07.06.2024
Die Europawahl steht vor der Tür
Eine persönliche Analyse von Jörg Sutter
An diesem Wochenende steht die Europawahl vor der Tür – und teils auch Kommunalwahlen. In den letzten Jahren haben aus meiner Sicht viele Menschen erkannt, dass immer mehr politische Entscheidungen nicht in Berlin oder den Landeshauptstädten getroffen werden, sondern in Brüssel. Die Wahl der Abgeordneten für das Europäische Parlament hat daher eine immer höhere Bedeutung, weswegen ich mir hier ein paar ausgewählte Wahlprogramme etwas genauer angesehen habe. Nach aktuellen Angaben von n-tv wollen aber nur 57 % (Deutschland) bzw. 59 % (europaweit) der jungen Leute an der Europawahl teilnehmen. Dort ist entweder die Bedeutung noch nicht durchgedrungen oder es ist für viele einfach zu abstrakt – Brüssel und Straßburg sind einfach „zu weit weg“.
Besonderheiten der Europawahl
Zur Kommunalwahl stehen bei mir aktuell rund 660 Kandidaten für 40 Gemeinderatsplätze auf dem Wahlzettel meiner Großstadt. Mit unserem komplexen Wahlrecht in Baden-Württemberg können wir dabei nicht nur „kumulieren“ (also einzelnen Kandidaten mehrere Stimmen geben) sondern auch „panaschieren“, also mehrere Kandidaten über mehrere Parteien/Wahllisten hinweg wählen.
Dagegen ist es bei der Europawahl ganz einfach: Ein Stimmzettel, etliche Listen, von denen genau eine mit einem Kreuz gewählt werden kann. Eine Einzelwahl von Kandidaten gibt es nicht, auch wenn auf dem Stimmzettel die ersten Personen der jeweiligen Parteiliste angegeben sind. Für die Parteien gibt es bei der Europawahl keine 5%-Klausel; auch Parteien mit nur wenigen Stimmen können daher ins Parlament einziehen.
Ein Blick in die Wahlprogramme
Schauen wir auf die Wahlplakate am Straßenrand, so ist bei uns (Bild) teilweise nicht so ganz zu unterscheiden, was nun Plakate zur Kommunalwahl oder zur Europawahl sind. Man kann grob nach der Größe gehen: die kleinformatigen mit Gesichtern am Laternenmast sind eher der Kommunalwahl, die großformatigen Straßenbanner dagegen der Europawahl zuzuordnen. Es fällt aber auf, dass bei beiden der Klimaschutz und das Energiethema teilweise aufgegriffen wird.
CDU/CSU
Die CDU und CSU haben wie schon 2019 ein gemeinsames Wahlprogramm zur Europawahl aufgestellt. Ein Schwerpunkt dabei ist das Thema Sicherheit und Verteidigung. Im Bereich Klimaschutz haben die beiden Parteien sich auf die Fahnen geschrieben, das europäische „Verbrennerverbot“ ab 2035 rückgängig zu machen. Abgesehen davon, dass es gar kein richtiges Verbrennerverbot gibt (sondern nur ein Verbot von nicht klimaneutralen Treibstoffen) hat sich die Union bei diesem Thema auch in der letzten Woche mit einer Online-Umfrage mehr als blamiert.
Nach dem Wahlprogramm soll Wirtschaft, Energie und Klima „zusammengedacht“ werden, der Begriff der „Technologieoffenheit“ findet sich nun auch hier. Emissionshandel und der Ausbau der Erneuerbaren Energien werden begrüßt. Alle Erneuerbaren Energien sollen aber „gleichwertig“ gefördert und mit gleichen Rahmenbedingungen versehen werden. "Zum Energiemix gehören für uns alle Erneuerbaren Energien sowie die Kernkraft – wir können auf diese Option derzeit nicht verzichten." – so die Aussage des Wahlprogramms.
SPD
Auf 51 Seiten hat die SPD ihre Ziele für die Europawahl zusammengefasst: es geht um Fortschritte bei der Wirtschaft, bei Energie und Klima, bei der Digitalisierung, und um ein starkes Europa im internationalen Kontext. Soziale Sicherheit und gute Gesundheitsversorgung stehen auch im Forderungskatalog.
Die zukünftige Energieversorgung soll „erneuerbar, bezahlbar und sicher“ sein; der Vollendung der europäischen Energieunion ist ein eigener Abschnitt im Programm gewidmet. "Es sollen keine Steuergelder in die teure und unzuverlässige Hochrisikotechnologie Kernenergie fließen. Die Zukunft gehört den Erneuerbaren, die schon heute unsere günstigsten Energiequellen sind", so die SPD.
