06.09.2019
Der dreifache Fraunhofer?
„Siemens und die Fraunhofer-Gesellschaft wollen ein Labor für Wasserstoffforschung aufbauen, in dem die Erzeugung, Speicherung und Nutzung von H2 untersucht wird, damit Görlitz langfristig zu einem Kompetenzzentrum für Wasserstofftechnologien“ werde. Das sei zwar langfristig gedacht, wurde aber in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich in Görlitz verkündet.
Klingt gut, ist aber verwunderlich. Denn nur wenige Tage vorher war das „Zentrum für Leistungselektronik und nachhaltige Netze“ am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg eingeweiht worden. Dem war gerade mal vier Tage später die Eröffnung des „Reallabor für die leistungselektronische Energieforschung“ am Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB in Erlangen gefolgt. Und Wasserstoff ist gerade hier auch ein wichtiges Thema.
Dass aber die zwei Fraunhofer-Erweiterungen in Erlangen und Freiburg mit ähnlich klingenden Inhalten an unterschiedlichen Instituten nahezu zeitgleich starteten, ist für Richard Öchsner „purer Zufall. Bei uns gab es eine Bauverzögerung.“ Der promovierte Ingenieur ist am IISB in Erlangen allgemein für Energietechnik zuständig, und speziell für die Entwicklung von Schnittstellen, die eine Infrastruktur auf Basis Erneuerbaren Energien möglich machen sollen. Die für diese Sektorenkopplung von Strom, Wärme und Mobilität nötige Technik habe das IISB ohnehin schon immer in seinen Räumlichkeiten direkt erprobt. Und im 3.000 qm-Neubau finden nun weitere Büros und Laboranlagen Platz. Bezahlt wurde der 15-Mio-Euro-Trakt je zur Hälfte vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und vom Bayerischen Wirtschaftsministerium.
Leistungselektronik und Netze für die Energiewende testen und erforschen – das will auch das Freiburger ISE-Team. „Eine weltweit einzigartige Forschungsinfrastruktur“ sei im „Laborzentrum mit einem eigenen 110 kV- Hochspannungsanschluss und einer Leistung von 40 MVA“ vorhanden. Für „Prüfverfahren zur Netzdienlichkeit von Wechselrichtern, wie beispielsweise zur Spannungs- und Frequenzhaltung“ oder „die aktive Bekämpfung von Resonanzen in Kraftwerken und Stromnetzen“ sei man so gewappnet, hebt ISE-Chef Prof. Hans-Martin Henning heraus.
Auch in Freiburg wurden Büros und Labore um insgesamt 3.000 qm erweitert. „Eine Kleinstadt im Labor“ sei hier abbildbar. Denn die 40 MVA Anschlussleistung der neuen Räumlichkeit seien auch für Kommunen in der Größenordnung von 50.000 Einwohnern gebräuchlich. Mit den Möglichkeiten, welche die im neuen Gebäude installierten Testanlagen böten, könne man Forschungsthemen angehen wie beispielsweise Stromversorgungen mit verschiedensten Energie-Quellen, -Verbrauchern und –Speichern. Olivier Stalter, der ISE-Geschäftsbereichsleiter Leistungselektronik, Netze und intelligente Systeme, ist sichtlich begeistert von der „40-fachen Anschlussleistung, eine neue Dimension. Bisher hatten wir nur gut 1 MVA.“
Das Freiburger Energiewende-Zentrum hat ebenfalls 15 Mio. Euro gekostet. Davon hat das ISE 5 Mio. selbst finanziert; 10 Mio. Euro kamen von den drei Bundesministerien für Wirtschaft und Energie (BMWi), für Umwelt (BMU) sowie vom BMBF. Bereits 2010 haben die Planungen dafür begonnen.
Doch trotz der vielen Übereinstimmungen mit Erlangen ist es auch für Karin Schneider „Zufall. Einen direkten Zusammenhang haben die beiden Eröffnungstermine nicht, zumindest auf den ersten Blick.“ Die ISE-Pressesprecherin hatte sogar erstmals durch die Anfrage des Autoren von der Doublette erfahren. Dabei spricht sie offiziell auch für die „Fraunhofer Allianz Energie mit Geschäftsstelle am ISE Freiburg. Und deren Aufgabe ist eigentlich das „Bündeln der besten Kompetenzen von Fraunhofer und das Schmieden agiler, hoch-fokussierter Forschungskonsortien“. So beschreibt die Energie-Allianz ihre „Mission“.
Aber die zwei Institute haben nicht wirklich einen „doppelten Fraunhofer“ gedreht. Denn die Freiburger haben die Hochspannungsebene und damit das Übertragungsnetz mit im Blick – allein der 110-kV-Anschluss zeigt das.
Dagegen wollen sich die Erlanger vor allem um die Mittel- und Niederspannungsebene kümmern, ums Verteilnetz mit maximal 20 kV also. Aber auch die Energiezukunft mittelständischer Betriebe habe man im Blick, dank „Umrichtern bis 3 MW, der Leistungsklasse solcher Firmen. Wir haben hier eine Demo-Plattform von der Erzeugung über Sektorenkopplung bis zur Speicherung. Ganz allgemein um intelligente dezentrale Energiesysteme“ geht es laut Richard Öchsner in diesem „Reallabor“.
Und dazu gehören für ihn auch Gleichspannungsnetze: Bis zu +/- 380V DC Spannung sei realisierbar, aber auch 48 oder 70V DC. Das aktuell „leistungsfähige 100 kW-DC-Netz im Institut soll auf 500 kW erweitert werden“, um auch die dazu passende Leistungselektronik weiter entwickeln zu können. Und aus seiner Sicht ein ganz wichtiger Aspekt: „Alle Systeme müssen im Bestand integrierbar sein.“ Denn komplett neue Energienetze werde es nicht geben, das ist für Öchsner klar.
Um das zu zeigen, steht vor dem Institutsgebäude in Erlangen ein 20-Zoll-Container mit einem kompletten Wasserstoff-(H2)-Kreislauf. Die Speicherung des H2 erfolgt in einem LOHC-System: H2 wird chemisch in einem „Liquid Organic Hydrogen Carrier“ (LOHC) gebunden und daher nicht explosiv. Im Container ist der Reaktor für die Ein- und Ausspeicherung des H2 genauso vorhanden wie der Elektrolyseur zur Gewinnung des H2 per Gleichstrom aus Wasser und die Brennstoffzelle, die aus H2 wieder Strom und Wasser macht.
Deshalb ist der „dreifache Fraunhofer“ auch nur auf den ersten Blick verwunderlich: Der mehrfache Ausbau zeugt wohl nur davon, dass man gerade bei der Forscher-Vereinigung auf die Freiheit der Wissenschaft setzt und weniger auf Koordination und Kostenoptimierung.heinz.wraneschitz(at)t-online.de