05.04.2019
Mut zur Nachhaltigkeit
Einmal im Jahr vergibt ZEIT-Wissen, ein Tochtermagazin der Wochenzeitung Die Zeit, den Preis „Mut zur Nachhaltigkeit“ für drei Kategorien im Rahmen einer großen Festveranstaltung, die wie schon im vergangenen Jahr von der Zeit, der Kupferhütte Arubis AG, sowie der Stiftung „Forum für Verantwortung" des Stifters Klaus Wiegandt gesponsert wurde, und diesmal den Titel „Nachhaltige Urbanität & Stadtentwicklung“ hatte. Andreas Sentker Ressortleiter Wissen bei der Zeit, unterstrich gleich in seinem Eingangsstatement die Bedeutung der Städte für die Nachhaltigkeitsentwicklung der Erde, in dem er auf extrem wachsenden Bevölkerungszahlen gerade in Millionenstädten der Entwicklungs- und Schwellenländer hinwies, z.B. Delhi von 28 Millionen heute auf 38 Millionen in 2030.
In dem anschließenden Sponsortalk zwischen einer Zeit-Verlagsleiterin, dem Vorstandsvorsitzenden der Arubis und dem Stifter Klaus Wiegandt betonte letzterer, dass die Nichtaufnahme des Themas Bildung für nachhaltige Entwicklung in das Abschlusspapier der Konferenz von Rio 1992 ein seiner Meinung nach entscheidender Fehler gewesen sei. „Mit einem dort festgelegten entsprechenden, breiten Bildungsziel vom Kindergarten über Schulen bis zu Universitäten wären wir heute viel weiter!“
Wiegandt war es dann auch, der im ersten großen Vortrag des Tages die grundsätzlichen Weltprobleme skizzierte: im UN-Nachhaltigkeitsbericht von 2006 hätten alle wichtigen Entwicklungspfade in die falsche Richtung gezeigt. Heute sei es in den Bereichen Hunger, Wasser, Armut besser geworden, aber beim Rest der Probleme wie z.B. Abholzung, Biodiversität, Klimawandel, Plastikverschmutzung und Bevölkerungswachstum liefe die Entwicklung immer noch in die falsche Richtung. Larry Fink, Gründer und Vorstandsvorsitzender des weltgrößten Vermögensverwalters BlackRock, habe im Vorfeld des diesjährigen Davoser Weltwirtschaftsforums einen Brief an die CEOs der großen internationalen Konzerne geschrieben, dass die heutige Entwicklung so nicht mehr weiter gehen könne, und dass die Konzerne sich stärker auf den Stakeholdervalue als den Shareholdervalue konzentrieren müssten.
Wiegandt hob die Wichtigkeit einer Finanztransaktionssteuer hervor, um Spekulation zu bremsen und den Staaten höhere Steuereinnahmen mehr Luft für Reformen zu verschaffen. Er lobte die #FridaysforFuture-Bewegung und sagte: „Wir müssen das Spielen mit dem Überleben unserer Kinder beenden!“ Das Pariser Abkommen sei offensichtlich nicht geeignet, den Klimawandel zu stoppen. Wiegandt setzt auf ein weltweites, massives Aufforstungsprogramm mit 350 Milliarden Bäumen auf 350 Millionen Hektar Fläche. Weltweit gäbe es Interesse an solchen Programmen. Ein wichtiger internationaler Partner dafür könne China sein, dass in den letzten 25 Jahren eine Fläche von der Größe Großbritanniens habe aufforsten lassen. Er selbst plane im Rahmen einer Initiative in Deutschland Unternehmen als Spender für solche Aufforstungsprogramme zu gewinnen.
Als nächster Redner sprach Professor Werner Sobek, Inhaber eines gleichnamigen, international renommierten Architektur-Büros und Lehrstuhlinhaber für Architektur- und Bauwesen mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit an Universität Stuttgart, über das Thema „Weniger für mehr. Wie wir bauen können, ohne die Welt zu zerstören“. Im Sinne klarer Fakten und klarer Zusammenhänge wies Sobek darauf hin, dass die Menschheit jede Sekunde statistisch um 2,6 Erdenbürger wachse. Nach deutschem Standard, wo jeder Bürger rechnerisch 490 Tonnen Material besäße, müsste man der Erde für die 2,6 neuen Menschen 1.300 Tonnen Material entnehmen – jede Sekunde! Das liefe auf eine Erdtemperatur-Erhöhung von 6 bis 8° Celsius hinaus. Selbst beim Weltstandard von nur 115 Tonnen/Person ergäben sich erhebliche Schwierigkeiten, wie z.B. der zunehmende Bausandmangel zeige. Treiber der Probleme am Bau seien die zunehmenden Ansprüche der Bürger und die Verwendung von Mischstoffen, die sich nicht wirklich recyceln ließen und als Sondermüll endeten. Dazu käme, dass sich die Politik nicht an das Sanierungsthema bei den Gebäuden herantraue, sondern es zuließe, dass wir in 2050 immer noch eine zu 20% fossilbasierte Wärmeversorgung der Gebäude hätten. Kunststück, denn eine adäquate energetische Sanierung der deutschen Gebäude koste rund 1.200 Milliarden €, und dafür wolle niemand die politische Verantwortung übernehmen. Professor Sobeks Lösung: ein Heizungsmanagement-System, dass die Heizung gemäß den Prognosen des Deutschen Wetterdienstes steuert. Kosten deutschlandweit 35 Milliarden €, Amortisationszeit zwei Jahre. Die so gesparten Gelder ließen sich in weitere CO2-Sparmaßnahmen investieren. Motto: spare sofort weniger, das ist besser als auf langen Zeiträumen viel zu sparen. Als Beispiel führte Sobek die im gesamten Gebäudeleben verbrauchte Energie an: 55% entfielen auf die graue Energie (Baustoff-Herstellung, Bau), 40 % auf die Nutzenergie (z.B. Wärme), und 5% auf den Abriss (Demontage, Materialtrennung, Endlagerung etc.). Nach seiner Berechnung habe das Sparen von 10 % bei der grauen Energie gegenüber dem 10 prozentigen Sparen bei der Nutzenergie einen 2,7-fachen Effekt.
