05.08.2022
Atomkraftdebatte: Ich habe Angst!
Ein Essay von Heinz Wraneschitz
Ich habe Angst! Denn was in diesem Jahr schon passiert ist und womöglich noch passieren wird, hätte ich mir nie mehr vorstellen wollen.
Da ist zum einen ein Möchtegernzar auf die Idee gekommen, Russland wieder zu einem Weltreich zu machen. Und im Februar wollte er fürs erste auf die Schnelle mal die Ukraine einsacken. Als Waffe setzt er unter anderem Erdgas ein – ein Beweis, dass Hans Kronberger in „Blut für Öl“ mit seiner Aussage grundsätzlich recht hat: Jeder Krieg seit dem 20. Jahrhundert ist ein Krieg um Rohstoffe und Ressourcen.
Dabei hatte 1989 ein anderer Russenchef mir die feste Hoffnung gegeben, dass all das, was ich als direkt am Grenzzaun zwischen der BRD und der DDR Aufgewachsener nie zu hoffen gewagt hätte, Wirklichkeit wird: Perestroika!
Die Teilung Deutschlands, ja Europas, wenn nicht der westlichen und östlichen Welt ist vorbei. Ja, ich dachte damals wirklich: Ab jetzt ist Frieden auf der Welt.
Ganz aktuell aber geht neben dieser Friedenshoffnung noch eine weitere hehre Vorstellung von mir den Bach hinunter: Der endgültige Atomausstieg. 2011 hat den Kanzlerin Angela Merkel nach dem Fukushima-Doppel-Gau durchgesetzt – so dachte ich bis vor wenigen Wochen.
Das tat sie damals aus Angst. Eine Physikerin, die offenbar spätestens zu diesem Zeitpunkt logisch denkend begriffen hatte: Fukushima kann überall passieren.
Angst: Das war der Grund, warum ich meine „Atomkarriere“ als Jungingenieur am 31. März 1984 beendete und danach – ein sehr schöner Zufall – in die Erneuerbaren Energien hineinstolperte.
Ich hatte schon damals das Gefühl, begriffen zu haben, was bei Frau M. erst 2011 passierte: Atomkraft ist knallgefährlich. Denn wenn in einem Experiment des kaum bekannten, aber einst drei Milliarden Mark teuren Atomreaktorsimulators TRAM (auch als 3D-UPTF kaum bekannt) genau das herauskam, was später in Fukushima passierte – Naturumlauf des Kühlmittels im Reaktorkern führt zum GAU – dann muss (jeder)man(n) oder -frau es eigentlich mit der Angst bekommen und dagegen aufstehen.
Doch selbst 2009 wurde noch beschwichtigt seitens der GRS, der Bundesdeutschen Gesellschaft für Reaktorsicherheit: „Naturumlauf kann nie passieren“, hörte ich in Garching wortwörtlich. Zwei Jahre später dann der japanische Doppelgau. Und danach das große Schweigen der GRS.
Meine Angst war nach dem Merkelschen Atomausstiegsbeschluss der Freude gewichen. Endlich hatte die Politik begriffen, was ich schon lange immer wieder in die Öffentlichkeit getragen hatte: Atomkraft ist nicht beherrschbar. Doch seit ein paar Monaten, und aktuell auf den Höhepunkt zusteuernd, muss ich eine Debatte erleben, die mich an der Fähigkeit der handelnden Politiker:innen (ver-)zweifeln lässt. Nur von den Blutroten, der Linkspartei, ist nichts Relevantes zu hören. Doch Halblinke wie Rechte, Rote, Schwarze, Gelbe, Grüne, Dunkelbraune oder Orange: offenbar sind sie fast allesamt Populist:innen. Denn statt sich ernsthaft zu fragen, wie der Ausstieg aus den explosionsartig im Preis steigenden und umweltfrevelnden Fossilien von Kohle über Erdöl bis Frackinggas noch schneller gelingen kann, reden die meisten nur noch über den Rücksturz in die Atomstromtechnologie. Dabei liegt die im Preis jetzt schon über Strom aus Erneuerbaren.
