlastung der Innenstädte, die Luftverschmutzung und zu viele Staus genannt wurde.
Dass Letzteres durch immer mehr Autos in den Städten selbst verursacht wird, ficht die Befragten offensichtlich nicht an: Das Stauthema stieg in der Wichtigkeit gegenüber der Vorgängerstudie des Jahres 2022 auf jetzt sogar um neun Prozentpunkte. Gleichzeitig erkennen drei Viertel der Befragten ein „steigendes Aggressionslevel im Straßenverkehr der letzten fünf Jahre“. Doch was bedeutet diese Wahrnehmung? „Jeder sagt von sich, ich bin ein guter Autofahrer. Ob immer die Anderen die Aggressiven sind, das haben wir nicht gefragt. Es ist die wahrgenommene Aggressivität“, antwortete Fübi auf Nachfrage.
Verkehrsraum ungerecht verteilt – doch Autofahrende wollen nicht verzichten
Nur ein Drittel sagt, der Verkehrsraum sei auf die Teilnehmenden gerecht aufgeteilt. Am meisten seien momentan Radfahrer:innen und Fußgänger:innen benachteiligt, die Ersteren dabei auch noch am meisten gefährdet. Und auch, dass schwächere Verkehrsteilnehmer:innen wie Kinder, Ältere, Personen mit Beeinträchtigungen nicht ausreichend geschützt sind, wissen zwei von drei Befragten. Doch dann kommt das Paradox: „Nur jede:r dritte Autobesitzer:in kann sich den Umstieg vom Auto auf andere Verkehrsmittel vorstellen. Gleichzeitig sehen sich auch 47 Prozent der Autofahrenden gefährdet – durch höhere Verkehrsdichte und mehr Aggressivität“, trug der TÜV-Chef vor – und schaffte es dabei, seinen Kopf nicht auf den Tisch zu schlagen.
Die Menschen mit Auto haben übrigens 80 Prozent der Studienteilnehmenden ausgemacht. Dass die zum Großteil Verbrenner ihr Eigen nennen, ist klar. Aber obwohl in den letzten Jahren ganz offensichtlich und für jede:n erkennbar E-Autos riesige Technik- und Vielfaltssprünge nach vorne gemacht haben und dabei gleichzeitig im Preis nach unten gegangen sind: Die Zahl derer, die sich künftig per E-mobil bewegen wollen, stieg seit 2022 nur um einen Punkt auf 27 Prozent. Doch von Benzin oder Diesel auf Strom umzuschalten, das ist weiterhin für knapp mehr als die Hälfte der Befragten „sehr oder eher unwahrscheinlich“. Immerhin: 21 Prozent sind und bleiben aber Autoverweigerer:innen, so die Studie.
Für die E-Auto-Gegner sind die heutigen Ablehnungs-Argumente dieselben wie in der Vergangenheit, werden aber teilweise sogar noch öfter genannt als 2020 oder 2022: Zu hohe Anschaffungskosten, zu geringe Reichweite, zu wenige Ladestationen, „es ist fraglich, ob E-Autos wirklich umweltfreundlicher sind“. Fast jede:r Fünfte hat sogar „Bedenken wegen der Sicherheit der Fahrzeuge“, und 40 Prozent von ihnen hat „weniger Vertrauen in die Sicherheit von E-Autos als von Verbrennern“, so Original-Antworten aus der Studie. An dieser Stelle wurde der beruflich mit Sicherheit beschäftigte Vortragende deutlich: „Wenn einzelne Fahrzeuge in Brand geraten, geht das viral, obwohl wir keinen statistischen Unterschied sehen. Wir können sagen: Alle Fahrzeuge, die in Deutschland auf die Straßen kommen, sind sicher. Auch bei der Batterie gibt es eher keine Risiken. Die Angst kommt eher als Faktor des Unbekannten. Vielleicht haben sie schlechte Erfahrungen mit Handy-Batterien gemacht?“, stellte Michael Fübi in den Raum.
Wirtschaftlichkeit ist nicht nur der Kaufpreis
Immer wieder kommt die so genannte Wirtschaftlichkeit von Autos in der Studie vor. Diese „wird als wesentlicher Faktor gegen die E-Mobilität vorgebracht. Doch variable Kosten wie günstiger eigener Strom vom Solardach oder weniger Wartung sind darin nicht enthalten, sondern nur der Kaufpreis. Und da sind halt E-Autos noch ein Drittel teurer“, gab der TÜV-Manager zu. Für ein besseres Image zu sorgen, das könnten aber Stromer-Besitzende selbst, wie er aus eigenem Erleben als E-Mobilist berichtete: „Ich werde sehr häufig auf der Straße angesprochen. Meine guten Erfahrungen kann ich weiter verbreiten, um das positive Klima für E-Autos zu stärken.“ Und auch von den Medien erhoffte er sich mehr solch positive Berichterstattung. Er selbst räume gerne mit der irrigen Meinung, E-Fahrzeuge leisteten keinen Beitrag zum Klimaschutz, mit dem Verweis auf neue, gegenteilige Studien auf. „E-Mobilität ist sehr wohl ein wichtiger Faktor. Nur muss sich die Industrie auf die Politik verlassen können, politische Unsicherheit ist nicht gut für Investitionspläne“, mahnte er, ohne die Namen der Bundes-Oppositions- und einer freiheitlichen Regierungsparteien explizit zu erwähnen.
Und Michael Fübi nannte Städte wie Paris, Barcelona oder Kopenhagen als Beispiele für nachhaltige Mobilität: Ob in 15 Minuten alle wichtigen Orte zu erreichen seien; ob als Fahrradstadt mit breiten Radspuren und -schnellwegen; ob mit einer verkehrsberuhigten Innenstadt, in der Uferstraßen für Autos gesperrt seien: Es gehe viel, wenn mutige Politiker:innen die Verkehrswende wirklich voranbringen wollten. Doch warum fast drei Viertel der Befragten solche Beispiele zwar gut fanden, aber eben augenscheinlich nur anderswo und nicht in der eigenen Stadt, „dies wurde in der Studie nicht weiter gefragt. Dass wir die Mobilitätswende brauchen ist unstrittig. Bleibt nur die Frage: Wie kommen wir da hin?“