Bündnis 90/Die Grünen
Mit dem Slogan „was den Wohlstand schützt“ hat die Partei endgültig die Öko-Nische verlassen und konservative Wähler in den Focus genommen. Der schnelle Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas soll erfolgen, Erneuerbare Energien sollen "als Teil einer aktiven Wirtschafts- und Industriepolitik EU-weit massiv ausgebaut werden". Die Energieeffizienz soll gesteigert, die Bürgerenergie ausgebaut werden, die Infrastruktur in Europa soll zusammenwachsen – von den Eisenbahnen bis zu den Stromtrassen. Die Atomkraft wird klar abgelehnt. „Europa soll der erste klimaneutrale Kontinent werden. Von diesem Ziel darf es kein Abrücken geben, und es muss zuverlässig erreicht werden“, so die Grünen.
FDP
Für die FDP steht Bildung, Arbeit und Wirtschaftswachstum im Fokus. Sicherheit und Demokratie sowie Schuldenabbau und solide Finanzen sind weitere Schwerpunkte. Die Energieversorgung soll vereinfacht und krisenfest gemacht werden; Technologieoffenheit und Bürokratieabbau werden auch für das Energiethema gefordert. Konkret angesprochen im Wahlprogramm sind E-Fuels, die Kernfusionstechnik und SMR-Kernreaktoren „für sichere und bezahlbare Energieversorgung“. Energie-Außenpolitik und Wasserstoff-Partnerschaften – unter anderem mit Israel – werden angestrebt. Planungs- und Genehmigungsverfahren für Energie und Infrastruktur sollen beschleunigt werden. „Energiespeicher und Erneuerbare Energien müssen im Markt integriert werden und ohne staatliche Hilfen auskommen", so die FDP.
AfD
Die AfD hat auf 51 Seiten ihre Forderungen zusammengestellt. Die EU soll zu einem Bund europäischer, eigenständiger Staaten umgebaut werden, die Identität der Nationen soll gestärkt werden; der hässliche Begriff „Remigration“ ist auch hier verzeichnet.
Im Energiebereich wird CO2 als Lebensgrundlage beschrieben und der menschengemachte Klimawandel einmal mehr negiert. Das „fit for 55“-Programm der EU zur Senkung der CO2-Emissionen wird daher abgelehnt. Die Partei strebt eine Neuorientierung der Energieversorgung an – inklusive Braunkohle und Atomkraft.
Zitat: „Die Kernenergie bietet mit jahrzehntelang bewährter Hochsicherheitstechnologie eine umweltfreundliche und preisgünstige Energieversorgung für die nächsten Jahrtausende.“ Die Förderung von Erneuerbaren Energien soll beendet, die Gasleitungen von North-Stream II repariert werden.
Die Linke
„Die Linke will ein Europa der sozialen Gerechtigkeit“, will grundsätzliche soziale und klimagerechte Änderungen erreichen. Schwerpunkte sind eine finanzielle Umverteilung von oben nach unten, eine Umverteilung von privat nach öffentlich, mehr Demokratie und das Ende der Rüstungsspirale. Ein eigenes Kapitel des Wahlprogramms adressiert die Klimagerechtigkeit; die Sektoren Verkehr und Wohnen sollen zu den Klimazielen beitragen, und „der Umbau auf erneuerbare Energien muss mit bezahlbaren und sozial gestaffelten Preisen einhergehen und darf die großen Unternehmen nicht aus den Regeln ausnehmen“. Die marktwirtschaftlichen Instrumente des Energiemarktes werden abgelehnt – die Energiewende soll sozial gerecht umgesetzt werden. Energiearmut und Energiesperren sollen bekämpft werden. Fracking soll verboten bleiben, LNG-Terminals sollen nur punktuell temporär errichtet werden und nicht als langfristige Infrastruktur.
Hinweis:
Es wurden in den dargestellten kurzen Betrachtungen nur die bislang größten Parteien betrachtet; zahlreiche weitere kleinere Parteien stehen gleichwertig zu Wahl. Die Auswahl erfolgte vom Autor willkürlich.
Was wählen?
Eine Wahlempfehlung sprechen wir an dieser Stelle selbstverständlich nicht aus. Die oben aufgelisteten Aspekte zum Klimaschutz können wichtige, aber sie sollen auch nicht die einzigen Gründe für eine ausgewogene Wahlentscheidung sein. Um eine Partei zu finden, die insgesamt zur eigenen Einstellung über breite Themenbereiche passt, kann der Wahl-o-mat genutzt werden, den die Bundeszentrale für politische Bildung online gestellt hat.
Keine Wahlempfehlung also, aber ein Wahlaufruf: Wenn Sie nicht schon per Briefwahl alles erledigt haben, gehen Sie bitte am Sonntag zum Wahllokal und geben Ihre Stimme für Europa ab.