Sicherheit unter ferner liefen
Bis heute ist weder das eine Million Jahre sichere Endlager gefunden. Noch hat sich an der Sicherheit von Atommeilern ein Deut verbessert. Im Gegenteil! Und das macht mir gerade wirklich Angst: Seit 2009 – das ist sinnigerweise der Zeitpunkt meines Besuchs bei der GRS – wurden die drei noch laufenden Atommaschinen von Ohu 2, Emsland und Neckarwestheim 2 zum letzten Male einer intensiven Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Nach EU-Recht ist die Prüfung eigentlich alle zehn Jahre fällig und dauert auch schon mal 36 Monate. Aber weil ja die letzten drei Atomdinos Ende 2022 wirklich am Ende sein sollten – so steht es im deutschen Atomgesetz -, ließ selbst die EU-Kommission Gnade für Recht ergehen. Oder hielt etwa die deutsche Kommissionschefin Ursula von der Leyen ihr schützendes Händchen über die abgeschriebenen Geldgeneratoren, auch Atommeiler genannt?
Was mir genauso Angst macht: die ach so tollen Prüfer von TÜV Süd. Das ist eine Organisation, die auch schon mal einem selbsternannten Pflanzenöl-Blockheizkraftwerkshersteller bestätigt, dass ihre BHKW - vom Prinzip her waren es stinknormale Diesel-Notstromaggregate - einen elektrischen Wirkungsgrad von über 90 Prozent aufweisen. Ein gutachterliches Beinahe-Perpetuum Mobile also.
Diese Organisation gilt hierzulande als das Nonplusultra der unbestechlichen Atomprüfung. Und aktuell bestätigte der TÜV Süd der Bayerischen Staatsregierung schon im April dieses Jahres: Ohu 2 sei natürlich ohne Bedenken weiter zu betreiben. Dass die TÜV-Menschen, die jenes Papier verfasst haben, vorher die längst überfällige 10-Jahres-Prüfung durchgeführt haben, darf ausgeschlossen werden. Aber genau auf besagtes Gutachten der Organisation berufen sich Bayerns Ministerpräsident und Jurist Markus Söder (CSU), sein Energieminister und Agraringenieur Hubert Aiwanger (Freie Wähler).
Auch SPD und Grüne im Münchner Stadtrat sind für das Atom-Weiter-An – die Stadtwerke sind am Atommonster Isar 2 beteiligt. Für die Grüne Bürgermeisterin Katrin Habenschaden stehe „die Versorgungssicherheit der Münchnerinnen und Münchner an oberster Stelle“. Für mich wie für Ex-Grünen-MdB Hans-Josef Fell ein „Dammbruch“.
Ganz aktuell kann sich auch unser SPD-Kanzler und Fachanwalt für Arbeitsrecht Olaf Scholz eine längere Atomlaufzeit vorstellen.
Und natürlich (?) sind auf Seiten der FDP, CDU und AfD fast alle für das Ende vom Ausstieg. Denn – und davon bin ich fest überzeugt: Wenn die drei Atomdinos erst einmal im „Streckbetrieb“ sind – das ist so etwas wie das lagerfeurige Ausglühen der Brennstäbe -, dann kommt als nächster Schritt die Forderung nach dem Wieder-Wiedereinstieg. Die ersten Forderungen nach Wiedereinschalten bereits ausgemusterter Meiler kamen ja bereits, zum Beispiel von Markus Söder. Obwohl der als Jurist eigentlich wissen müsste: (Atom-)Gesetz ist Gesetz. Für mich ist deshalb passend, dass ihn einige schon „Problembär“ nennen.
