06.12.2019
Nachhaltige Belieferung in Städten
„Müssen wir unbedingt die Straße nutzen?“ Die Spedition Dachser beliefert beispielsweise in Amsterdam die innerstädtischen Händler auch schon mal über das Wasser, wie Hella Abidi herausstellt: Die Grachten führen dort bekanntlich fast überall hin. Doch beim Logistik-Forum des Verkehrs- und Logistik-Clusters Bayern (CNA) vor wenigen Tagen in Nürnberg stellte sie auch ganz andere Belieferungssysteme für Innenstädte vor. Die wurden speziell auf die jeweilige Situation angepasst: In Malaga (Spanien) beispielsweise ein extrem schmales E-Fahrzeug, „aber es kann auch schon mal ein Fahrrad sein“.
Denn jede Stadt stellt andere Ansprüche. Deshalb hat die international tätige Logistikfirma eine „Toolbox“ entwickelt. Darin wird ihren jeweils vor Ort tätigen Niederlassungen aufgezeigt, welch unterschiedlichste Möglichkeiten es gibt, damit das Paket zum Kunden kommt. Und zwar möglichst umweltfreundlich.
„Wir müssen uns den Herausforderungen im urbanen Raum stellen“, sagt Abidi. Die bestünden „auf Grund von Erfahrungen in der jeweiligen Empfängerstruktur, der Fahrzeugauswahl, oder ist Fahren auch nachts notwendig?“ sowie anderen notwendigen Anpassungen. So „haben wir gemeinsam mit der dortigen Niederlassung die Stuttgarter Innenstadt zum CO2-neutralen Liefergebiet erklärt“. Auf fünf Quadratkilometern stellt Dachser dort laut Abidi nur mit E-Canter-Lkw und E-Bikes zu.
Für Letztere sei die Zustellfirma Velo-Carrier im Boot. Der Strom für den Transport stamme aus Wasserkraft, sei also CO2-neutral, wie die Dachser-Managerin erklärt. Das Bundesumweltministerium hat Dachser für das Stuttgarter Projekt vor einem Jahr zum Sieger des „Bundeswettbewerbs Nachhaltige Urbane Logistik“ gekürt.
Doch einen kleinen (?) Haken hat die Umweltfreundlichkeit: Acht Euro pro Stopp mehr als die „normale“ Belieferung koste das Stuttgarter System, verrät Hella Abidi.
Die Straße wird bleiben
„Der Lieferverkehr muss stattfinden. Geht es unterirdisch? Soll man in die Luft gehen? Fakt ist: Die Straße bleibt der wichtigste Verkehrsträger auch in Städten“, da ist Prof. Ralf Bogdanski sicher. Das ist auch im Projekt „effiziente, verkehrsfreundliche und emissionsfreie Paketzustellung mit Lastenfahrrädern“ so. Dennoch bekam die Technische Hochschule Nürnberg Georg-Simon-Ohm (THN) in diesem Sommer den CNA-Innovationspreis.
Nachhaltige Stadtlogistik bedeutet für Bogdanski: „Sie muss ökologisch wie ökonomisch so wenig soziale Probleme schaffen wir irgend möglich.“ Die Dachser-Toolbox ist für ihn ein Beispiel, wie für jeden Anwendungsfall das beste Konzept gefunden werden kann. „Aber die KEP-Branche (Kurier-, Express- und Paketdienste; d.Red.) ist nur ein kleiner Teil des Innenstadtverkehrs.
Es gibt auch noch Apotheken, Handwerksbetriebe, Kommunale Dienste, Soziales“, wirft Bogdanski ein. Denn eines ist für ihn jedenfalls klar: „Wir müssen weg vom Diesel.“ Als wichtigen Grund nennt der Professor „den knappen Platz. Ein Lastenrad braucht drei Quadratmeter, ein Transporter 14“. Von der wesentlich geringeren Gefahr für Mensch und Tier, die vom Rad ausgehe, ganz zu schweigen.
Doch damit sich Lastenräder durchsetzen können, „müssen die Rahmenbedingungen geändert werden: Breitere, zweispurige Radwege“ fordert Prof. Bogdanski, dazu „eine erlaubte Motorleistung von 0,75 kW sowie ein Maximalgewicht von 500 kg.“ Damit sei eine Europalette transportierbar.
Bisher gebe es zwar gar keine Gewichtsbeschränkung, jedoch seien nur maximal 250 Watt leistende Motoren erlaubt. „Auf jeden Fall muss das Lastenrad weiterhin zulassungsfrei bleiben“: Das ist für Ralf Bogdanski unabdingbar, um „andere Netze als die heutigen Transporter zu nutzen. Gegen die Einbahnstraße fahren“ sei ein wichtiger Vorteil der maximal ein Meter breiten Räder.
Logistik mit Image-Problemen
Manuela Bauer vom Fraunhofer-Institut IAO in Stuttgart ist eine der Autorinnen der Studie „Europaweites Screening City Logistik“, die 2018 erschien.
Bauers wohl wichtigste Einschätzung: „Logistik hat ein Image-Problem – sie ist laut und stinkt.“ Deshalb würden auch für Logistik keine Flächen bereitgestellt. Das sei am Beispiel der in zweiter Reihe parkenden Paketdienste jeden Tag gut zu erkennen.
Im Rahmen der Studie hat sie herausgefunden: „Die Lastenrad-Zustellung wird als toll empfunden.“ Doch um diese wie insgesamt „nachhaltige Stadtlogistik großflächig umzusetzen, braucht es Micro-Hubs und digitale Lösungen“. Micro-Hubs sind jene Lagerflächen, aus denen die Lastenräder-Piloten das Liefergut für die Letzte Meile holen. Ein Lkw-Container könnte das sein. Doch wo soll der stehen? Bislang gebe es dafür kaum Ideen in den tagsüber vollen Innenstädten. „Und für Nachtlogistik fehlt der politische Rückhalt genauso wie das Personal: Das ist zu teuer“, sagt Manuela Bauer.
Professor Bogdanski sieht gar außer in den Niederlanden „keine rechtliche Basis in ganz Europa für geräuscharme Nachtlogistik“. Kein Wunder also, dass Ulrich Schaller, bei der IHK Nürnberg für Mittelfranken für Verkehrsthemen zuständig, „einen absoluten Handlungsbedarf für die Mobilitätswende“ erkennt. Verantwortliche Landes- und Bundespolitiker waren übrigens nicht anwesend beim Logistik-Forum Nürnberg 2019.heinz.wraneschitz(at)t-online.de