07.06.2019
Ist Bayern wirklich „Land der Balkonsolaranlagen"?
Solarsteckdosengeräte kaufen und anschließen ist im Trend: Auf der Intersolar in München wurde der sogar massiv beworben. Denn eigentlich ist die Norm („Anwendungsrichtlinie“) für „Kraftzwerge“ VDE-AR-N 4105 eigentlich seit 27.4.2019 anzuwenden. Seither sind diese einfachen technischen Anschlussbedingungen für den Einsatz der Klein-Solarmodule festgeschrieben. Außerdem steht ein Standard der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. (DGS) für deren sicheren Betrieb. Doch was bedeutet es, wenn bereits kurz nach diesem Starttermin der VDE-Regel das „Balkonstromland Bayern“ ausgerufen wird? Genau mit diesem Spruch hatte nämlich ausgerechnet die Berliner Firma Empowersource UG Gäste auf ihren Messestand der Intersolar in München gelockt.
Dort fiel vor allem ein Solarmodul ins Auge: Aus einem Kasten auf der Rückseite war ein Kabel mit Schukostecker herausgeführt. Und der wiederum steckte in einer nur auf den ersten Blick ganz normalen 230-Volt-Steckdose. Denn besagte Jung-Firma von Geschäftsführer Christian Ofenheusle hat eine „Mission: Eigenen Solarstrom für jedermann!“ Und diese „Demokratisierung des Stroms“ will sie mit solchen Mini-Solarkraftwerken erfüllen. Die hießen anfangs „Kraftzwerg“ und sind schon seit Jahren zu kaufen. Heute stehen sie auch schon mal als Balkonkraftwerk, Stecker-PV, Plug-In Photovoltaik oder „Guerilla PV“ zum Verkauf.
„Stromrevolution! Werde Energieriese“ sind Schlagworte, mit denen die Berliner Ofenheusle und Co. auf ihrer Webseite aber erst jetzt um sich werfen. Und warum ist für ihn ausgerechnet Bayern Balkonstromland? „Weil der Freistaat das erste und bislang einzige Bundesland ist, in dem flächendeckend das vereinfachte Anmeldeverfahren für Minisolarkraftwerke gilt.“
Speziell die DGS e.V. hat sich in den letzten Jahren für die Normung und Zulassung dieser Mini-PV stark gemacht (wie mehrfach berichtet). Offiziell sollten eigentlich inzwischen alle Stromnetzbetreiber in Deutschland wissen: Bis zu 600 Watt Solarmodulleistung darf ohne das allgemein übliche, aufwändige Netzanschlussverfahren ans Stromnetz gesteckt werden. Klaus Oberzig hat als DGS-Fachmann hat dieser Tage in der „Ratgeber“-Sendung des hessischen Fernsehens (ab Minute 23) klipp und klar erklärt: Wer ein Solarmodul auf dem Balkon ans Netz anschließen will, „kann das selber zusammenbauen. Sie müssen nur als Mieter mit Ihrem Hausbesitzer reden, der muss das genehmigen.“ Insbesondere die Befestigung müsse professionell erfolgen.
Aber ausgerechnet im gelobten „Solarstromland Bayern“ sehen das die Stromnetzbetreiber offenbar anders. Die haben unter Führung ihres Verbands VBEW gerade erst ein Formblatt entwickelt und veröffentlicht: Die „Anmeldung einer „steckerfertigen Erzeugungsanlage“ bis 600 W Modulleistung“. Auch die MDN-GmbH, die Netztochter der Nürnberger N-ERGIE AG hat „an der Ausarbeitung mitgearbeitet“, erklärt deren Sprecherin und weist auf einen „wichtigen Sicherheitspunkt“ hin: Die sogenannte „Energiesteckdose“. Deren Einbau müsse laut VBEW ein zugelassener Elektroinstallateur bestätigen.