Übrigens sehe nicht nur ich das mit dem Wieder-Wieder-Atomeinstieg so. Angela Wolff, Referentin Atom- und Energiepolitik beim BUND erkennt in der aktuellen Diskussion „ein Einfallstor für den Ausstieg aus dem Atomausstieg. Dann kann der Betrieb wieder richtig losgehen.“ Und passend dazu hat der Atomlobbyverband Nuklearia gleich eine „Strategie zum Wiedereinstieg in die Kernenergie“ veröffentlicht. Kurz und knapp. In gerade mal drei Punkten.
Und dass die Atomkraft-Betreiber sich Verlängerungs-Forderungen verschließen würden, behaupten sie zwar öffentlich. Doch wenn die Regierung ein paar Milliarden drauflegen würde, vergessen sie womöglich ihr aktuelles „Nein“ von jetzt auf gleich.
Es wäre nicht der erste Ausstieg vom Ausstieg
Den ersten Wiedereinstieg hatten wir hierzulande ja bereits. Das war 2010, wenn damals auch mit dem Begriff „Laufzeitverlängerung“ verharmlost.
Damals wie auch aktuell wird immer wieder beteuert, Deutschlands AKW seien „sicher“. Doch was bedeutet dieser Begriff eigentlich faktisch? „Wenn von sicher geredet wird, zählt immer der angelegte Bewertungsmaßstab. Bei den drei noch laufenden Meilern ist das also das Regelwerk aus den 1980er Jahren“, erklärt Oda Becker. Die Diplom-Physikerin hat dieser Tage eine umfangreiche Studie für den BUND erstellt. Inhalt: der Sicherheitszustand der drei verbliebenen deutschen AKW. Zuletzt seien nicht einmal mehr Risse in den Dampferzeugern von Neckarwestheim repariert worden, nannte Becker einen vieler Kritikpunkte an der deutschen (und damit der TÜV-Süd-) Sicherheitsbehauptung.
Bei der Vorstellung der BUND-Studie wurde noch etwas anderes deutlich: Die Gefahr, die Atomkraftwerke oder Brennstab-Zwischenlager in Kriegszeiten darstellen. Schnell mal eines in die Luft gejagt – und dann?
Olaf Bandt, der BUND-Vorsitzende, wurde in dieser Veranstaltung zu den Konsequenzen für das Verhältnis der Umweltverbände zu den Grünen gefragt, wenn diese einem Weiterbetrieb der AKW zustimmen würden. Bandt antwortete darauf wörtlich: „Wenn man Laufzeiten verlängert, verlässt man auch bei der SPD die Grundlagen. Konsens war, die Bevölkerung schützen zu wollen. Dieses Vertrauen würde aufgelöst. Das wäre verheerend für Grüne und SPD. Verträge hätten damit keinen Bestand mehr.“
Ich sehe gar Auswirkungen über die Grenzen hinaus: Wenn wir Deutschen, die wir ständig die kränkelnde Sicherheit von AKWs in Frankreich, Belgien oder Tschechien bemängeln, uns nicht an EU-Vorgaben zur Überprüfung unserer Atommeiler halten, warum sollen sich dann die anderen Länder noch darum scheren?
Ich habe deshalb Angst! Um meine Kinder, Enkel, all die anderen Menschen. Dass die künftig auf diesem Planeten leben müssen mit der Angst, dass wieder einmal irgendwo Atomstrahlung freigesetzt wird, die ihre Gesundheit, ihr Leben gefährdet. Mit den Veränderungen durch die Klimakatastrophe werden sie ja wohl ohnehin leben müssen. Bei so vielen allparteiig populistischen Politiker:innen, die ihr Atom-Fähnchen nach dem Wind schwenken. Und nicht zuletzt gibt es Menschen aus der Umweltbewegung, die diese durch ihr „Ja“ zur möglichen Atomverlängerung verraten. Eine davon ist Deutschlands Fridays-for-Future-Vorzeigefrau Luisa Neubauer.
Aber vielleicht stecken ja auch nur die Russen hinter all dem mehr Atom- und Gasgeschrei hierzulande?
Gute Nacht, Zukunft. Mich fröstelt. Ich habe Angst.