Sobeks strukturierter, mit vielen Zahlen unterfütterter Vortrag kam beim Publikum gut an – was sicher auch daran lag, dass der Referierende klare Worte weder im Vortrag noch in der späteren Diskussion scheute, wie z.B.: „Die EnEV muss auf einen einzelnen Satz reduziert werden: Es ist verboten, Nicht-Erneuerbare Energien zu verwenden!“
Im Programm folgte eine Vorstellung eines industriellen Abwärmeprojekts: die Kupferhütte Arubis wird aus einem chemischen Nebenprozess der Kupferproduktion – der Schwefelverarbeitung zu Schwefelsäure – 1.200.000 kWh Wärme auskoppeln und so zusammen mit dem Energiedienstleister Enercity 8.000 Haushalte versorgen. Was in der Präsentation nicht zur Sprache kam war, dass besagte Kupferhütte den Strom für die Produktion zu einem großen Teil aus dem Kohlekraftwerk Moorburg bezieht, weshalb die Wärme allenfalls rechnerisch völlig CO2-neutral ist.
Unter dem Titel „Wohnen und Leben in der Stadt der Zukunft“ stellte Burkhard Drescher, ehemaliger Oberbürgermeister von Oberhausen und heute Geschäftsführer der Innovation City Management GmbH in Bottrop, die maßgeblich das Projekt Innovation City Ruhr | Modellstadt Bottrop vorantreibt, seine Nachhaltigkeitsmaßnahmen vor. Hier gibt es eine eigene, vorwiegend aufsuchende Energieberatung mit eigener Förderung, durch die u.a. Häuser im Bestand zu Plusenergiegebäuden modernisiert werden. Die energetische Modernisierungsquote liegt mit über 3% etwa beim Doppelten des deutschen Durchschnitts. Das Geheimnis des Erfolgs sieht Drescher im engen Kontakt zu den Stakeholdern (Bürger, Kommunen, Wohnungswirtschaft), in der Kommunikation über Round-Table-Treffen und einer eigenen, unkomplizierten wie effektiven Förderung.
Nach einer weiteren Diskussionsrunde („Die Stadt – das Labor für eine nachhaltige Zukunft“), einer Session junger Startup-Gründer, und dem Mittagessen folgte die Verleihung des mit 10.000 € dotierten Preises „Mut zur Nachhaltigkeit“ in drei Kategorien: in der Kategorie „Wissen“ gewann Prof. Dr. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) für seine unermüdliche Aufklärungsarbeit zum Klimawandel. Rahmstorf betonte in seiner kurzen und sachlichen Danksagung, dass für Deutschland nur noch ein virtuelles „Konto“ von rund 7 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen existiere, bis wir unseren Beitrag für einen sichern Abstand von einer Erwärmung von 2° überschreiten würden, d.h. wir haben gerade noch 9 Jahre für das heutige „weiter so“.
Den Preis in der Kategorie „Handeln“ gewann das Ehepaar Mike und Michael Recktenwald, die ihre Bio-Gastronomiebetriebe auf der Insel Langeoog bewirtschaften, und sich der Klage von 10 Familien weltweit gegen die Europäische Union wegen der fahrlässigen Missachtung der notwendigen Maßnahmen gegen den Klimawandel angeschlossen haben.
Der Preis in der dritten Kategorie „Durchstarten“ ging an die junge Organisation Innatura und deren Gründerin Dr. Juliane Kronen, die fabrikneue, aber als Fehletikettierung oder Auslaufmodell aussortierte Waren von Herstellern und Handelsunternehmen übernehmen, um sie dann ausschließlich an gemeinnützige Organisationen weiter zu geben. Eine klassische Win-Win-Situation: die gemeinnützigen Organisationen erhalten oft Dinge, die sie sich sonst nicht leisten könnten; die Unternehmen sind sicher, dass ihre aussortierte Ware nicht auf dem Schwarzmarkt landet, und dort Image und Preise verdirbt.
Die Veranstaltung endete in fünf Tischgesprächen zu verschiedenen Aspekten des Themas Nachhaltigkeit. Insgesamt war auch in diesem Jahr „Mut zur Nachhaltigkeit“ eine vielfältige, interessante Veranstaltung mit aufklärenden Vorträgen, Ideen und interessanten Disputanten.
Götz Warnke