07.05.2021
Eckpunkte für ein neues Klimaschutzgesetz
Ein Bericht von Götz Warnke
Wer die Klimakrise ernst nahm und auf nachhaltigen, effektiven Klimaschutz setzte, musste sich bisher auf die Zeit nach der Bundestagswahl im September gedulden. Denn von der regierenden Schwarz-Roten-Koalition und ihrem am 19. Dezember 2019 erlassenen Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) war in dieser Hinsicht nicht viel zu erwarten: Die Klimaziele wurden dort nur bis 2030 gesetzlich normiert, und selbst dann sollte die CO2-Minderung gegenüber 1990 gerade einmal 55% betragen. 55% in 40 Jahren – und dann noch die leichteren, die billigen, „niedrig hängenden Früchte“. Mit den restlichen, schwerer zu erzielenden 45% sollten sich künftige Generationen herumschlagen. Zudem waren die Reduktionsziele nicht mit dem Pariser Klimaziel von 1,5° Temperaturerhöhung gegenüber der vorindustriellen Zeit vereinbar.
Kein Wunder also, dass insbesondere auch viele junge Vertreter von Fridays for Future gegen ein solches „Klimaschutzgesetz“ vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) klagten. Letzte Woche (29.04.) veröffentlichte das BVerfG den bereits am 24. März 2021 gefällten Beschluss seines Ersten Senats; er war eine Zurechtweisung für die Politik der Bundesregierung. Auch wenn die Klagenden („Beschwerdeführer“) nicht in allen Punkten Recht bekamen, so wurden die Richter deutlich:
„Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schließt den Schutz vor Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter durch Umweltbelastungen ein ... Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Sie kann eine objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen. … In Wahrnehmung seines Konkretisierungsauftrags und seiner Konkretisierungsprärogative hat der Gesetzgeber das Klimaschutzziel des Art. 20a GG aktuell verfassungsrechtlich zulässig dahingehend bestimmt, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen ist. … Subjektivrechtlich schützen die Grundrechte als intertemporale Freiheitssicherung vor einer einseitigen Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft. … Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten. Konkret erfordert dies, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, …“ (Hervorhebungen durch den Autor). Fazit: Die Bundesregierung muss zumindest bis spätestens zum 31. Dezember 2022 die Treibhausgas-Minderungsziele auch für die Zeit nach 2030 fortschreiben. Ob nicht auch die Ziele des KSG bis 2030 schon die Generationengerechtigkeit verletzten, könne derzeit noch nicht wissenschaftlich eindeutig festgestellt werden – was sich übrigens schnell ändern kann.
Während die Regierungskoalitionäre so taten, als wären sie durch das Urteil endlich dazu befreit worden, dass zu tun, was sie eigentlich immer schon tun wollten, und quasi traurige klimapolitische Mitläufer über Nacht zu heldenhaften Widerstandskämpfer gegen das Klimachaos mutierten, wurde anderswo bereits gehandelt: die Denkfabrik Agora Energiewende veröffentlichte Anfang dieser Woche unter dem Titel „Sechs Eckpunkte für eine Reform des Klimaschutzgesetzes“ ein Papier, dass Änderungspunkte zur Novellierung des Bundes-Klimaschutzgesetz vorschlägt und zugleich die höheren EU-2030-Klimaziele berücksichtigt. Nach einer Erörterung der Konsequenzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz und einer Auflistung der wichtigsten Verhandlungsergebnisse der Einigung zum EU-Klimaschutzgesetz zwischen dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament vom 21. April diesen Jahres folgen im 20seitigen Text die 6 Eckpunkte:
1. Das Ziel der Klimaneutralität 2045 und der Netto-Negativen Emissionen danach (§ 1)
Hier geht es um die Eliminierung von schwammigen Passagen des Gesetzestextes wie etwa „sowie das Bekenntnis der Bundesrepublik Deutschland auf dem Klimagipfel der Vereinten Nationen am 23. September 2019 in New York, Treibhausgasneutralität bis 2050 als langfristiges Ziel zu verfolgen“ durch konkretere und vor allem inhaltlich zeitlich vorverlegte Formulierungen: „Als Beitrag zu diesem globalen Ziel soll bis 2045 Treibhausgasneutralität 2018 erreicht werden, und danach ein Netto-Abbau von Treibhausgasen aus der Atmosphäre stattfinden.“
2. Erhöhung des 2030-Klimaschutzziels und Einführung neuer Klimaschutzziele für 2035 und 2040 (§ 3)
Der „§ 3 Nationale Klimaschutzziele“ wird konkretisiert und für die Zeit nach 2030 wie folgt ausformuliert:
„(1) Die Treibhausgasemissionen werden im Vergleich zum Jahr 1990 schrittweise gemindert:
1. um mindestens 65 Prozent bis zum Jahr 2030,
2. um mindestens 77 Prozent bis zum Jahr 2035,
3. um mindestens 90 Prozent bis zum Jahr 2040.“
Zudem wird eine Treibhausgas-Neutralität in 2045 festgeschrieben.
