04.09.2020
Schluss mit den E-Auto-Märchen
Ein Bericht von Götz Warnke
Kritik sowie Ablehnung der E-Mobilität und insbesondere des E-Autos sind noch weit verbreitet. Dabei kommen zu einem persönlichen Widerwillen gegen Veränderungen häufig vorgeschobene Argumente wie lange Ladezeiten und geringe Reichweite (wer eigentlich fährt wie oft im Jahr 600 km in einem Rutsch ohne Unterbrechung?) oder gestreute Zweifel an der Umweltfreundlichkeit von E-Autos, wie hier: „Hinzu kamen berechtigte Zweifel, ob hohe Investitionen in eine neue Antriebstechnologie, die aus gesamthafter Sicht nur ein Nischendasein fristen kann, nicht zusätzliche Fehlinvestitionen wären, denn Bau und Betrieb von E-Autos sind zum einen in Summe umweltschädlicher als Verbrenner.“ Dieser Zweifler, ein ehemaliger „Chefvolkswirt“ (also: Nicht-Techniker) beim Autohersteller BMW (also: Nicht-Vorantreiber der Elektromobilität) hatte nun auch noch das Pech, dass nur einen Tag nach seiner Veröffentlichung Anfang dieser Woche eine wissenschaftliche Studie der Universität Eindhoven erschien, welche solche Behauptungen wie „umweltschädlicher als Verbrenner“ endgültig in Märchenland verbannt.
Die niederländische Studie mit dem etwas sperrigen deutschen Titel „Vergleich der lebenslangen Treibhausgasemissionen von Elektroautos mit den Emissionen von Fahrzeugen mit Benzin- oder Dieselmotoren“ wurde von den Wissenschaftlern Auke Hoekstra und Maarten Steinbuch verfasst. Insbesondere Hoekstra hatte sich schon in der Vergangenheit in und mit verschiedenen Studien zur Elektromobilität einen Namen gemacht. So verfasste er im Sommer 2019 im Fachmagazin Joule einen Aufsatz zum Design von Studien zur Elektromobilität, wobei er u.a. die gegenüber dem E-Auto sehr ablehnende Arbeit von Prof. Hans-Werner Sinn et.al. kritisierte, und dabei zeigte, dass Sinn und Unsinn oft sehr nah beieinander liegen.
Auch die neue Studie geht auf 25 Seiten – die letzten 4 Seiten sind wissenschaftliche Anmerkungen – sehr systematisch und verständlich die in Rede stehenden Punkte einer vergleichenden Antriebsstrang-Bewertung hinsichtlich der Treibhausgase (THG) durch.
Erster und wichtigster Punkt sind die THG-Emissionen aus der Batterieherstellung (S. 6 bis 9), zumal diese immer wieder in den Argumentationen der E-Auto-Gegner auftauchen. Während ältere Studien die Emissionen auf 175 kg CO2aeq pro kWh des Akkus beziffern, gehen Hoekstra/Steinbuch auf Grund neuerer Daten aus China und den USA von Emissionen deutlich < 100 kg CO2aeq/kWh aus, und verwenden als Durchschnittswert 75 kg CO2aeq/kWh.
Zweiter Punkt sind die Batterie- und Fahrzeuglebensdauer in km (S. 9 bis 12). Während vor allem Autohersteller in der 1. Hälfte der 2010er Jahre pauschalisierend von 150.000 km sprachen – eine Zahl, immer noch für aktuelle, nicht-wissenschaftliche Vergleiche herhalten muss – , und dabei die Lebensdauer des Autos mit der Lebensdauer der Batterie gleichsetzten, zeigen neuere Zahlen ein anderes Bild: Insbesondere in den häufig von Langstreckenfahrern genutzten Teslas gibt es Akkus mit Laufleistungen > 400.000 km. Daher ist davon auszugehen, dass die Batterie deutlich länger halten wird als das Fahrzeug. Auf Basis mehrerer europäischer Datenbanken errechnen Hoekstra/Steinbuch eine durchschnittliche Fahrzeug-Laufleistung – über alle Antriebsstränge hinweg – für heute verkaufte Fahrzeuge von 250.000 km.
Der dritte Punkt, die THG-Emissionen beim Batterie-Recycling, bleibt in dieser Betrachtung unberücksichtigt. Grund dafür ist das Artefakt-1-zu-1-Recycling in Form des Second-Life des Akkus. Dabei werden alte Auto-Akkus in klimatisierten Speicherfarmen noch über Jahre weiter betrieben. Und die THGs, die man der Batterienutzung im Auto zurechnen müsste, würden dadurch erheblich sinken. Da es wegen der „Neuheit“ der E-Mobilität allerdings noch keine validen Zahlen hierzu gibt, klammern Hoekstra/Steinbuch das für ihre These günstige Thema aus.