Denn „Arbeiten an elektrischen Anlagen dürfen nur durch fachkundige Personen durchgeführt werden“ steht beim Elektrotechnik-Verband VDE zu „steckerfertigen PV-Anlagen“ zu lesen. Und dort findet man auch die Normen, die für die in dem einseitigen Papier genannte „spezielle Energiesteckvorrichtung“ gelten sollen: DIN VDE V 0100-551 und DIN VDE V 0100-551-1. Würden die eingehalten, „dann kann auch in vorhandene Endstromkreise eingespeist werden“; der VDE meint damit die im und am Haus verlegten Leitungen. Die von ihnen entwickelten „vereinfachten Anschlussbedingungen“ gelten laut VBEW bei allen Netzbetreibern in Bayern. Doch bei einigen müssen Kleinkraftwerksbetreiber für den Ersatz des (alten) Standard-Zählers durch eine so genannte „moderne Messeinrichtung“ mit Nebenkosten rechnen. So verlangt beispielsweise MDN eine Gebühr von knapp 90 Euro. Der Tausch wäre grundsätzlich nachvollziehbar: Sonst könnten „Guerilla PV“-Betreiber ihren Überschussstrom ins Netz einspeisen und dafür denselben Preis bekommen, den sie für den Bezug von Netzstrom bezahlen. Denn normalerweise laufen die Standard-Zähler bei Einspeisung rückwärts.
Nur liege „die Beweislast, dass Strom ins Netz gehen würde, beim Netzbetreiber“, sagt Klaus Oberzig. Und deshalb müssten die auch die Kosten selbst tragen. Und: Von der Extra-„Energiesteckdose“, die Bayerns Netzbetreiber erwähnen, stehe in der seit April geltenden Anwendungsrichtlinie VDE-AR-N 4105 ebenfalls nichts. Denn „jede normale Schukodose in der Hausinstallation ist genormt nach VDE V 0628-1 und daher zulässig“, so Oberzig.
Das „Balkonstromland Bayern“ könnte übrigens bald nicht mehr allein dastehen. Unternehmer Ofenheusle setzt darauf, dass bald auch in ganz Nordrhein-Westfalen das „Vereinfachte Anschlussverfahren“ gelten wird, nicht nur wie bisher bei einzelnen Netzbetreibern wie Westnetz. Und andere Bundesländer seien ebenfalls bald soweit, ist Ofenheusle sicher. Aber tatsächlich fix sei noch nix. Ob sich darüber auch viele potenzielle Minisolarier freuen würden, bleibt fraglich. Denn Klaus Oberzig stellt klar: „Die Leitungen in Deutschland sind tatsächlich so ausgelegt, dass Sie in den Endstromkreis etwas einspeisen können. Die Grenze allerdings liegt bei 600 Watt.“ Laut VDE-AR gelte lediglich: Pro Stromkreis nur ein Wechselspannungsmodul. Den Stromnetzbetreiber über das Steckersolargerät informieren ist laut Oberzig zwar nicht notwendig, aber sinnvoll. Auf jeden Fall zu empfehlen sei „eine selbst unterschriebene Anmeldung der Form halber bei der Bundesnetzagentur“.
Denn eigentlich sollte Guerilla PV mit dieser Regel überall und für jeden ohne weiteren Aufwand möglich sein. Die EU-Fachleute sehen gar alle Einspeisungen bis 800 Watt als nicht relevant für das Stromnetz an, wie im aktuellen „Network Code Requirements for Generators“ steht. Deshalb hat dieser Tage das EU-Land Luxembourg alle Meldepflichten für Klein-PV unter 800 Watt gestrichen. Doch Deutschlands Netzbetreiber versuchen offenbar, neben der VDE-AR eigene Normen zu kreieren. Ausgerechnet das „Balkonstromland Bayern“ geht hier voran.
Webinartipp: Steckersolargeräte – Strom einfach selber machen
In Deutschland werden immer mehr Steckersolargeräte, sogenannte Balkonsolar-Anlagen, aufgestellt. Ob an der Hauswand, auf der Garage oder am Balkongeländer: Mieter können sich damit an der Energiewende beteiligen und ihre Stromkosten reduzieren.
Doch vor der Umsetzung einer Minisolaranlage gibt es oftmals Fragen und Unsicherheiten: Wo soll die Anlage am besten montiert werden? Muss sie angemeldet werden? Welcher Stecker darf verwendet werden? Das Webinar möchte Licht ins Dunkel bringen und technische und rechtliche Voraussetzungen beschreiben und Umsetzungstipps geben. Für alle, die wissen müssen oder wollen, wie es geht.
Webinar am 24.06.2019, 10:30 - 12:00 Uhr
Jetzt anmelden: www.solarakademie-franken.de/termine/WP08-2019-06-24
Referenten: Klaus Oberzig, Jörg Sutter (beide DGS)