Die Erhöhung für 2030 vom unambitionierten 55%-Reduktionsziel der Bundesregierung auf 65% ergibt sich allein aus dem EU-Klimaschutzgesetz. Die 77% für 2035 entsprechen etwa dem 78%-Reduktionsziel des Nicht-EU-Landes Großbritannien. Der von Agora vorgeschlagene Pfad vermindert das deutsche Treibhausgasbudget bis 2050 immerhin von 12,8 Gigatonnen auf 8,8 Gigatonnen CO2-Äquivalente.
Alle diese Prozentzahlen stehen natürlich unter dem Vorbehalt, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf Basis neuerer klimawissenschaftlicher Daten zu dem Schluss kommt, die Prozent-Verteilung würde künftige Generationen benachteiligen und sie in ihren Freiheitsrechten einschränken.
3. Sektorziele (§ 4 und Anlage 2)
Die Sektorziele für die Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft, sowie Abfallwirtschaft und Sonstiges werden bis 2030 Jahr für Jahr und ab dann in Fünf-Jahresschritten spezifisch angegeben, und zwar festgelegt vom Gesetzgeber und nicht von der Bundesregierung.
4. Nachsteuerung und Sofortprogramm durch CO2-Preis-Automatismus (§ 8)
Es wird ein Steuerungsmechanismus implementiert, der beim Verfehlen der Ziele in einem der Sektoren automatisch in Kraft tritt, und u.a. den CO2-Mindestpreis automatisch um 15 Euro/Tonne CO2 für das Folgejahr heraufsetzt.
5. Stärkung der Rolle des unabhängigen Expertenrats (§11/12)
Die Kompetenzen des unabhängigen Expertenrats für Klimafragen werden deutlich ausgeweitet hinsichtlich inhaltlicher Stellungnahmen, gutachterlicher Tätigkeiten sowie eines eigenen Initiativ- und Vorschlagsrecht – z.B. für die Jahresemissionsobergrenzen für den Zeitraum nach 2031.
6. Einführung eines CO2-Schattenpreises (§ 13)
Aus dem bisherigen Berücksichtigungsgebot der Klimaschutzziele für alles staatliches Handeln wird in eine Berücksichtigungspflicht! Was die dabei einfließenden Wirtschaftlichkeitsberechnungen der staatlichen Maßnahmen anbelangt, so sind dabei entstehende Klimagasemissionen mit 195 Euro je Tonne CO2-Äquivalente einzupreisen.
Fazit
Das vorliegende Papier von Agora Energiewende ist ein schneller, aber deshalb kein schlechter Entwurf. Es beseitigt die größten Schwachstellen des Bundes-Klimaschutzgesetzes gerade auch im Hinblick auf die fundamentale Kritik des Bundesverfassungsgerichtes. Ob die Bundesregierung es in ihrem für noch vor der Sommerpause angekündigten, modifizierten Klimaschutzgesetz schafft, viele dieser Gedanken aufzunehmen, oder ob sie uns ein weiteres „Herumgefrickel“ präsentiert, bleibt abzuwarten. Ebenso abzuwarten bleibt, ob auch die verschärften Klimaziele von Agora Energiewende dem Ernst der Klimakrise standhalten.