Viertens der Strommix über die Lebensdauer des Autos (S. 13 bis 18). Ein heute gekauftes E-Auto wird im Verlauf seiner Einsatzzeit von ca. 20 Jahren immer „sauberer, einfach weil im europäischen Strommix der CO2-Ausstoß pro kWh in den kommenden Jahren immer weiter sinken wird, wie es auch im vergangenen Jahrzehnt der Fall war. Auf Grund von Zahlen der Europäischen Umweltagentur und der Agora Energiewende/Sandbag gehen Hoekstra/Steinbuch davon aus, dass der europäische Strommix zu Emissionen von 260 g CO2aeq/kWh im Jahr 2019 führte und auf 117 g CO2aeq/kWh pro Jahr in 2040 sinken wird. Nun gilt es zu berücksichtigen, dass neue Autos mehr Jahreskilometer zurücklegen als ältere Autos, und die Kilometerleistung im Laufe der Nutzungsjahre sinkt. „Der gewichtete Durchschnitt der europäischen Stromversorgung über die Lebensdauer eines im Jahr 2020 verkauften Elektrofahrzeugs beträgt etwa 192 g CO2aeq/kWh. Addiert man die vorgelagerten Emissionen, den Handel und die Netzverluste, so ergibt sich eine Gesamtkohlenstoffintensität des von Elektrofahrzeugen verbrauchten Stroms von etwa 250 g CO2aeq/kWh.“ (S.15)
Die Autoren verwenden einerseits für ihre Berechnungen keine „Grenzstrom“-Hypothesen, d.h. sie versuchen nicht abzuschätzen, mit welchem Strom die E-Autos konkret laden (z.B. Ökostrom, Solarstrom vom eigenen Dach etc.). Andererseits widerlegen sie auch die bei Gegnern beliebte These, E-Autos würden mit 100% Kohlestrom fahren, weil für sie die Kohlekraftwerke länger laufen müssten etc. Sie verweisen zudem auf die Tricksereien beim Vergleich der E-Autos mit anderen Antrieben wie Wasserstoff oder E-Fuels, wenn man für das E-Auto den CO2-lastigsten Strommix annimmt, für die Produktion von H2 und Kunstsprit aber einen sauberen Strom einrechnet.
Insbesondere für die E-Fuels würde man „fast zehnmal mehr erneuerbare Energie benötigen“ (S. 18) als für Emobility – ein Problem, auf das die DGS-News bereits im vergangenen Jahr hingewiesen hatten.
Fünfter Punkt ist der Energieverbrauch pro Fahrkilometer. Hoekstra/Steinbuch verlassen sich nicht auf die Münchhausen-Verbrauchswerte des NEFZ (um 40 % zu niedrig) oder die noch von der Autoindustrie gestaltbaren Werte des neuen WLTP-Fahrzyklus, sondern sie verwenden die unabhängigen Testergebnisse der US-amerikanischen Environmental Protection Agency (EPA), die unter fueleconomy.gov im Internet zu finden sind. Die EPA misst z.B. den Stromverbrauch von E-Fahrzeugen an der Steckdose und bezieht dadurch Ladeverluste mit ein. Für dort nicht gelistete Fahrzeuge sind die Angaben der deutschen Seite spritmonitor.de ein guter Ersatz.
Sechstens ist die korrekte Berechnung der Klimagas-Emissionen bei Abgas-Autos wichtig (S. 20 bis 22). Hier ist zu beachten, dass die bei der Förderung und Verarbeitung des Treibstoffs entstehenden Emissionen in die Klimabilanz einzuberechnen sind. Für Benzin liegen die Klimagase insgesamt bei 3.140 g CO2aeq/Liter, für Diesel bei 3.310 g CO2aeq/Liter (da vom Energiegehalt ein Liter Benzin 8,4 kWh, ein Liter Diesel 9,7 kWh entspricht, ergeben sich für Benzin 374 g CO2aeq/kWh, für Diesel 341 g CO2aeq/kWh). Biokraftstoffe klammern die Autoren aus, da hier die Emissionen sehr stark von den unterschiedlichen Ausgangsstoffen und Verarbeitungspfaden abhängen, valide Zahlen also nicht zu ermitteln sind.
Den Schluss bildet ein kleiner Ausflug in die Verkehrsgeschichte (S. 22 bis 24). Um 1900, als überwiegend Pferdefuhrwerke – privat oder als Droschke – durch die Großstädte wie London oder New York fuhren, gab es durch den Pferdemist ein scheinbar unlösbares Gülleproblem. Dieses wurde dann doch gelöst, als 13 Jahre später Verbrenner-Fahrzeuge statt der Pferde-Droschken das Straßenbild beherrschten. Heute verursachen diese Verbrenner ein scheinbar unlösbares CO2-Problem. Doch dieses Problem könnte ebenfalls durch eine Verkehrsrevolution gelöst werden: durch das E-Auto.
Fazit:
Die wissenschaftliche Studie von Hoekstra und Steinbuch ist, auch wenn sie von der bundesdeutschen Grünen Bundestagsfraktion beauftragt wurde, sehr objektiv, faktenbasiert und umsichtig. Wenn zu einem Themenkomplex keine validen Daten vorliegen, dann wird er ausgeklammert, selbst wenn er die Argumentation der Autoren stützen könnte. Andere Verfasser von Studien zur E-Mobilität sollten sich an diesem strukturellen Vorgehen ein Beispiel nehmen. Es ist daher höchste Zeit, in den Medien Schluss zu machen mit den alten Märchen über die umwelt- und klimafeindlichen E-Autos!